Im AWO-Seniorenheim:Pac-Man meets Thunberg

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Die Ausstellung des Vereins zum Schutz des Kirchseeoner Südens widmet sich heuer dem "Farbflächenfraß": 18 regionale Künstler zeigen ihre Werke - ein Kaleidoskop der Stile, Techniken und Motive

Von Anja Blum

Er ist ein deutliches Wort, der Flächenfraß. An ihm gibt es trotz aller Metaphorik nichts zu deuteln: Der Mensch hat einen unersättlichen Appetit auf Grund und Boden, den er sich mit Asphalt zu eigen macht. Kein Wunder also, dass der "Verein zum Schutz des Kirchseeoner Südens" den Neologismus "Farbflächenfraß" erdachte und zum Motto für seine neue Ausstellung erkor. Schließlich umreißt dieser genau das, was der Zusammenschluss - der einst wegen der Planspiele zu einer weitläufigen Umfahrung des Ortes gegründet wurde - wenn nicht verhindern, so zumindest eindämmen will. "Durch den Beginn der Bauarbeiten am Gewerbegebiet im Taglachinger Tal hat das Thema erneut düstere Aktualität erlangt", sagt Organisator Gerold Hauer bei der Vernissage. Allerdings, berichtet er weiter, sei der diesjährige Titel nicht bei allen Künstlern sogleich auf Wohlwollen gestoßen. "Er schien einfach manchem zu negativ." Doch der Hinweis, dass man das Motto ja auch im Sinne "bunter Farbflächen gegen Flächenfraß" interpretieren könne, habe die Gemüter wieder besänftigt.

Bereits zum achten Mal hat der Verein, der sich dem Schutz der Landschaft südlich der B304 verschrieben hat, nun eine Ausstellung organisiert, in Kooperation mit der AWO, in deren Kirchseeoner Seniorenheim die zahlreichen Werke noch bis Sonntag, 28. Juli, zu sehen sind. 18 Künstler aus dem Landkreis haben sich dieses Mal an der Schau beteiligt - es würden erfreulicher Weise immer mehr, so Hauer. Martina Brenner, Heidi Drenckhahn, Colin Duncan, Evi Duncan, Walter Günthner, Gerold Hauer, Christine Haupt, Edith Immich, Vivien Katholing, Susan Mintz-Weber, Susanne Oswald, Christina Scharfen, Helmut Scholz, Sabine Schorling, Angelika von Szczytnicki, Monika Tiefenböck, Heike Wildmoser und Hermann Will: Sie alle wollen mit ihrer Kunst "ein engagiertes Zeichen für den Erhalt der Natur in unserem Landkreis setzen".

Analog, aber nicht weniger spaßig ist der "Pac-Man" von Monika Tiefenböck, der sich über eine intakte Landschaft her macht (Foto: Christian Endt)

Und tun dies auf sehr unterschiedliche Weise, die Schau ist ein Kaleidoskop der Stile und Techniken, auch die Motive unterscheiden sich trotz des gemeinsamen Themas stark. Denn manche der Künstler packen es ganz deutlich an, andere bleiben lieber im Ungefähren, die einen zeigen die Bedrohung in düsteren Szenen, wieder andere wickeln die Botschaft in das fröhliche Papier des Humors. Unter den lustigen Arbeiten ganz weit vorne liegt Monika Tiefenböck mit ihrer Installation "Pac-Man": An dem Rahmen eines klassischen kleinen Ölgemäldes hat sie - in Anlehnung an das frühe Computerspiel - einen beweglichen gefräßigen gelben Punkt geheftet, der sich über die Landschaft hermacht. Auf dem Rücken des Vielfraßes thront die zerstörerische Zivilisation in Form von Straße, Fabrik, Strommast und Hochhaus. In seinem Maul, so scheint es, verschwinden Bäume, Berge, Wiesen, Bach. Nicht nur Kinder haben daran die größte Freude!

Zu jenen, die das Thema sehr direkt aufgreifen, gehört Gerold Hauer. Er hat Porträts der jungen Protest-Ikone Greta Thunberg ebenso beigesteuert wie zwei Gemälde, die Natur und urbanen Raum aufeinanderprallen lassen: "Verspekuliert" und "Fehlinvestition". Im ersten Fall erobern sich die Pflanzen den bebauten Platz zurück, im zweiteren haben Beton, Stahl und Glas die Oberhand. Ganz ähnlich Susanne Oswalds beeindruckender "Farbflächenfraß 1 und 2", hier strahlen dem Betrachter gelbe Blüten entgegen, im Hintergrund dräut düstere Industrie. Einen doppeldeutigen "Tatort" zeigt Angelika von Szczytnicki: eine Lichtung in dunklem Wald, auf dem Boden ein kaum wahrnehmbarer rosa Schimmer. Colin Duncan nimmt mit seinen Aquarellen die Vogelperspektive auf eine vergleichsweise realistische Landschaft ein, Walter Günthner rückt mit seiner kunstvollen Makrofotografie diversen Insekten auf den Leib und Helmut Scholz zeigt spannende Variationen von Baumrinde, mal mit Rissen, mal mit Farbe oder mit einem eingeritzten Herz versehen.

Susanne Oswald entführt den Betrachter mit Acryl und Tusche ins "Moor". (Foto: Christian Endt)

Bereits in Richtung Abstraktion reichen die zarten Kalligrafien von Heike Wildmoser. Das Thema Artensterben greift sie anhand weicher Wabenstrukturen auf - sie bieten "Weg und Durchgang". Zwei andere Arbeiten in Schwarz-Weiß zeigen "Unverdorbenes Land": an Adern erinnernde Geflechte aus mal klaren, mal verlaufenden Linien. Dem einen Blatt hat Wildmoser obendrein Schrift hinzugefügt, ein Loblied auf den unverstellten Blick in die Ferne, der den Menschen reflektieren, erkennen und dadurch innerlich wachsen lasse.

Aber auch gänzlich ungegenständlich haben sich einige Künstler des Themas angenommen, oft wird der Zusammenhang nur durch den Titel klar. "Die Erde erneuert sich", heißt zum Beispiel eine großformatige Arbeit von Christine Haupt, eine apokalyptisch-karge Landschaft unter fahlem Himmel, die durch ihre Struktur fast wir ein 3D-Bild wirkt. Den Betrachter beschleicht hier jedenfalls die Ahnung, dass es Mächte gibt auf dieser Welt, die stärker sind als der Mensch. Völlige Freiheit in der Interpretation lässt Edith Immich mit ihrer Serie "Farbenrausch" aus lauter reizenden kleinen Gemälden, deren Vielgestaltigkeit zu einer Entdeckungsreise einlädt. Richtig viel leuchtende Farbe setzt Martina Brenner dem Flächenfraß entgegen: eine gelb-orange flimmernde Abstraktion mit zahlreichen grün-braunen Einsprengseln und Horizonten.

Zur Vernissage ins AWO-Heim sind viele Gäste gekommen, aber auch die Bewohner freuen sich über die neue Kunst an den Wänden. (Foto: Christian Endt)

Ausstellung "Farbflächenfraß" im AWO-Seniorenheim Kirchseeon, Am Dachsberg 1 bis 3, Malerei und Fotografie aus dem Landkreis, bis 28. Juli täglich von 9 bis 18 Uhr zu sehen. Eintritt frei

© SZ vom 03.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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