Interview:"Es gibt viele Zuwanderer, die eine seltene Sprache sprechen"

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Integrationsbeauftragte Mirjana Šimić sucht Zuwanderer, die mehrere oder seltene Sprachen sprechen. (Foto: privat)

Die Integrationsbeauftragte Mirjana Šimić arbeitet an einem Netzwerk ehrenamtlicher Übersetzer für den Landkreis

Interview von Anja Blum

Mirjana Šimić kennt sich aus mit Integration: Als sie vier Jahre alt war, zog sie mit ihren Eltern von Kroatien nach Kirchseeon. An die erste Zeit im deutschen Kindergarten erinnert sie sich noch gut: Das Mitsingen bei den Kinderliedern fiel ihr nicht leicht. Doch beim Spielen mit den anderen Kindern lernte sie die neue Sprache mit der Zeit immer besser. Heute ist Šimić die Integrationsbeauftragte des Landkreises und weiß, wie wichtig Verständigung ist, um Grenzen zu überwinden. Deswegen arbeitet sie seit Ende des Jahres 2014 unter anderem am Aufbau eines ehrenamtlichen Dolmetscher-Netzwerkes.

Dolmetscher, die ehrenamtlich tätig sind: Das klingt nach einer schönen Idee, aber wie soll das gehen, ohne dass sich eine Zunft selbst das Wasser abgräbt . . .

Mirjana Šimić: Nein, es geht hier natürlich nicht um die Tätigkeit der professionellen, amtlichen Dolmetscher. Die müssen davon leben und sind überdies auch ziemlich gut ausgebucht. Wir wollen für unser Netzwerk Menschen, die mehrere oder ausgefallene Sprachen beherrschen, und diese Fähigkeit gerne zum Allgemeinwohl einsetzen möchten.

Und wie wollen Sie die finden?

Dazu muss man wissen: Die Idee eines Netzwerks wurde angeregt durch den ersten Empfang für alle Neueingebürgerten des Landkreises im vergangenen Jahr. Denn unter anderem da haben wir gesehen, welches Potenzial in Ebersberg steckt: Es gibt hier sehr viele sehr gut ausgebildete Zuwanderer, die viele oder sehr seltene Sprachen sprechen. Und diesen Reichtum gilt es zu nutzen.

Das beantwortet die Frage nach der Akquise aber noch nicht . . .

Ja, dafür nutzen wir zunächst drei Wege: Bei dem Empfang haben wir schon viele potenzielle Übersetzer persönlich angesprochen und Kontaktdaten aufgenommen, und der nächste Empfang für 2015 ist schon in Planung. Außerdem fragen wir auch die Asylsuchenden immer nach ihrer Ausbildung und ihren sprachlichen Fähigkeiten, in erster Linie wegen des Zugangs zu den Deutschkursen. Dabei haben wir festgestellt, dass auch unter diesen viele mehrsprachige, hoch qualifizierte Menschen sind, die uns in den Unterkünften, aber auch im Rahmen des Netzwerkes sehr helfen können. Wenn zum Beispiel jemand beruflich einen medizinischen Hintergrund hat, ist das Gold wert. Außerdem wollen wir selbstverständlich die Medien nutzen: Im Grafinger Anzeiger etwa haben wir schon einmal einen Aufruf gestartet. Ebenso planen wir Inserate in den Zeitungen und im "Ebersblick". Eine wichtige Quelle sind darüber hinaus die Helferkreise, die vor Ort schon oft kleine Netzwerke an Übersetzern gebildet haben. Da sind wir in engem Austausch.

Für wie wichtig halten Sie einen Pool an ehrenamtlichen Dolmetschern für den Landkreis?

Für sehr wichtig. Schließlich ist die Idee aus unserer täglichen Arbeit heraus entstanden, in der wir großen Bedarf an kurzfristigen, unbürokratischen Übersetzungsmöglichkeiten haben. Denn neben den Gelegenheiten, in denen von Amts wegen ein Dolmetscher bestellt wird, also vor Gericht oder bei wichtigen behördlichen Vorgängen, gibt es zahllose Alltagssituationen, bei denen eine Übersetzung sehr hilfreich ist. Sei es bei uns im Landratsamt, beim Arzt, bei Konflikten in den Unterkünften oder bei der Anmeldung in der Kita. Doch in vielen Angelegenheiten können wir eben keinen professionellen Dolmetscher beauftragen - und das ist auch gar nicht nötig. Es geht schließlich schlicht darum, sich nicht mit Händen und Füßen verständigen zu müssen und Missverständnisse zu vermeiden. Wenn Menschen sich in ihrer Landessprache verständigen können, ist das einfach immer besser und schafft auch eine vertraute Basis.

