Kammermusik in Zorneding:Seufzer im Obstgarten

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Ensemble aus Solisten: Flötistin Silvia Careddu, Pianist Oliver Triendl, Mezzosopranistin Natalya Boeva und Cellist Bruno Philippe. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Ein vierköpfiges, exquisites Kammermusikensemble wandelt beim Zyklus des Kulturvereins durch antike und exotische Klangwelten des französischen Impressionismus

Von Rita Baedeker

Der Hirtengott Pan hatte keinen guten Ruf. Als unersättlicher Lustmolch der antiken Götterwelt war er hinter jedem Rock respektive Schleier her; und so verfolgte er der Erzählung des römischen Dichters Ovid zufolge auch die schöne Nymphe Syrinx, die sich auf der Flucht vor seinen Nachstellungen in ein Schilfrohr verwandelte. Pan aber schnitt alles Schilf ab und schnitzte sich daraus eine Flöte. Und niemand, Gott oder Mensch, konnte diese Flöte so lieblich und unwiderstehlich blasen wie er.

Als am Sonntag zu Beginn des Kammerkonzerts des Kulturvereins Zorneding-Baldham vom Balkon des Martinstadls aus süße Töne den Raum erfüllen, ist es nicht Pan, sondern die italienische Soloflötistin Silvia Careddu, die mit dem Stück "Syrinx" von Claude Debussy den Abend eröffnet. Darin wird klangsinnlich die mythologische Welt der Antike beschworen, eine Welt, wie sie Stéphane Mallarmé, Dichter des französischen Symbolismus, in seinen Gedichten neu erschuf, und wie sie zu jener Zeit, als man sich auch der Kultur fremder Länder und Menschen zuwandte, Literatur und Musik nachhaltig befruchtet hat. Ohnehin gehört in Frankreich das symbiotische, ja erotische Verhältnis zwischen Lyrik und Musik bis heute zur kulturellen Tradition.

Zusammen mit der Mezzosopranistin Natalya Boeva, dem Cellisten Bruno Philippe und Oliver Triendl am Flügel wandeln Musiker und Publikum zwei Stunden lang durch den wilden Garten romantischer und impressionistischer Musik. Dem Ruf des Pan folgt das Werk "Die unsichtbare Flöte" von Camille Saint-Saëns nach einem Gedicht von Victor Hugo. Auch hier "seufzt die Flöte hinreißend ihr Lied im Obstgarten" gemeinsam mit Natalya Boeva. Diese gewann 2018 den ersten Preis beim ARD-Musikwettbewerb und ist seit einem Jahr Ensemblemitglied am Staatstheater Augsburg. Gerade erst gab sie ihr Debüt bei den Münchner Symphonikern.

Ihr dramatischer Mezzosopran ist kraftvoll und wuchtig, doch klingt er in höheren Lagen zuweilen hart, wo weiche, lyrische Klangfarben dem Charakter der Musik eher angemessen wären. In tieferen Lagen, etwa in den "Trois Poemes" von Debussy, gibt sie dem emotionalen Charakter von Text und Musik überzeugenden Ausdruck.

Zu Beginn des Lieds "Aoua" aus dem Zyklus der "Chansons Madécasses" von Maurice Ravel nach Texten von Évariste de Parny gleicht ihr Gesang dem verzweifelten Schrei der Bewohner der Insel La Réunion angesichts der weißen Eroberer, die das Land mit "Donnerhall und Mündern aus Erz" versklaven wollen. Bei der Aufführung dieser drei Chansons sind das einzige Mal an diesem Abend alle Mitwirkenden auf der Bühne. Das in "Aoua" geschilderte Geschehen wird klangmalerisch illustriert von düsteren Cellobässen und tiefen perkussiven Akkorden auf dem Klavier.

Klangmalerei auch in den beiden Liedern "Deux stèles orientées" für Sopran und Flöte von Jacques Ibert. Der Komponist hat darin Gedichte vertont, die Victor Segalen nach chinesischen Texten auf Steindenkmälern geschaffen hat. Im zweiten Lied etwa beklagt der Protagonist die hämischen Kommentare der Leute zu seiner bevorstehenden Hochzeit. Virtuos, wie Careddu auf ihrer Flöte das Geschwätz und andere Stimmen aus Natur und Menschenwelt artikuliert.

Melodisch, elegisch und, im dritten Satz, explosiv bis zur Raserei: So lassen sich die "Trois pièces" von Nadia Boulanger, die 1979 starb, in der Besetzung für Cello und Klavier charakterisieren. In diesem Stück erhält in Zorneding vor allem der junge Cellist Bruno Philippe, Schüler von Steven Isserlis und David Geringas, lautstarken Beifall für sein virtuoses, klanglich vollendetes Spiel.

Mit dem Trio für Flöte, Violoncello und Klavier präsentiert Oliver Triendl, künstlerischer Leiter der Reihe und, wie immer, solistisch und begleitend ein fabelhafter Pianist, an diesem außergewöhnlichen Konzertabend eine weitere Komponistin: Marcelle de Manziarly, die bei Boulanger Komposition studierte. In den vier Sätzen sind zahlreiche impressionistische Einflüsse ideenreich verarbeitet, rhythmische Vielfalt, freie Formen, lyrischer Schönklang mit geheimnisvollen Schattierungen. Das Konzertprogramm, aufgezeichnet vom Bayerischen Rundfunk, ist rar und außergewöhnlich, ein Gewinn für alle, die nicht immer nur Bekanntes hören wollen. Auch Dank des Begleitheftes, in dem alle Texte zweisprachig abgedruckt sind.

Der Renaissancedichter Pierre de Ronsard erzählt in seinen von Albert Roussel vertonten "Deux Poèmes" vom Wettstreit zwischen Mensch und Nachtigall. Dieser klagt: "Du erweichst deinen Geliebten mit dem süßen Klang deiner Töne, aber die meine, die mir meine Lieder verübelt, verstopft sich die Ohren, um sie nicht zu hören." Dem Schwerenöter Pan wäre das nicht passiert.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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