Eröffnung am Sonntag:Zwangsarbeit auf Vaterstettens Feldern

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Ehrenamtliche haben einen Güterwaggon zu einem Museumswagen über eines der vielen düsteren Kapitel der NS-Zeit umgestaltet

Von Clara Lipkowski

Der Eisenbahnwagen kam per Spezialtransporter. Mit seinen 14 Metern Länge und rund 20 Tonnen Gewicht wurde er in einem Konvoi Richtung Vaterstetten gefahren. Bevor der rostrote Waggon an der Vaterstettener Straße abgeladen werden konnte, hievte man ihn sogar noch auf einen Tieflader. Ein Riesenaufwand, aber nach einigen Stunden stand er auf den Schienen, die man extra vor der Ankunft verlegt hatte.

2013 war das, nun steht der Waggon immer noch dort. Um ihn herum: Felder. Braune, rötliche, grüne Flächen, mit der Jahreszeit ändern sich die Farben, aber viel mehr scheint hier nicht zu passieren, zwischen Vaterstetten und Baldham-Dorf. Irgendwann kam mal der Bund Naturschutz vorbei und pflanzte neben dem Wagen einen Maibaum. Seine dünnen Äste wiegen jetzt sachte im Wind.

Warum ein Eisenbahnwaggon in dieser Gegend? "Wir wollen das Andenken wahren", sagt Klaus Hugo. Der 82-Jährige steht in dem Wagen, unter seinen Füßen Holzdielen, über ihm eine Reihe einfacher, schwarzer Lampen. Er zeigt auf eine Schautafel, die er gerade mit Hans-Joachim Günter, 77, an einer Wand aus Paneelen befestigt hat. Die beiden sind Mitglieder des Vereins Eisenbahnfreunde Vaterstetten.

Am kommenden Sonntag, dem Tag des offenen Denkmals, hoffen sie, dass sich viele Vaterstettener den Waggon nicht nur im Vorbeifahren aus dem Auto ansehen, sondern auch mal aussteigen und hereinkommen. Denn viele Jahre hat es gedauert, aber jetzt endlich ist der Museumswagen fertig eingerichtet. Zum Gedenken an die etwa 400 Zwangsarbeiter, die genau an dieser Stelle zwischen 1944 und 1945 um ihr Leben schufteten.

Güterwaggons wie dieser dienten in der NS-Zeit als Quartier für Zwangsarbeiter: Die Eisenbahnfreunde Vaterstetten, hier Hans-Joachim Günter und Klaus Hugo, haben darin eine Gedenkausstellung geschaffen. (Foto: Christian Endt)

Der rostige Wagen ist, das muss man allerdings dazusagen, kein Original, entspricht aber den Maßen und der Ausstattung der Güterwaggons, die damals üblich waren. Das erwähnen die beiden Männer nur, sie könnten aber noch viel mehr technische Details nennen, sie waren beide "Eisenbahner", Züge aller Art faszinieren sie bis heute. Einige Originalwaggons wurden nach Kriegsende in die USA verschifft, dort stehen sie heute in Ausstellungen. Der Waggon in Vaterstetten stammt aus dem hessischen Groß-Gerau. Wagen wie dieser wurden in den 50er Jahren vielfach von der Deutschen Bundesbahn hergestellt. Klaus Hugo fand ihn über Eisenbahnerkontakte und holte ihn 2013 in den Landkreis Ebersberg.

Sieben Jahre zuvor hatte Georg Reitsberger, dem der "Tatort" gehört, der Erinnerungsarbeit erstmals Antrieb gegeben. Bei Umgrabungen stellte der heutige Vaterstettener Bürgermeister fest, dass der Boden "irgendwie anders" war, sagt Klaus Hugo. Heraus kam letztlich, dass hier einmal von Zwangsarbeitern verlegte Schienen verliefen. Kurz darauf errichtete man symbolisch einen kleinen Trassenabschnitt und stellte eine Infotafel auf. Später kam dann der Waggon.

"Wir wollen das Andenken wahren", sagt Klaus Hugo. (Foto: Christian Endt)

Die Trasse war eine Idee der Nationalsozialisten kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs: Wegen anhaltender Luftangriffe wollten sie den Schienenverkehr 1944 aus München auslagern. Vor allem Güterzüge sollten über das Umland geleitet werden. Einen Abschnitt von neun Kilometern plante man zwischen Feldkirchen und Zorneding.

Da aber kaum Arbeitskräfte verfügbar waren - alle Männer waren zur Front abberufen - verpflichteten die Nationalsozialisten holländische und polnische Zwangsarbeiter. Sie verlegten die Trasse unter widrigsten Arbeitsbedingungen - es fehlte an Essen, angemessener Kleidung. Auch die Unterbringung der Arbeiter war beklagenswert. "30 Mann waren in so einem Wagen untergebracht", sagt Klaus Hugo, "natürlich gab es keine Matratzen, sie schliefen auf Stroh. Auf 14 Metern Länge, drei Metern Breite - entsprechend eng kann man sich das vorstellen." Trotzdem gelang die Fertigstellung. Ein Zug fuhr zwischen Zorneding und Feldkirchen allerdings nie, das Kriegsende kam der Jungfernfahrt zuvor. Danach wurde die Trasse bald zurückgebaut, weil man die Äcker brauchte.

Im Verein arbeitet man jetzt daran, ein Video von Zeitzeugen, die heute in den Niederlanden leben, auf Deutsch zu synchronisieren. Bis Sonntag wollen die Ehrenamtlichen aber erst einmal den Wagen fertig herrichten. Sie werden Infofilme zeigen, zur Veranschaulichung eine Modelleisenbahn fahren lassen und ein großes Luftbild des Streckenverlaufs präsentieren.

Wie es im Winter weitergeht, werde man sehen, sagt Hans-Joachim Günter, vielleicht nutze man den Wagen für andere Ausstellungen. Überwintern muss der Museumswaggon an seinem Standort aber auch in Zukunft. Denn noch einmal verfrachten wird man den 20-Tonner bestimmt nicht.

Der Museumswagen ist am Sonntag, 9. September, von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Anfahrt: Mit dem Auto bis zur Vaterstettener Straße, er steht etwa mittig zwischen Baldham-Dorf und V aterstetten (nahe dem Reitsberger Hof).

© SZ vom 06.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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