Kammermusikzyklus des Kulturvereins:Spätromantisches Beben

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Farbig-virtuose Ausdruckskraft an Klavier und Violoncello: Kathryn Stott und Christian Poltéra bescheren dem Kammermusikzyklus im Zornedinger Martinstadl einen höchst würdigen Auftakt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Cellist Christian Poltéra und die Pianistin Kathryn Stott setzen mit ihrem Konzert in Zorneding Maßstäbe

Von Rita Baedeker

Welchen Drohungen und Repressalien von Seiten diktatorischer Regime Komponisten ausgesetzt waren - und immer noch sind, dafür sind Sergej Prokofjew und Dmitri Schostakowitsch berühmte Beispiele. Jeweils ein Werk beider wurde beim Eröffnungskonzert der neuen Saison im Kammermusikzyklus des Kulturvereins Zorneding-Baldham im Martinstadl aufgeführt.

Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion forderte Gebrauchsmusik. Individualität und intellektuell geprägte Tonkunst waren verpönt. Also befleißigte sich Prokofiew in seiner Sonate für Violoncello und Klavier in C-Dur, die 1943/44 entstand, zwar vordergründig der Volksnähe, ließ die Instrumente losmarschieren und erfand Melodien, wie sie banaler kaum sein können. Er übertrieb dabei aber so sehr, dass er die Forderungen der Zensur übererfüllte - und damit ad absurdum führte. Seiner hohen Kunst verhalf er mittels drastischer und bisweilen verstörender Tonsprache dennoch zu ihrem Recht.

Schostakowitsch, 1906 geboren und damit 15 Jahre älter als Prokofiew, musste sich ebenfalls Drohungen und Schmähungen gefallen lassen. "Chaos statt Musik" hieß es in der "Prawda" über seine Musik. In seiner Sonate für Cello und Klavier in d-Moll, Opus 40, bekannte sich der Komponist zu einer romantischen Klangsprache, angereichert mit folkloristischen Elementen seiner Heimat. Doch auch er offenbarte darin ein doppeltes Gesicht, bewegte sich auf dem gefährlichen Terrain der Parodie. Cellogesang und Akkordzauberei am Flügel werden ironisch gebrochen durch hämmernde Schläge, Klagegesang und allerlei Verfremdungseffekte. Ein ergreifend wundervolles und wundersames Meisterwerk.

Würdiger als der Schweizer Cellist Christian Poltéra und die britische Pianistin Kathryn Stott kann man wohl diese erschütternde, auf schmalem Grat zwischen hohem künstlerischen Anspruch und dem eben noch vom Zentralkomitee der KPdSU Erlaubten balancierende Musik nicht zu Gehör bringen.

Christian Poltéra spielt auf einem Violoncello von Antonio Casini aus dem Jahr 1675. Der 42-Jährige wird zu den Besten seiner Generation gezählt. Unter anderem ist er Dozent an der Hochschule Luzern und Juror beim ARD-Musikwettbewerb in München. Poltéra entlockt seinem Instrument Klangfarben, die unter die Haut gehen: Mal sind es Basstöne, vibrierend und rau wie die alle Höhen und Tiefen des Lebens bergende Stimme eines sehr alten Bluessängers, mal wird das Cello zum lyrischen Tenor mit weichem Timbre.

Seine Partnerin am Flügel ist unter anderem eine gefeierte Tango-Interpretin, sie leitet ein Kammermusikfestival in Australien und lehrt am Royal College of Music in London. Ihrem Partner steht sie an prägnanter Schärfe und farbig-virtuoser Ausdruckskraft in nichts nach. Das bewegende Spiel des Duos setzt Maßstäbe für die kommenden Abende in diesem Zyklus, die jetzt alle wieder um 18 Uhr beginnen.

Zum Auftakt des Abends - wohl wegen des strahlenden Sommerwetters sind einige Plätze leer geblieben - spielt das Duo ein Werk, "bestimmt für die Jugend, aber auch für Große, Erwachsene", wie der Komponist Antonín Dvořák schrieb: die Sonatine in G, op. 100 für Violine und Klavier. Gewidmet hat er sie seinen Kindern. Christian Poltéra hat sie für Violoncello bearbeitet. In dieser Besetzung klingt das Stück wuchtiger, erwachsener, wenn man so will. Keck und tanzlustig, wohl von tschechischer Folklore inspiriert, präsentieren sich dritter und vierter Satz. Im zweiten Satz, dem Larghetto, hat Dvořák, wie im Programmheft beschrieben, ein indianisches Thema verarbeitet, angedeutet von Trommelrhythmen.

Musik der Spätromantik, ohne Kampf und Bitterkeit, und ohne die Gefahr, der Komponisten wie Prokofiew und Schostakowitsch ausgesetzt waren, erklingt in dem "Märchen" ("Pohádka") für Violoncello und Klavier von Leoš Janáček. Erzählt wird die Geschichte vom Zarensohn Iwan, der um die Prinzessin Marja wirbt. Sie basiert auf einem epischen Gedicht des russischen Autors Wassili Schukowski .

Und wie ein Märchen beginnt auch der erste Satz: "Es war einmal", sagt das Cello im munteren Erzählton des Pizzicato. Ihm entspricht die Stimme des Mannes, die Pianistin hat die Rolle der Angebeteten, ihre Schönheit findet Ausdruck in Klangkaskaden des Klaviers. Zwischen beiden entspinnt sich in der Folge ein Dialog, das Cello wirbt, schmeichelt, zuweilen mit Nachdruck, das Klavier klingt weich, kokett. Schließlich "gewinnt" er die Braut, beide Stimmen finden zu wunderbarer musikalischer Ergänzung, vollendet vorgetragen von Stott und Poltéra.

Noch ist Schostakowitschs musikalisches Beben in Ohr und Herz nicht verklungen, da wird dem Publikum nach einem frenetischen Applaus noch eine Dosis Romantik von Schumann verabreicht. Senkt den Pulsschlag.

Das nächste Konzert im Kammermusikzyklus des Kulturvereins Zorneding-Baldham findet statt am Sonntag, 27. Oktober, um 18 Uhr im Martinstadl. Das "Cosmos Quartett" spielt jeweils ein Streichquartett von Juan C. de Arriaga, Bela Bartok und Johannes Brahms.

© SZ vom 17.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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