Handwerker verzweifelt gesucht:Zu viele Baustellen

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Der Bauboom in der Region, hier das neue Wohngebiet Vaterstetten Nordwest, beschert den Firmen volle Auftragsbücher. Die Kehrseite der eigentlich guten Nachricht ist, dass viele Kunden monatelang keine Handwerker mehr finden. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Einen Handwerker zu finden, wird im Landkreis zunehmend zum Problem. Viele Firmen sind bis zum Anschlag ausgelastet, lange Wartezeiten und hohe Kosten für Auftraggeber sind die Folge

Von Viktoria Spinrad, Ebersberg

Mal abschalten und runterkommen ist schwierig geworden für Markus Rott. Der Bauingenieur aus Forstinning arbeitet knapp 60 Stunden in der Woche, "das hinterlässt Spuren", sagt er. Und trotzdem kommt er kaum hinterher mit den vielen Anfragen für den Bau des eigenen Häusels. Bis Juli ist sein Auftragsbuch voll. "Früher hast du um jeden Auftrag gekämpft" sagt er, heute rufen die Leute schon Anfang Januar an und fragen, ob er heuer noch Zeit habe, ihr Haus zu planen.

Egal ob Bauingenieure, Dachdecker oder Elektriker - selbst im Winter sind die Auftragsbücher der Handwerker im Landkreis Ebersberg voll. Der anhaltende Zuzug und niedrige Zinsen forcieren in der ganzen Region München einen Boom im Neubau. Für Handwerker bedeutet dies selbst im Winter nahezu Vollbeschäftigung; für den vergangenen Monat meldete das Arbeitsamt noch 64 offene Stellen. "Eine unglaubliche, fast historische Situation", sagt Johann Schwaiger, der Kreishandwerksmeister. "Früher waren im Winter auch mal 40 Prozent der Handwerker ohne Arbeit."

"Im Herbst könne was frei sein", heißt es bei einem Dachdecker

Dabei hat die für Handwerker komfortable Situation im ohnehin wirtschaftlich starken Landkreis natürlich auch eine Kehrseite: Weil Handwerker zur Mangelware werden, müssen Kunden sich auf zunehmend abenteuerliche Wartezeiten einstellen. "Im Herbst könnte noch etwas frei sein", heißt es etwa auf Nachfrage von der Dachtechnik Deckelmann in Ebersberg. Im Frühjahr und Sommer sei die Firma bereits ausgebucht, "die Leute bauen eben wie verrückt." Ähnliches ist aus Forstinning von Ingenieur Rott zu vernehmen: Wer mit seiner Baufirma bauen will, sollte sich bis zum Juli gedulden.

"Vor fünf Jahren wären es noch ein, zwei Monate gewesen", sagt er; mittlerweile leistet er sich den Luxus, bei Anfragen, die offensichtlich nur dem Preisvergleich dienen, gleich abzusagen. Fast nur noch zu seinen Stammkunden fährt auch der Grafinger Elektriker Georg Grabmeier. "Außer, es ist was Dringendes." Mit einem anderen Elektriker, dem Forstinninger Dirk Pfeiler kommt gar kaum ein Gespräch zustande: "Ich muss weiter", sagt er abgehetzt ins Telefon, lässt aber noch verlauten, dass auch er bis zum Sommer ausgebucht ist.

Kleinere Aufträge werden fast gar nicht mehr angenommen

"Gerade für kleinere Aufträge bekommt man von den Baufirmen kaum noch Angebote rein", moniert der Grafinger Architekt Michael Hüttinger. Eigentlich hatte er geplant, seine Neubauwohnungen in München-Riem Ende Februar fertig zu übergeben. Es brauchte zwei Ausschreibungen, bis er Elektrotechniker und Heizungsinstallateure fand. Seit sechs Wochen sucht er nun vergeblich nach Zimmerleuten und Lieferanten. Fenster, die er bestellt hatte, wurden monatelang nicht geliefert. "Dass eine Bestellung gar nicht erst ankommt, das habe ich so noch nie erlebt", sagt Hüttinger.

Wenn Architekten und Privatleute monatelang auf jemanden warten, der ihre Dusche einbauen oder das Dach decken soll, dann liegt das auch am anhaltenden Fachkräftemangel. "Wir würden gerne noch ein, zwei Dachdecker einstellen", sagt Dagmar Schindler von der Ebersberger Firma Deckelmann. Doch der Markt ist wie leergefegt. Zum ersten Mal seit fünf Jahren konnte das Unternehmen zwar wieder einen Lehrling einstellen - den Sohn eines Mitarbeiters. "Das war aber ein Glücksfall", sagt Schindler, die jahrelang vergeblich Schulen kontaktierte. Den Weg über das Arbeitsamt gehe sie nicht mehr, "da kam nie was".

Gänzlich aufgegeben hat der Grafinger Kilian Hocheder die Suche nach geeignetem Nachwuchs: "Gute, motivierte Burschen bekommst du nicht mehr", moniert der Haustechniker. Zu viele Azubis mit schlechten Umgangsformen und mangelndem Mathematik- und Sprachverständnis habe er erlebt. Und die Mädchen, die oft bessere Schüler sind, "die interessieren sich ja leider nicht fürs Handwerk." Also wuppt er den Betrieb lieber mit seinen vier Mann. Um die raren Fachkräfte überhaupt im eigenen Betrieb zu halten, kommt so mancher Chef seinen Leuten entgegen: mit gutem Verdienst, flexiblen Arbeitszeiten und Prämien. "Heutzutage muss man seine Arbeiter bauchpinseln, damit sie bleiben", sagt der Forstinninger Elektrotechniker Josef Ehrnstraßer.

Die Zeit der Rabatte ist vorbei

Eine angespannte Situation, die sich vor allem auf das Geldsäckel der Kunden auswirkt. "Die Zeit der Rabatte ist vorbei", sagt Bauingenieur Markus Rott. Um drei Prozent gehen die Baupreise jährlich nach oben, hinzu kommen gestiegene Nebenkosten für Energie und Rohstoffe. "Am Ende müssen wir das an die Kunden weitergeben" so Rott. Besonders teuer kann es werden, wenn Betriebe überhöhte Preise einsetzen, die Kunden mit kleineren Aufträgen abschrecken sollen. Kreishandwerksmeister Johann Schwaiger gibt an, das dies im Landkreis derzeit selten sei: "Noch funktioniert der Wettbewerb", sagt er.

Es bleiben überarbeitete Handwerker und horrende Wartezeiten für die Kunden. "Wir sind an einer Obergrenze", warnt Ulrich Krapf von der Wohnungsgenossenschaft Ebersberg. "Schlimmer sollte es nicht werden, die Situation ist für alle Beteiligten belastend." Zumindest im Neubaubereich erwartet er langfristig Entlastung: Wenn sich der Baugrund im Landkreis Ebersberg weiter verknappt und die Zinsen wieder steigen, "dann dürften die Menschen ihr Geld in ein, zwei Jahren statt in Immobilien auch wieder bei der Bank anlegen", prognostiziert der Vorstand. Derweil nimmt Markus Rott die Auftragslage und seine damit einhergehende Erschöpfung sportlich: "Lieber so als zu wenig Arbeit."

© SZ vom 11.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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