Informationsnachmittag im Klosterbauhof:Wer nicht sehen kann, darf hören

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Ruth Tiedge-Eicher erklärt der Ebersberger Büchereileiterin Margit Napieralla das Abspielgerät für Blindenhörbücher. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Büchereien aus dem Landkreis beschäftigen sich mit Lesealternativen bei Sehschwäche. Vor allem eine Kooperation mit München soll helfen

Von Jonas Wengert, Ebersberg

Was tun, wenn aus dem Bücherwurm plötzlich ein Maulwurf wird? Oder weniger flapsig: Welche Alternativen zum Lesen haben Menschen, die zwar große Freude an allerlei Geschichten, Sachtexten oder Zeitungsartikeln haben, jedoch aufgrund von Krankheit oder altersbedingt überhaupt nicht oder nicht gut sehen können? Diesem Problem widmete sich am vergangenen Freitag die Ausstellung "Lesespaß trotz Sehschwäche" im Ebersberger Klosterbauhof.

Veranstaltet hatte die Aktion das Büchereinetzwerk Ebersberg gemeinsam mit der Bayerischen Hörbücherei für Blinde, Seh- und Lesebeeinträchtigte. Mehr als 40 000 ungekürzte Hörbücher hat die Spezialbibliothek aus München in ihrem Katalog. Wer einen Nachweis über eine Einschränkung vorweisen kann, erhält kostenlosen Zugriff und kann sich eingelesene Belletristik und Fachliteratur auf CD oder online als digitale Datei ausleihen.

"Die Ausstellung ist nun ein toller Auftakt für die zukünftige Kooperation mit den Büchereien vor Ort", sagt Ruth Tiedge-Eicher, Geschäftsführerin der Hörbücherei. Sie beschreibt Sehschwäche als kein einfaches Thema, dabei sei sie gleichzeitig ein häufiges Altersleiden, welches das Leben schmerzlich verändern könne. Deshalb sei es wichtig, den Menschen vorhandene Alternativen und Hilfsmittel zu zeigen und die lokalen Bibliotheken als Vermittler zu gewinnen.

Im freien Markt haben Hörbücher freilich bereits seit Jahren einen festen Platz und erfreuen sich steigender Beliebtheit. Das Besondere an den Audiodateien der Hörbücherei sind die jeweils komplett ungekürzten Fassungen, die beispielsweise auch Booklet und Impressum beinhalten. Des weiteren sind sie kompatibel mit speziellen Abspielgerät. Diese seien zwar nicht zwingend nötig, um die Aufnahmen anzuhören, brächten aber einige Vorteile mit sich, erklärt Tiedge-Eicher. "Vollständig erblindete Menschen haben oft ein trainiertes Ohr und können Texte sehr viel schneller hören als sehende", sagt sie und führt die veränderbare Lesegeschwindigkeit am Beispiel des Regionalkrimis "Himmelhorn" mit Kommissar Kluftinger vor. Solch ein Abspielgerät sei zwar mit circa 350 Euro nicht ganz billig, mit etwas Glück greife die Krankenkasse dabei jedoch unter die Arme.

Bei der Ausstellung wurden auch Hilfsmittel für Menschen mit noch vorhandener Sehfähigkeit vorgestellt. Im Idealfall begleite er seine Kundinnen und Kunden über Jahre, sagt Sebastian Lochner von Optik Lochner in Ebersberg. Von der Lesebrille über Lupen bis hin zur elektronischen Unterstützung könne so immer auf die aktuellen Bedürfnisse eingegangen werden. "Tatsächlich geht die Lesefähigkeit sehr schnell verloren. Deswegen ist es wichtig, dass man am Ball bleibt", erklärt er. Schon einfache manuelle Lupen könnten beispielsweise den Alltag beim Einkaufen erleichtern. Die Luxusvariante, eine Art Tablet, welches auf Rollen über die Zeitung geschoben wird und auf einem großen Bildschirm stufenloses Zoomen bietet, wird ebenfalls vorgeführt.

Eine weiteren Station der Ausstellung bietet Selbsterfahrung vor allem für Kinder: Schlafmaske über die Augen und dann beim Fühl-Memory gleiche Oberflächenstrukturen erkennen oder die Punkteanzahl auf Dominosteinen ertasten. Außerdem wird erklärt, wie Blinde die unterschiedlichen Werte von Geldscheinen erkennen. Dazu nutzen sie eine Plastikkarte mit Brailleschrift, um die die Scheine gewickelt werden.

Zurück zum geschriebenen Wort: Das Einlesen der Literatur organisiert die größtenteils durch öffentliche Gelder und Spenden finanzierte Hörbücherei selbst. Tilman Leher ist professioneller Sprecher. Er hat schon mehr als 100 Bücher für die Bibliothek aufgenommen und bietet den Anwesenden im Klosterbauhof bei Kaffe und Kuchen eine einstündige Kostprobe. Andächtig lauschen die Anwesenden der ruhigen und angenehmen Stimme des Vorlesers. Als Buch hatte sich das Büchereinetzwerk den Roman "Niemals" von Andreas Pflüger gewünscht. Ein Thriller um die Hauptfigur Jenny Aaron, ihres Zeichens Elitepolizistin mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, eine Art weiblicher James Bond - und außerdem blind.

© SZ vom 08.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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