In der Klinik:Pflegen im Dauerlauf

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Viel Arbeit gab es in der Pflege schon immer, doch in den vergangenen Jahren hat sich der Druck ständig verstärkt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Nach 25 Jahren als Krankenpflegerin hat sich Luise Wagner dazu entschieden, ihrem Beruf den Rücken zu kehren

Von Johanna Feckl

Wenn Luise Wagner arbeitete, dann stopfte sie Löcher. Tagein, tagaus. Es gab Risse. Und Wagner reparierte sie. Die 43-Jährige nähte sie wieder zu. So gut es eben ging. Immer wieder. Oft dieselben Löcher. Die Nähte waren einfach nicht stabil genug und platzten wieder auf. Luise Wagner, die eigentlich anders heißt, hantierte jedoch nicht in einer Schneiderei mit Stoffen und nähte Kleidung - das ist alles eine Metapher. Sie arbeitete in einer Klinik als Gesundheits- und Krankenpflegerin. 25 Jahre lang. Bis sie einfach nicht mehr wollte. "Ich habe keine Lust mehr, in diesem Rad mitzulaufen!"

Mit 17 Jahren begann Wagner ihre Ausbildung zur Krankenschwester. "Das war eine sehr schöne Zeit", erinnert sie sich. "Auch die ersten zehn Arbeitsjahre waren tippitoppi!" Klar, viel zu tun habe eine Pflegekraft immer, das sei auch früher nicht anders gewesen, betont die 43-Jährige. Aber: "Damals haben wir die Patienten richtig gesund gepflegt." In den letzten Jahren, die Wagner in ihrem gelernten Beruf gearbeitet hat, habe sich das verändert. "Gesundpflegen, sodass man das Gefühl hat, dass jeder Patient das bekommt, was ihm zusteht - das ist nicht mehr so wie früher möglich!" Das Löcherstopfen, der Dauerlauf durch ihre Schichten, von Patient zu Patient, von Krankenzimmer zu Krankenzimmer - es wurde immer mehr.

Irgendwann haben die Veränderungen ihrer Arbeitsbedingungen eine Frage in ihrem Kopf immer lauter werden lassen: Kann ich das noch verantworten? Eine Gewissensfrage.

Das Geld ist es nicht gewesen, weshalb Wagner weg von der Krankenpflege wollte. "Dass wir so furchtbar wenig verdienen, ist ein Mythos." In ihrem jetzigen Job verdient sie weniger als während ihrer Anstellung als Pflegerin. Wagner betont aber auch, dass die Wertschätzung einer Arbeit natürlich auch an das Gehalt gekoppelt ist. Wenn man bedenke, wie komplex viele medizinische Vorgänge in der Pflege sind und was das an Fachwissen erfordert, wenn man dann noch die Belastung durch die Patientenschicksale und durch den Schichtdienst berücksichtige - dann sei eine bessere Bezahlung absolut gerechtfertigt.

Ein höheres Gehalt birgt für die 43-Jährige trotz allem auch ein Risiko: "Der Hauptgrund, warum jemand in der Krankenpflege arbeiten will, darf nicht sein, weil er da super verdient." Der Fokus solle immer auf den kranken Menschen liegen, darauf, sie bestmöglich zu versorgen und ihnen damit zu helfen. Aber genau das hat für Wagner immer weniger funktioniert.

An manchen Tagen kam Wagner während ihrer Schichten nicht dazu, etwas zu essen, zu trinken, oder auch nur auf die Toilette zu gehen. "Ich bin oft raus aus dem Krankenhaus und dachte mir, dass ich die letzten Stunden in irgendeinem Kreisel verbracht habe", erinnert sie sich. Sie schüttelt den Kopf. Es waren einfach zu wenige Pflegekräfte, die zu viele Patienten versorgen sollten. Das schiefe Verhältnis zwischen pflegenden und kranken Menschen wurde mit den Jahren immer schiefer. "Jeder in der Pflege ist so ausgelaugt, die können nicht mehr."

Es fällt ihr schwer, von ihrer Klinikzeit zu erzählen. Immer wieder stockt sie, während sie spricht, seufzt tief. Ihr Blick ist entschuldigend. Als ob sie gerne einfach nur schöne Dinge über ihre Jahre in der Pflege berichten möchte. "In meinem Herzen bin ich immer noch Krankenschwester, da kann ich gar nichts dagegen machen!" Die Entscheidung, ihre Anstellung zu kündigen, fällte Wagner nicht leichtfertig: Jahrelang hat sie mit sich gehadert, sich immer wieder mal woanders beworben, um dann Zusagen doch wieder auszuschlagen - sie war sich einfach nicht sicher.

Aber die Situation in der Pflege wurde nicht besser. Der Personalmangel zwang Klinikchefs dazu, vermehrt auf die Arbeitsteilung in verschiedene Verantwortungsbereiche zu setzen: Eine Pflegekraft geht Visite, die andere ist an der Anmeldung, eine weitere organisiert Untersuchungen, eine Hilfskraft teilt den Tee aus, eine andere das Essen. In manchen Fällen gingen dadurch aber wichtige Informationen verloren, sagt Wagner. "Oft vonseiten der Hilfskräfte." Die 43-Jährige betont, dass so etwas keinesfalls aus Böswilligkeit geschieht, "die lernen so etwas ja gar nicht". Wagner spricht von einem fehlenden Rundblick. Sie nennt ein Beispiel: Wenn das Essen abgeräumt wird, müsse man wahrnehmen, wie viel der Patient gegessen hat, warum er vielleicht nicht genug zu sich genommen hat, ob er das schon länger macht und ob man hier etwas in die Wege leiten, einen Arzt hinzuziehen sollte. "Wenn dort aber Hilfskräfte sind, die diesen Background nicht haben - die räumen einfach ab und fertig."

Dadurch können jedoch schnell Pflegefehler entstehen, da ist sich Wagner sicher. Es seien oft Miniabläufe, die nicht optimal funktionieren. "Als Fachkraft siehst du jedes Mal, wo der Fehler lag", sagt die 43-Jährige. Und man könne trotzdem nur wenig dagegen tun. "Wenn man nicht total abgestumpft ist, dann tut so etwas weh - und dann sagt man auch irgendwann: Ich habe da jetzt keinen Bock mehr darauf!" Luise Wagner geht es nicht darum, dass im Krankenhaus früher alles viel besser war und heute die Pflege immer versagt. Das betont sie immer wieder. "Aber wenn man mit einem schlechten Gewissen aus der Arbeit rausgeht, obwohl man gar nichts dafür kann: Dann stimmt irgendetwas nicht."

© SZ vom 25.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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