Historischer Verein Ebersberg:Mehr als Vergangenheit

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In den zahlreichen Beiträgen des neuen Jahrbuchs des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg spiegeln sich oftmals sowohl größere Zusammenhänge als auch die heutigen Verhältnisse

Von Anja Blum

Mit einem recht dünnen Heftchen hat alles angefangen, vor nunmehr 21 Jahren. "Trotzdem haben wir schon damals den Anspruch gewagt, fortan jedes Jahr einen Sammelband herauszubringen", erinnert sich Bernhard Schäfer, Vorsitzender des Historischen Vereins für den Landkreis Ebersberg. Völlig zu Recht, wie man heute weiß, denn lange schon werden die Verantwortlichen jedes Mal wieder reich beschenkt mit Aufsätzen, die sich mit historischen Themen im "Land um den Ebersberger Forst" beschäftigen. So reich, dass immer wieder Autoren auf die nächste Ausgabe des Jahrbuchs vertröstet werden müssen. Denn sehr viele Heimatforscher aus der Region schätzen die Möglichkeit, ihre Erkenntnisse über den Verein mit der Öffentlichkeit teilen zu können. Und das Publikum weiß die Qualität der Hefte zu schätzen.

Die Revolution von 1918/19 erfasst auch den Landkreis: Die Grafinger Bauernwehr zieht mit erbeutetem Geschütz in München ein. (Foto: Veranstalter)

Auch das aktuelle sei als zeitliche und biografische Reise durch den Ebersberger Raum wieder "absolut lesens- und sehenswert", urteilt Tobias Scheller aus Oberpframmern. Der Lateinlehrer, er unterrichtet am Gymnasium Kirchseeon, hat heuer die Präsentation des Jahrbuchs übernommen. "Ich habe leichtfertig zugesagt - und wurde reich belohnt", scherzt er, bevor er die Aufgabe, Appetit aufs Lesen zu machen ohne schon zu viel zu verraten, mit Bravour meistert. Der 21. Band "Land um den Ebersberger Forst. Beiträge zur Geschichte und Kultur" beinhaltet zehn hochinteressante Aufsätze: Willi Kneißl schreibt über 1250 Jahre Kronacker, Pankraz Spötzl über Schloss Hirschbichl, Brigitte Schliewen über ein mittelalterliches Bauprojekt des Klosters Ebersberg, Ferdinand Steffan über das "Schwedenjahr", Thomas Freller über die Malteser in Möschenfeld, Peter Maicher über die erste bayerische Landtagswahl, Hans Sichler über die Kirche von Kirchseeon Dorf, Bernhard Schäfer sowie Günter Staudter und Hans Obermair über lokale Auswirkungen der Revolution von 1918/19. Außerdem gibt es zwei "Notizen": Maicher erinnert an Karl Dickopf, ehemals Leiter des Grafinger Gymnasiums sowie Heimatforscher, und Hans Huber widmet sich dem frisch gekürten Ehrenbürger der Gemeinde Glonn, Ortschronist Hans Obermair.

In Ebersbergs Pfarrkirche findet sich eine Büste mit Meisterzeichen. (Foto: Veranstalter)

Zurück ins Mittelalter führt gleich der erste Aufsatz. Kneißl aus Gelting blickt zurück auf 1250 Jahre Kronacker, Ortsteil von Hohenlinden, auf das früheste Zeugnis in Form einer Traditio, also Eigentumsübertragung, anhand derer der Autor auch von den damaligen Konflikten zwischen Adel und Bischöfen erzählt. Seine Ausführungen zu den beteiligten Personen führen dabei bis nach Südtirol und legen laut Scheller einen alemannischen Einfluss dar. Weiter geht es mit einer frech anmutenden These: Waren die Hirschauer des 14./15. Jahrhunderts möglicherweise Raubritter? Diese Frage liege dem Beitrag von Spötzl aus Emmering zugrunde, so Scheller. Denn damals habe es ein geflügeltes Wort gegeben, das da laute: "Wenn ein Rabe über Hirschbichl fliegt, schaut er sich sofort ängstlich um, ob er seinen Schwanz noch hat." Die Untersuchungen des Autors zu den Vertretern der Hirschauer aber legten nahe, dass dieser Spruch lediglich auf eine "gesunde Distanz der Untertanen zu ihren Herrschern" zurückzuführen sei. Und es bleibt feudal: Um Baumaßnahmen im mittelalterlichen Kloster Ebersberg geht es Schliewen aus Vaterstetten. Die Kunsthistorikerin beweise, so Scheller, dass historische Lohnabrechnungen mitnichten trockene Kost seien, sondern eine reichlich sprudelnde Quelle. Die Autorin nämlich erzähle anhand der Dokumente allerhand über den Berufsalltag, Bauabläufe, Namensgebungen und soziale Sicherungsprozesse der damaligen Zeit.

