Josef Riedl im Gespräch:"Die Kirche muss diskussionsfreudiger werden"

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"Ich versuche mir vor allem jetzt in der Weihnachtszeit kleine Zeitfenster offen zu halten. Einfach kurze Momente, in denen ich Zeit für mich habe", sagt der Ebersberger Pfarrer Josef Riedl. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kreisdekan Josef Riedl sieht etliche Herausforderungen für die Zukunft - von Personalmangel bis zum Stillstand bei Bauprojekten. Vor allem aber beschäftigt er sich mit der Frage, wie das Interesse von jungen Menschen geweckt werden kann

Interview von Carolin Schneider

Die Nächstenliebe ist keine aussterbende Tugend. Dessen ist sich Kreisdekan Josef Riedl sicher. Nach einem ereignisreichen Jahr 2017 ist für ihn jetzt die Zeit gekommen, Momente der Stille zu genießen, obwohl die Welt genauso chaotisch weiter geht. Doch der Ebersberger Pfarrer ist überzeugt: Gott ist gerade da, wo Unfriede und Chaos herrschen. Das war nicht nur zur Zeit Jesu aktuell, sondern auch heute.

SZ: Was denken Sie, welches Verhalten überwiegt zur Zeit in der Gesellschaft - Egoismus oder doch Nächstenliebe?

Josef Riedl: Es sind natürlich Spuren wahrzunehmen, die Richtung Egoismus gehen. Aber auf der anderen Seite kriege ich auch oft mit, dass Leute offen sind für andere. Bei der Spendenarbeit ist kein Einbruch zu verzeichnen. Wir bekommen auch nach wie vor Spenden für die Asylarbeit. Damit können wir viel erreichen.

Die Fremdenfeindlichkeit scheint aber trotzdem weiter zuzunehmen. Was denken Sie, wo führt das hin?

Nun, wir haben hier in Ebersberg ein bisschen eine Ausnahmesituation - wie ich finde. Fremdenfeindliches ist zumindest nicht so stark nach außen wahrnehmbar. Es kann aber auch sein, dass sich manche da nicht so an die Öffentlichkeit trauen, sondern sich die Dinge eher im Verborgenen denken. Manchmal hängt Sonntagfrüh ein Zettel an der Kirchentür mit fremdenfeindlichen Äußerungen. Der Mesner und ich sind aber so früh da, dass wir das entfernen können, bevor es jemand sieht. Für mich ist es wichtig, dass die Grenzen zum Populistischen nicht überschritten werden. Und da glaube ich, sind wir manchmal schon sehr nah dran. Natürlich kann man nicht sagen: Kommt alle zu uns. Wir können das nicht stemmen, das ist mir schon klar. Aber die Leute, die jetzt da sind, die sich bemühen, Fuß zu fassen, denen müssen wir helfen.

Gab es denn Niederlagen, die Sie beziehungsweise das Dekanat 2017 einstecken mussten?

Dass sich Bauprojekte so lange ziehen, wird quer durch das Dekanat von vielen als Niederlage oder besser als frustrierend empfunden. Bei der Menge der Bauprojekte, die auf der Liste stehen, ist das schon nachvollziehbar. Aber es ist halt ärgerlich, wenn nichts weitergeht und man den Eindruck hat, man wird nur in die nächste Warteschleife geschoben.

Welche Kirchen betrifft das denn?

In meiner unmittelbaren Zuständigkeit ist es die Filialkirche St. Michael in Egglburg oder die Kirche in St. Christoph. Und dann gibt es im Dekanat wahrscheinlich viele weitere Fälle, wie etwa die Pfarrkirche in Kirchseeon, die schon lange auf der Liste steht.

Wie war das Jahr sonst für das Dekanat?

Da gibt es ein Problem, das sich zunehmend bemerkbar macht: der Personalmangel. Frei werdende Stellen neu zu besetzen, ist ganz schwierig. Grafing hat Glück gehabt: Sie haben zum ersten Advent wieder einen Pfarrvikar bekommen. Kirchseeon ist momentan in der schwierigen Situation, dass der Diakon weggegangen ist und die Stelle nicht ausgeschrieben wurde.

Und wie ist das in Ebersberg?

In Ebersberg kann ich bis jetzt noch nicht klagen. Da sind wir ganz gut bestückt. Aber das Problem des Personalmangels wird sich in Zukunft noch mehr verschärfen.

Gibt es denn Lösungsansätze?

Es wird in Zukunft sicher mehr gefordert sein, über die Grenzen der Pfarrei hinaus zu denken. Stichwort Nachbarschaftshilfe: Wo kann man in anderen Pfarreien ein bisschen mithelfen, damit zumindest das Nötigste gemacht werden kann. Ebersberg arbeitet schon jetzt mit dem Pfarrverband Steinhöring zusammen und das läuft sehr gut. Seit 1. Juli haben wir einen Verwaltungsleiter für Steinhöring und Ebersberg. Das ist eine echte Entlastung für mich.

