Im Ebersberger Rathaus:Von verlorenen Siegern

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Eine Ausstellung mit grafischen Arbeiten von Hans-Heinrich Müller-Werther zeugt von dessen kritisch-gütigem Blick auf die Schwächen und Irrtümer der Menschheit

Von Anja Blum

Den Finger in die Wunde zu legen, ohne dass der Schmerz übermächtig würde - das ist eine Kunst, die Hans-Heinrich Müller-Werther vortrefflich beherrschte. Das beweist eine neue Ausstellung des bereits verstorbenen Ebersberger Künstlers in der Galerie des Rathauses. Vor allem grafische Arbeiten sind dort zu sehen, die klar machen: Diesem Mann war nichts Menschliches fremd, doch er hatte einen ganz besonderen, zugleich wahrhaftigen wie gütigen Blick darauf. Müller-Werther illustriert gekonnt die Schwächen und Irrtümer seiner Spezies, tut dies jedoch mit so viel feinem Humor, dass es nur ein wenig schmerzt.

Da gibt es "Die Sippe", in der der Dünnste die Dickeren trägt, ganz oben grinst ein feistes Gesicht. Unter dem Titel "Die Erben" ragt der Arm eines Skeletts aus dem Boden, in der Hand die Querstange einer Waage. Auf der einen Seite ein Mensch, auf der anderen prall gefüllt Geldsäcke, die - gegen alle Schwerkraft - so weit oben schweben, dass die gierige Meute sie nicht erreicht. Der "Tierfreund" liegt faul aber glücklich inmitten seiner Freunde im Bett, um ihn herum herrscht der schönste Saustall. Müller-Werthers "Lebenssymphonie" zeigt eine Geige als Schiff in tosenden Wellen, darauf viele Menschen: Sie tanzen, spielen, manche scheinen auch panisch zu sein. Der "Sieger" trägt zwar Lorbeerkranz und Orden, geht jedoch an Krücken, sein Hemd ist verschlissen, die Gestalt abgemagert, die Welt liegt in Schutt und Asche. "Na bravo!", möchte man rufen.

Ein Thema, das öfter wiederkehrt, ist die Hybris. Auf einer Zeichnung ragen drei windschiefe, schmale Türme aus einer Stadt gen Himmel, obendrauf jeweils ein Mensch, lesend, Handstand machend. Da kommt einem doch sogleich das Sprichwort mit dem Hochmut in den Sinn... "Die Spezialisten" hat der Künstler dieses Bild genannt. Unter dem Titel "Erkenntnisse" zeigt Müller-Werther die biblische Szene mit Eva, Adam, Apfel und Schlange - im Hintergrund dräut eine moderne Raketenbasis. In eine ähnliche Richtung weist "Der Einbruch der Technik": Eine Figur, offensichtlich Jesus, wird hier gleichsam überrollt von Errungenschaften wie Gleisen, Fallschirmen, Hochhäusern. Hinter ihm lauert der Tod in Gestalt eines Skeletts. Als konvertierte Protestant und überzeugter Ökumeniker wusste Müller-Werther die sakrale Ikonografie zu zitieren. Viele seiner Arbeiten zeugen davon, dass er sich an der Institution Kirche immer wieder rieb.

Hans-Heinrich Müller-Werther wurde 1911 als Sohn eines Kunstmalers in Nürnberg geboren. Der Vater hatte ihm reichlich Talent vererbt - "fast ein wenig zu viel", äußerte der Sohn einmal und gestand, dass er einige Zeit benötigte, um seinen eigenen Stil zu finden. Nach dem Abitur, studierte er in München an der Akademie der Bildenden Künste. Fünf Jahre musste Müller-Werther Kriegsdienst leisten, überlebte und zog anschließend nach Ebersberg, wo er den Lebensunterhalt seiner Familie - dem Zeitgeist entsprechend - mit Blumen- und Pferdebildern sicherte. Später arbeitete er als Zeichenlehrer am Gymnasium Grafing sowie als Kirchenrestaurator. Der Großteil seines zeichnerischen Schaffens entstand in den 50er und 60er Jahren. 2003 übergab Müller-Werther die meisten seiner Werke an Antje Berberich, die Hüterin der Städtischen Kunstsammlung Ebersberg, mit der ihn eine lange Freundschaft verband. Kurz darauf zog er altersbedingt in ein Seniorenheim nahe seiner Tochter. 2007, 96-jährig, schloss er seine stets wachsamen Augen für immer. Die Stadt erhielt von den Erben weitere Exponate als Dauerleihgabe. Es gibt also, Gott sei Dank, noch viel Material für weitere sehenswerte Ausstellungen.

Hans-Heinrich Müller-Werther, Ausstellung in der Galerie im Rathaus Ebersberg, zu sehen zu den üblichen Öffnungszeiten oder nach Vereinbarung unter (08092) 206 17 oder per Mail an a.berberich@ebersberg.de. Ausstellungsende am 27. Juni

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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