Der Malteser Johann Petzl war Komtur in Möschenfeld. (Foto: Veranstalter)

Geplänkel in Zorneding, Glonn, Zinneberg, Grafing und Ebersberg: Dem Vordringen der Schweden in den oberbayerischen Raum im Jahr 1632 widmet sich Steffen aus Eiselfing. Der Historiker, so Scheller, gebe Einblick in einen unterhaltsamen, lesenswerten Schriftwechsel zwischen einem General und dem Kurfürsten - "bei dem der Versuch, die Verluste zu beschönigen, gänzlich fehlschlägt". Die Suche nach dem Schuldigen führe zudem bis nach Wasserburg, zu einem epigrafischen Zeugnis dieser Zeit: dem Grabstein des Cornet Georg Joachim Nothafft bei Ebersberg. Über ein großes Wissen zu den Maltesern verfüge Freller aus Jagstzell, der anhand des Ordens von der Geschichte Möschenfelds erzählt. Im Fokus stehen dabei zwei Komture und deren Verdienste: Nicolas Maillot de la Treille und Joseph Petzl. "Hier wird regionale Geschichte in ihrer bayernweiten Wirksamkeit dargestellt." Das Große im Kleinen zeigt auch Maicher aus Zorneding auf, der sich der ersten Landtagswahl widmet - am Beispiel zweier Abgeordneter aus dem Landkreis: Anton von Hofstetten, Schlossherr von Falkenberg, und Anton Grandauer, Posthalter und Ökonom aus Zorneding. Gerade aufgrund deren unterschiedlicher gesellschaftlicher Stellung gelingt dem Autor laut Scheller eine spannende kritische Reflexion der heutigen demokratischen Realität. "Heimatgeschichte ist mehr als Vergangenheit!" Nicht Missstände, sondern eine Idylle schildert Sichler aus Ebersberg: Er erinnert an die Renovierung der Kirche von Kirchseeon Dorf 1853 und erzählt anhand dieser von einer völlig intakten Dorfgemeinschaft, die sich geschlossen für ihr damaliges Wahrzeichen einsetzte.

Die kolorierte Postkarte (um 1910) zeigt Schloss Hirschbichl. (Foto: Veranstalter)

Gleich drei Aufsätze beschäftigen sich mit der Revolution von 1918/19 und ihren Auswirkungen auf die Region. Schäfer aus Frauenneuharting schildert politische Realitäten und Gesinnungen in einzelnen Gemeinden, der Unterhachinger Staudter beleuchtet den Mikrokosmos Baiern, wo er Vertreter gegensätzlicher politischer Strömungen findet, und Obermair aus Glonn zeigt, dass den Menschen in seiner Gemeinde die Folgen des Krieges größere Sorgen bereiteten als politisch-systemische Fragestellungen.

Den Nachruf auf Dickopf ans Ende zu setzen, sei sehr gelungen, endet Scheller. Denn dessen Credo "Durch Mikrogeschichte die Welt erkennen" sei auch Antrieb für den Verein.

"Land um den Ebersberger Forst - Beiträge zur Geschichte und Kultur": Für 19,90 Euro erhältlich in den örtlichen Buchhandlungen, im Museumsladen in Grafing, beim Verein unter (08092) 33 63 73 oder www.ebersberger-historie.de.

© SZ vom 27.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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