Kommentar:Allein es fehlt der Glaube

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Jeder versucht vom Zuzug in die Region zu profitieren und heizt ihn dadurch weiter an. Auch das neue Verkehrskonzept der Gemeinden im Münchner Osten wird daran nichts ändern

Von Wieland Bögel

Es ist eine beachtliche Agenda, welche sich die elf Kommunen nun gegeben haben, mit dem Ziel den leidigen Verkehr in die Schranken zu weisen. Und alles davon klingt absolut vernünftig - und allzu vertraut. Sieht man sich die sieben Punkte, welche die neue Allianz der Kommunen angehen will, an, geht es einem wie Goethes Faust beim Gesang der Engel: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube."

Natürlich wäre mehr interkommunale Zusammenarbeit wichtig, in der Realität ist davon aber gerade im Münchner Osten wenig zu spüren. Die Kommunen beharken sich mit feindseligen Stellungnahmen gegen Projekte der Nachbarn, wie es etwa Poing und Vaterstetten seit Jahren zelebrieren, um den jeweils anderen für Straßenausbau zahlen zu lassen. Die Plieninger haben sogar ein Normenkontrollverfahren gegen die Poinger eingeleitet, damit drohen auch die Feldkirchener in Richtung Vaterstetten. Denn unter gezielter und räumlich fokussierter Siedlungstätigkeit, gleich zwei Punkte auf der Agenda, versteht man in den Kommunen vor allem: Sie sollen den eigenen Zielen und der eigenen Raumplanung dienen. Was eben oft so aussieht, dass das neue Wohn- oder Gewerbegebiet möglichst an der Gemeindegrenze mit gutem Anschluss an einen Verkehrsweg zum Nachbarn gebaut wird. Vaterstetten und Poing haben mit entsprechenden Planungen in den vergangenen Jahrzehnten schon eine gewisse Routine entwickelt, auch den Haarern werfen die Nachbarn vor, ihre Siedlungspläne etwa in Gronsdorf zulasten von deren Infrastruktur voranzutreiben. Ebenso vertraut klingen die Forderungen nach mehr öffentlichem Nahverkehr, mehr Radwegen und insgesamt mehr "umweltschonender Mobilität". Hört man im Speckgürtel wohl seit Jahrzehnten, was man aber sieht, sind immer mehr und immer größere Autos. Es ist ein sich selbst verstärkendes System: Wer radelt denn gerne, wenn man Gefahr läuft, von aufgemotzten Stadtpanzern zerquetscht zu werden. Und wer fährt nicht lieber Auto, wenn das neue traute Heim so weit am Ortsrand liegt, dass zu Fuß gehen keine Option ist, genauso wenig wie der werktags zu Bürozeiten und im Stundentakt verkehrende Bus.

Die Realität ist leider, dass dem auf unbedingtes Wachstum ausgelegten Modell, dem sich die Kommunen des Münchner Umlandes verschrieben haben, Verkehrsprobleme systeminhärent sind. Denn auch das ist ein sich selbstverstärkender Kreislauf: Jeder versucht vom Zuzug in die Region zu profitieren und heizt ihn dadurch weiter an. Schöne Worte werden daran nichts ändern und ein echtes Umdenken ist nicht in Sicht.

© SZ vom 29.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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