Kabarett in Ebersberg:Licht in Platons Höhle

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Kabarettist und Philosoph: Alfred Dorfer im Alten Kino. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kabarettist Alfred Dorfer rüttelt im Alten Kino an den Grundfesten menschlicher Vorurteile - und erntet befreienden Applaus

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Alfred Dorfer einen Kabarettisten zu nennen, ist fraglos richtig. Alle Anzeichen seines Auftritts deuten darauf hin: geistvolle Auseinandersetzung mit Erscheinungen unserer Zeit, ein Hang zu zugespitzten Formulierungen, plakative Gestik, Kichern im Saal, Lachen, Raunen. Man könnte ihn, genauso fraglos, auch als Prediger bezeichnen: ein Mann spricht eindringlich zum Volk, seine Position ist über die der Zuhörer erhaben, er überzeugt mit flammender Rede, fasst seine Botschaften in Gleichnisse mit plastischen Bildern. Auch als Pädagoge ginge er durch. Oder als Ansager. Als Dompteur. Zauberer.

Mitunter sind es nur Sekunden, in denen der blitzgescheite Dorfer im Alten Kino in Ebersberg am Samstagabend vehement am menschlichen Selbstverständnis rüttelt, indem er die Absurdität von Wahrheitsfindung unter Scheuklappen vorexerziert: Wer vergeblich versucht, die Bouillon mit dem Sieb zu schöpfen, wird ihre Tauglichkeit zum Nahrungsmittel grundsätzlich bezweifeln. Die Bequemlichkeit in der Akzeptanz vermeintlich schlüssig präsentierter Fakten, die Faulheit beim Prüfen des so angenehm Offenbaren, das Hinnehmen dessen, was uns in den Kram passt und unsere Vorurteile vor dem Erkalten bewahrt, hält solch irreale "Beweise" am Leben.

Der Wirklichkeit - nicht der stets relativen Wahrheit - kommt es wohl am nächsten, diesen Mann einen Moralisten zu nennen. Nicht, weil er den erzieherischen Zeigefinger erhöbe. Sondern weil er einem den blitzblank polierten Spiegel so vors Gesicht hält, dass kein Wegducken mehr möglich ist. Fast schon automatisch gibt es Gekicher aus der eingedunkelten Masse des Publikums, wenn er, am Handy telefonierend, auf die Bühne eilt und ein ignorantes "Gleich bin ich bei Ihnen" in den Saal wirft. Daran, dass nicht alle kichern, lässt sich indes der Schmerz erkennen, der eine Gesellschaft durchzuckt, in der die Mehrheit lieber mit einem kleinen Gerät herumspielt, als dass sie sich mit anderen von Angesicht zu Angesicht unterhält.

An diesem Abend steht ein Philosoph auf der Bühne des Alten Speichers, ein Philosoph im klassischen Sinne. Einer, der um der Liebe zur Weisheit wegen den Konsens der Sich-informiert-Glaubenden in Frage stellt. Dabei nimmt es Dorfer spielend mit den großen Fragen der Gegenwart auf, in die er mitunter himmelschreiende Meta-Ebenen einzieht: "Dürfen Veganer Oralverkehr haben - oder wird der Natur damit zu viel weggenommen?"

So viel glühende Kohlen in den Gehirnwindungen hat das Publikum seit Dieter Hildebrandt nicht mehr gehabt. Was, um die von Dorfer liebstverspottete Gilde der inflationär um Welterklärung bemühten Hirnforscher einzubeziehen, auch ohne deren Zutun spürbar ist: "Da stehen drei, vier Achtelintellektuelle und halten den Kopf schief, damit das Halbwissen zusammen rinnt."

Es sind Sätze wie diese, die Freunde gehaltvollen, geschliffenen und kunstvollen Sprachgebrauchs jauchzen lassen. In Kombination mit dem lässigen Schmäh der österreichischen Obertonreihe in Hofers Wortmelodie darf es sich Alfred Dorfer sogar erlauben, brennende Fragen der republikanischen Gegenwart in differenzierter Weise anzusprechen - eine Fähigkeit, die im schatten- und grauzonenfreien Sortiment von Gut und Böse gegenwärtig weniger geschätzt ist, als es gut wäre für diese Gesellschaft.

Dafür braucht es Anreger wie diesen humanistisch gebildeten Erheller der Platonschen Höhle, in die der Mensch sich in diesen Zeiten nur zu gern zurückzieht, weil er dort privat, im altgriechischen Sinn "idiotes" sein darf. Dorfers Referenz an die klassischen "dialogoi" spiegelt sich mustergültig im koketten Spiel mit den intellektuellen Vorbehalten seiner fiktiven Gesprächspartner - vermutlich daher der befreite Applaus am Ende dieses Abends im Ebersberger Alten Kino. Damit treibt Alfred Dorfer tiefe Keile des Zweifels in die Mauern gefestigter Meinungen: "No no no no no, so steht's aber nicht in der Süddeutschen!" Doch.

© SZ vom 06.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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