Grundschule Zorneding:Vom Nebeneinander zum Miteinander

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In Zorneding feiern behinderte und nicht behinderte Kinder Abschied von vier gemeinsamen Grundschuljahren.

Karin Kampwerth

So normal kann Normalität sein. Während Eltern und Lehrer auf dem Zornedinger Schulsportplatz Biertische aufstellen und die mitgebrachten Köstlichkeiten zu einem Buffet anrichten, kicken Buben und Mädchen auf dem Bolzplatz. Behindert, nicht behindert - das ist hier keine Frage und erst recht kein Problem.

Trommeln für Integration: In Zorneding nur als Programmpunkt beim Abschlussfest der 4d und ihrer Steinhöringer Partnerklasse notwendig. Den ungezwungenen Umgang miteinander haben die Kinder während vier gemeinsamer Grundschuljahre längst gelernt. (Foto: Christian Endt)

Vier Jahre lang haben sich die Zornedinger Grundschüler und die Kinder der Korbinianschule am Steinhöringer Betreuungszentrum hier kennenlernen, aufeinander einlassen und sich in ihren Stärken und Schwächen annehmen dürfen. Das schöne Ergebnis des Projektes "Außenklasse", bei dem behinderte und nicht behinderte Kinder in Partnerklassen gemeinsam an einer Regelschule unterrichtet worden sind, offenbart sich auf ihrem Abschlussfest in seiner sympathischen Vielfalt.

Flavius zum Beispiel. Vielleicht ist es eine Spastik, vielleicht auch etwas anderes, was den Jungen beeinträchtigt - hier spielt das keine Rolle. Warum auch? Flavius strahlt über das ganze Gesicht beim Trommelstück, das die Buben beider Klasen für Eltern, Lehrer und Gäste einstudiert haben. Oder Steffi - motorisch wohl etwas unbeholfen. Beim Tanz der Mädchen aber ist sie in ihrem Element, wirft die Arme nach oben, beherrscht den Rhythmus, wiegt den Körper mit ihren Freundinnen im Takt.

Oder Claudia. Als sie ans Mikrofon tritt und sagt, dass sie mit Rosanna und Julia Freundinnen in der Partnerklasse gefunden hat, hört sich ihre Sprache ein klein wenig verwaschen an. An Ausdruckskraft fehlt es dem Mädchen nicht. Oder Salvatore. Er freut sich über seine "Kumpels" aus der 4d. Mächtig stolz klatscht er nach seiner kurzen Ansprache, auf deren Inhalt sich die Zuhörer etwas mehr konzentrieren mussten, mit Luis ab.

Was die Kinder an diesem Abend zum Ende ihrer Grundschulzeit an ungezwungenem Umgang miteinander präsentierten, ist auch Vorbild für die Erwachsenen - so zumindest formulierte es Elke Nützel-Rolke für die Eltern. Anfangs sei sie unsicher gewesen, ob eine Außenklasse in das starre bayerische Schulsystem passe. Hinzu sei die Befangenheit im Umgang mit den behinderten Kindern gekommen.

"Meine Tochter hat mir dann gezeigt, wie es geht." Dennoch ließ Elke Nützel-Rolke leise Kritik anklingen. Manchmal habe sie ein detailliertes Konzept vermisst. Gefragt hätte sie sich auch, wie denn die Alltagsprobleme gerade in der vierten Klasse mit dem Druck des Übertrittes für die Lehrer bewältigt werden könnten.

Szenenwechsel: Elisabeth Bobenstetter ist Sonderpädagogin und seit der dritten Klasse Lehrerin der GS 4 - so wird die Klasse der Steinhöringer in Zorneding genannt. Während sie ihre Kinder sachte in die S-Bahn schiebt, räumt sie ein, dass durch den Übertrittsstress in der Vierten wenig Zeit für gemeinsames Lernen geblieben sei. Deshalb geht es jetzt mit der 4d und ihrem Lehrer Matthias Ferdin zum letzten Ausflug beider Klassen in die Allianz-Arena. In der S-Bahn verteilt Elisabeth Bobenstetter die Einladungen für das Abschlussfest.

Lena steckt den Zettel Flavius in den Rucksack: "Den musst du deiner Mama geben." Carlos beschwert sich derweil lachend über seinen Mitschüler, dessen Mundmuskulatur mitunter den Speichelfluss nicht steuern kann. "Ej, der hat mich angelullert!", ruft er durch den Waggon, ohne auch nur eine Spur abwertend zu klingen.

Frau Bobenstetter nennt dieses Verhalten tolerantes Miteinander. Die Kinder interessiert das wenig. Hier fühlt sich niemand als etwas Besonderes. Nicht die Zornedinger Kinder, weil sie mit behinderten Schülern so vorbildlich umgehen. Nicht die Steinhöringer Kinder, weil sie eine Regelschule besuchen. Alles ganz normal eben.

Und ein Schritt in Richtung dessen, was einmal sein soll. Nach der Ratifizierung einer UN-Konvention haben behinderte Kinder seit 2008 freien Zugang zu allen Bildungseinrichtungen. Inklusion nennt man das und die Sonderpädagogen in Steinhöring haben sich über die Voraussetzungen Gedanken gemacht. Laut Schulleiter Markus Schmidt soll das Nebeneinander zum Miteinander werden: Behinderte Kinder besuchen Regelschulen genauso wie nicht behinderte Kinder Förderschulen. Diese blieben für schwerer beeinträchtigte Kinder durch ihre beschützenden Rahmenbedingungen unverzichtbar.

Unabhängig von der Schule gelte es ohnehin, die Persönlichkeit eines jeden Kindes zum Leuchten zu bringen, egal wie gering seine Fähigkeiten auch sein mögen, zitierte Schmidt auf dem Abschlussfest einen ehemaligen Lehrer. Auch Zornedings Schulleiter Winfried Goldner verabschiedete sich von den Viertklässlern mit einem Zitat des früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: "Es ist normal, verschieden zu sein."

Dass die Zornedinger Schüler das ohne Mühe gelernt haben, drückten Regina, Julia und Rosanna aus. Sie lasen im Namen aller Kinder nicht nur vor, was gut war, sondern auch, was weniger gut war. Zum Beispiel, dass die Kinder aus der 4d beim Völkerball den Ball nicht abgeben wollten. Oder dass die Buben beider Klassen öfter gerauft hätten. Eben ganz normal.

© SZ vom 24.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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