Erinnerungen aus Ebersberg:Von Freiheiten und Fremdheiten

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Immer wieder melden sich bei Neffe Wolfgang Eberle in Ebersberg Menschen, die auf Bernhard Kollers Gedichte gestoßen und davon berührt sind. (Foto: Christian Endt)

Was bleibt von einem Dichter, der schon früh aus dem Leben scheidet? Vom Nachwirken des Bernhard Koller erzählt sein Neffe Wolfgang Eberle

Interview von Franziska Langhammer

Kaum jemand, der Bernhard Koller persönlich kannte, ist noch am Leben. Ein wenig Einblick in dessen Umfeld kann jedoch Wolfgang Eberle geben; seine Mutter Elisabeth war Bernhards Schwester.

SZ: Bernhard Koller ist Ihr Onkel, Sie haben ihn jedoch nie persönlich kennengelernt. Hat man in der Familie viel über ihn gesprochen?

Wolfgang Eberle: Nein, leider nicht. Er blieb nicht greifbar, war fast eine Leerstelle. Zwar wurde betont, dass er ein großes dichterisches Talent hatte, aber es gab keine Erzählungen aus dem Alltag von ihm. Der Beschluss meiner Großeltern, die Selbsttötung geheim zu halten, hat auch später das Darüber-Sprechen enorm erschwert. Es herrschte eine große Sprachlosigkeit. Dieser Deckel, den man sich verordnet hatte, hat auch was hinterlassen bei den Menschen. Als meine Großmutter starb, setzte sich meine Mutter dann über das Verdikt hinweg und begann, über ihren Bruder zu erzählen.

Was wissen Sie über das Wesen Ihres Onkels?

Ich persönlich weiß nichts, habe nur Bausteine, einzelne Geschichten erfahren. Was übrig bleibt, ist ein sehr eingeengtes Bild. Meine Mutter und Bernhard scheinen sich nie sehr nah gewesen zu sein. Als männlicher Nachkomme hatte er viel mehr Freiheiten als seine Schwester, die er sich auch herausnahm. Auch habe ich von mehreren Seiten gehört, dass er sehr von sich überzeugt war. Vor allem in seinem letzten Jahr war er meiner Mutter sehr fremd.

Was waren das für Bausteine?

Eine Geschichte hat meine Mutter schon vor Jahren mal in einem anderen Interview erzählt: Bernhard hatte an Weihnachten seiner Mutter Gedichte geschrieben. Sein Vater hat es sich nicht nehmen lassen, diese auf abwertende Art zu kritisieren. Das hat auch meine Mutter so getroffen, dass sie es 50 Jahre später noch erzählt hat. Bernhard war sehr konsequent: Er hat nie wieder was zuhause vorgezeigt. Dass er weiterhin Gedichte geschrieben hat, wusste keiner, bis er kurz vor seinem Tod das Päckchen an seinen Lehrer Otto Förster schickte, mit der Bitte um Veröffentlichung. Er war einerseits sehr überzeugt von dem, was er tat. Andererseits hatte er auch nicht den Mut, sich selbst für die Veröffentlichung der Gedichte einzusetzen.

Die Postkarten an den Vater, Wolfgang Koller, klingen sehr distanziert. Wissen Sie etwas über das Verhältnis zwischen Vater und Sohn?

Mein Großvater hat sich auch als Dichter und Schriftsteller betätigt. Dass er irgendeine Art von Konkurrenz in Bernhards Schreiben gewittert hat, ist denkbar. Andererseits wurde Bernhard auch viel mehr zugestanden als seiner Schwester. Im Herbst 1954 ist er in sein eigenes Zimmer nach München gezogen, um zu studieren. Das wurde ihm finanziert, und es wurde keinerlei Nachweis gefordert, was er eigentlich tut. Auch durfte er sich ab und zu den VW-Käfer seines Vaters ausleihen und damit in der Stadt spazieren fahren.

Von einigen Literaturwissenschaftlern wird Bernhard Koller auf eine Stufe mit Georg Trakl gestellt. Kam es posthum zu einer Art Ruhm?

Meiner Meinung nach kam es nie dazu. Meine Großeltern haben sich nach Bernhards Tod rührig dafür eingesetzt, dass seine Gedichte veröffentlicht werden. Interessant ist, dass sich immer wieder Menschen melden, die auf seine Gedichte stoßen und davon berührt sind. Vor zehn, 15 Jahren etwa schrieb ein Italiener meiner Mutter eine Mail. Er muss die Gedichte gefunden haben, und meine Mutter hatte ihm einen Band geschickt. In der Mail bedankte er sich überschwänglich. Verrückt, auf welch verschlungenen Pfaden das Werk doch immer wieder gefunden wird.

© SZ vom 26.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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