Fendsbach/Steinhöring:Eine Frage des Geldes

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Betroffene diskutieren mit SPD-Politikern das geplante Teilhabegesetz für Menschen mit Behinderungen

Von Anselm Schindler, Fendsbach/Steinhöring

Mit stolzem Blick zeigt Landwirt Michael Pirs auf die Rinder im Stall der Fendsbacher Werkstätten, "das sind meine", sagt er. Die Rinder lassen sich von dem Treiben im Stall nicht Ablenken an diesem heißen Montagnachmittag, sie ignorieren den Besuch aus Berlin. Rolf Schmachtenberg ist bereits am Morgen mit dem Flugzeug in München gelandet, er ist den ganzen Tag in den Landkreisen Ebersberg und Erding unterwegs, seine Mission: Den Menschen vor Ort den Entwurf des Bundesteilhabegesetzes näher zu bringen. Schmachtenberg ist der Architekt des neuen Gesetzes und als Leiter der Abteilung für Teilhabe und Belange behinderter Menschen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales federführend für die Ausgestaltung des Gesetzestextes zuständig.

Und der stößt an diesem Tag nicht überall auf Gegenliebe, doch damit hat Schmachtenberg bereits gerechnet. Ewald Schurer, SPD-Bundestagsabgeordneter für die Wahlkreise Ebersberg und Erding, hat Schmachtenberg nach Oberbayern geholt, an diesem Tag besuchen die beiden zusammen mit Regionalpolitikern und Experten zwei Behinderten-Werkstätten des Einrichtungsverbundes Steinhöring, am späten Nachmittag dann stellen sie sich in einer Podiumsdiskussion in einer Halle der Werkstatt in Steinhöring den Fragen des Publikums.

369 Seiten umfasst der Gesetzesentwurf, Ende April wurde er dem Bundestag vorgelegt. Prompt kam es zu Protesten von Menschen mit Behinderung, Unterstützern und Sozialverbänden. Vor dem Bundestag ketteten sich Rollstuhlfahrer an, auch in München gab es Proteste. Die Kritiker sind sauer, sie monieren, dass Kosteneinsparungen und die Verwertbarkeit von Arbeitsleistung im Vordergrund stünden, nicht aber die Selbstbestimmung und die Rechte von Menschen mit Behinderung.

Schmachtenberg kennt diese Vorwürfe, er ist auch nach Oberbayern gekommen, um sie zu entschärfen, um sein Gesetz zu erklären. Und um mit den Menschen in Kontakt zu kommen, die vom Gesetz betroffen sein werden. So wie Landwirt Michael Pirs, der von Geburt an behindert ist und in einer Einrichtung in Hörlkofen im Landkreis Erding lebt.

Der Besuch von Ministeriumsmitarbeiter Rolf Schmachteberg ist gut gemeint, doch es gibt da ein Problem: So sehr sich Schmachtenberg auch bemüht, nicht in das gewohnte Amtsdeutsch zu verfallen, so komplex und bürokratisch ist der Gesetzesentwurf. Und Formulierungen hin oder her - auf die Betroffenen hat das Gesetz ganz konkrete Auswirkungen: Seinen Wohnort bestimmen zu können gehört zu diesen konkreten Dingen, genau wie der Kontostand behinderter Menschen. Doch Schmachtenberg kann sich winden und Sachzwänge erklären wie er will: Die Betroffenen wird er damit nicht beschwichtigen können. "Da geht es nicht um Zahlen, sondern um Menschen", so formuliert es Gertrud Hanslmeier-Prockl, Leiterin der Steinhöringer Werkstätten. Sie ist den ganzen Tag mit von der Partie, am Nachmittag sitzt sie mit auf dem Podium.

Schmachtenberg verteidigt sein Gesetz, lobt die steigenden Freibeträge: Wer die sogenannte Eingliederungshilfe bezieht, also Hilfe bei der Aufnahme einer Arbeit, in der Mobilität oder für betreutes Wohnen, darf laut Gesetzentwurf ab 2017 einen Freibetrag von 25 000 Euro an Vermögen selbst behalten, dieser Betrag wird nicht mit der Eingliederungshilfe verrechnet. Der Haken: Für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung gilt das nicht, für sie bleibt die alte Regelung, wonach große Teile des Vermögens auf die Sozialleistungen angerechnet werden. Dabei gilt ein Freibetrag von nur 2600 Euro. Geld für Urlaub oder Altersversorgung zu sparen wird für die betroffenen Menschen so nahezu unmöglich.

Im Januar kommenden Jahres soll das neue Teilhabegesetz in Kraft treten, das zumindest will Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD). Bis dahin hoffen Behindertenverbände, noch Änderungen zu erwirken. Im Publikum sitzt auch Renate Geifrig vom Verbund behinderter ArbeitgeberInnen (VbA) in München: "Wir haben uns von diesem Gesetz sehr viel versprochen", sagt Geifrig und beklagt, dass die Verbesserungen, die das Gesetz mit sich bringe gerade für Menschen mit Behinderung, die Pflegeleistungen benötigen, nicht greifen.

Der Grundsatz, wonach eine ambulante Unterbringung pflegebedürftiger Menschen mit Behinderung einer stationären Unterbringung vorzuziehen sei, sähen die Behindertenverbände durch das neue Gesetz bedroht, so Geifrig. Und tatsächlich: Das Wohnen in den eigenen vier Wänden ist nach dem neuen Teilhabegesetz künftig oft nur dann gestattet, wenn es günstiger ist oder ein Leben im Heim unzumutbar ist. "Das ist so nicht unser Gesetz", schimpft Geifrig. "Nicht mein Gesetz", dieser Spruch steht auch auf Oberteilen von Menschen im Publikum, es ist der Leitspruch derer geworden, die seit Monaten gegen das Teilhabegesetz aufbegehren.

Rolf Schmachtenberg bittet die betroffenen Menschen im Publikum um Geduld, "auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut". Aus dem Publikum kommt wütendes Schnauben. Er müsse auch die Finanzierung im Auge behalten, rechtfertigt sich Schmachtenberg. Finanziert werden die betreffenden Leistungen von Ländern und Kommunen. Für Schmachtenberg ist es eine Gratwanderung, einerseits will er den berechtigten Forderungen der Betroffenen gerecht werden, anderseits muss er es auch den Kommunen recht machen. Doch Werkstättenleiterin Hanslmeier-Prockl ist das Gesetz zu sehr auf die Finanzierung ausgelegt, auch die zusätzlich entstehende Bürokratie koste viel Geld, schimpft sie.

Alle Hoffnungen sind jetzt auf den Bundesrat gerichtet, denn den muss das Gesetz noch passieren, bis es 2017 in die Praxis umgesetzt werden kann. Im Bundesrat, sagt Rolf Schmachtenberg, seien dann noch Verbesserungen im Sinne der Betroffenen möglich.

© SZ vom 13.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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