Und an wen soll sich das Angebot richten?

An alle, die Bedarf haben. In erster Linie wird das Netzwerk natürlich den Flüchtlingen im Landkreis zugutekommen, aber auch mit Blick auf den Zuzug aus dem europäischen Raum, der ebenfalls kontinuierlich steigt, ist so ein Dolmetscher-Pool sinnvoll. Schließlich sprechen auch nicht alle EU-Bürger Englisch oder Französisch.

Wie weit ist der Aufbau des Netzwerks nun schon fortgeschritten?

Momentan haben wir eine Handvoll Übersetzer für Arabisch und Tigrinya, die wir oft einsetzen. Dazu kommen etwa 20 Ehrenamtliche für andere Sprachen. Aber grundsätzlich sind wir immer noch im Aufbau, vor allem am Sammeln und Erfassen. Unser Ziel ist, diese Phase in den nächsten zwei bis drei Monaten abschließen zu können.

Ist denn schon klar, wie das Ganze organisiert wird?

Wie gesagt, befinden wir uns derzeit noch im Aufbau und in der Konzeptarbeit. Ich denke, die Organisation wird sich aus Angebot und Nachfrage dynamisch entwickeln. Klar ist, dass wir im Landratsamt die Informationen haben und bei Bedarf weitergeben, das machen wir ja jetzt schon. Wenn zum Beispiel ein Helferkreis einen Übersetzer braucht, der einen Asylbewerber zum Arzt begleitet, geben wir nach Rücksprache mit dem Dolmetscher dessen Nummer weiter. Bei uns in der Behörde hat es sich aber auch schon oft bewährt, bei kurzfristigen Problemen per Telefon eine Übersetzung zu organisieren. So etwas wird also sicher auch zum Angebot des Netzwerkes gehören. Wichtig wird auch sein, dass Anlaufstellen wie Kitas und Schulen, die Wohlfahrtsverbände und Institutionen wie die Familienzentren die Info über das Netzwerk an die Zuwanderer weitergeben. Die müssen ja erst einmal wissen, dass wir ihnen helfen können. Im Übrigen werden wir auch den "AK Asyl" bei der Umsetzung einbinden, da wir dort auch wertvolle Informationen und Erfahrungen einbinden können.

Was müssen potenzielle Ehrenamtliche für diese Aufgabe denn mitbringen?

Sie sollten verlässlich sein, gut und vor allem neutral übersetzen und Situationen samt kulturellem Kontext gut einschätzen können. Und sie müssen natürlich gerne mit uns zusammenarbeiten wollen.

Und wie schaut es bislang mit der Resonanz auf Ihr Vorhaben aus?

Eigentlich sehr gut. Die angefragten Neueingebürgerten haben alle Interesse bekundet, bei den Flüchtlingen stoßen wir auch auf eine große Hilfsbereitschaft und auf das einmalige Gesuch im Grafinger Anzeiger haben wir bereits ein Dutzend Antworten erhalten. Aber wie viele Übersetzer wir dann tatsächlich einmal vorweisen können, kann jetzt noch niemand sagen.

Sind für die ehrenamtlichen Dolmetscher Schulungen geplant?

Ja, unbedingt. Darin sollen die Teilnehmer erst einmal für sich klären, was sie leisten können und wollen, also in welchem Umfang und in welchen Bereichen sie eingesetzt werden möchten. Außerdem wird es natürlich um Grundlagen des Übersetzens gehen. Zum Beispiel darum, dass man das Gespräch in kurze Einheiten unterteilen muss, um verlässlich übersetzen zu können. Welche Rollen Körpersprache und Augenkontakt spielen. Wie es gelingt, die nötige Distanz zu wahren, um interkulturelle Unterschiede und lauter solche Aspekte.

Wird es trotz Ehrenamt eine Aufwandsentschädigung geben?

Da es sich um eine wertvolle und anspruchsvolle Tätigkeit handelt, planen wir die Gewährung von Aufwandsentschädigungen, um zum Beispiel Fahrt- und Sachkosten abgelten zu können.

Und wie liegt der Fall bei den Asylbewerbern, die als Dolmetscher fungieren?

Deren Einsatz entlohnen wir schon jetzt als gemeinnützige Arbeit, das heißt, sie bekommen 1,05 Euro pro Stunde. Fahrtkosten entstehen ihnen aber keine, weil wir sie immer abholen, zum Einsatzort bringen und wieder zurückfahren.

© SZ vom 22.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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