Wie sehen Sie die Zukunft der Kirche?

Gut, das religiöse Interesse in der Breite ist immer noch vorhanden.

Aber Tatsache ist doch, dass immer weniger Menschen in die Kirche gehen.

Ich sehe das auf mehreren Ebenen: Statistisch nimmt die Zahl der Kirchenbesucher ab. Bei denen, die jetzt in die Kirche gehen, fällt das Element Gewohnheit allerdings weg. Denen, die kommen, ist das wirklich ein Anliegen. Die Entwicklung vom Gewohnheitschristen zum Entscheidungschristen sieht man ganz deutlich.

Es sind vor allem junge Leute, die der Kirche fern bleiben, oder?

Ja, das stimmt. Vor allem Jugendliche, bei denen die Firmung ansteht oder die vor kurzem gefirmt wurden. Das ist gar nicht so einfach: Auch zum Glaubensleben gehört eine Emanzipation. Den Kinderglauben kann man nicht ewig mit sich rumschleppen. Der passt irgendwann nicht mehr. Und da stellt sich für mich schon die Frage: Was kann man tun, damit mit dem Kinderglauben nicht alles weg ist? Eltern haben vor kurzem angeregt, dass sich ein paar Jugendliche ja zusammentun und mit ihren Fragen zu mir kommen können. Das können sie immer gerne machen - ob ich aber alle Fragen beantworten kann, weiß ich nicht.

Finden Sie, die Kirche müsste jugendlicher werden, um gerade die jungen Menschen mehr anzusprechen?

Na ja, wenn ich sage, die Kirche muss jugendlicher werden, muss ich natürlich aufpassen, dass ich nicht andere abhänge, die etwas ganz anderes von der Kirche erwarten. Wir haben hier ein breites Angebot: Es gibt Gottesdienste mit neuem geistigen Liedgut, große Orchestermessen, Gottesdienste mit gregorianischen Chorälen. Das geht hier in Ebersberg natürlich nur, weil wir - im Vergleich zu anderen Pfarreien - eine sehr hohe Zahl an Gottesdiensten haben. Musik ist ein wichtiger Punkt, um die Kirche für Jugendliche schmackhafter zu machen. Es gibt aber noch einen anderen: Kirche hat den Ruf, dass man da nicht diskutieren kann, sondern alles vorgegeben ist. Dieses von oben herab behandeln - das muss weg. Da bin ich ziemlich sicher: In diese Richtung muss die Kirche noch viel diskussionsfreudiger werden.

Nun zum Thema Weihnachten: Wie kann man denn die doch so stressige Zeit besinnlich gestalten?

Wenn ich von mir ausgehe: Ich versuche mir vor allem jetzt in der Weihnachtszeit kleine Zeitfenster offen zu halten. Einfach kurze Momente, in denen ich Zeit für mich habe. Zeit zum Nachdenken. Zeit, die nicht verplant wird für andere Dinge. Allerdings ist das nicht immer so einfach. Manches kann man nicht einfach verschieben. Aber wenn man ein bisschen flexibel ist, kriegt man es schon hin, sich kleine Freiräume zu schaffen.

Was werden Sie den Menschen dieses Jahr an Weihnachten mit auf den Weg geben?

Die Weihnachtsbotschaft ist immer: Gott wird Mensch. Übersetzt auf unsere Zeit heißt das: Er ist da. Er lässt uns nicht fallen, macht sich nicht aus dem Staub - auch wenn die Welt noch so chaotisch ist. Es ist ein Trugschluss, dass Gott erst kommt, wenn alles stimmt und friedlich ist. Er ist gerade da, wo es drunter und drüber geht. Wenn man nur die Zeitumstände hernimmt von Jesu Geburt: Das war eine politisch hochaufgeladene Zeit. Er mischt sich genau da ein, denn egal was auf der Welt los ist: Er ist da. Viele glauben, dass Gott als der große Macher kommt und alles ordnet. Aber er fängt klein an. Immer wieder. Und das heißt ganz konkret: Ich kann mich nicht hinsetzen und warten, bis der liebe Gott was tut. Wer im Glauben unterwegs ist, ist ein Bote Gottes. Das liest man ja schon in der Weihnachtsgeschichte: Die Hirten machten sich auf den Weg, ebenso die Weisen. Gott suchte Mitgeher. Und die sucht er auch heute. Er traut uns zu, dass wir die Welt bewegen können. Und zwar in seinem Sinn: für die Menschen.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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