Mindestens bis Mitte Februar müssen auch im Landkreis Ebersberg die meisten Einzelhandelsgeschäfte pandemiebedingt geschlossen bleiben. Das Grafinger Schuhgeschäft Koppitz gehört ebenfalls zu den Betroffenen. Also dreht Senior Walter Koppitz täglich eine Runde mit dem Auto, oder treffender: mit einer Piaggio Ape 50 mit einem 50-Kubikzentimenter-Zweitakter unter der Frontscheibe.
SZ: Um im Bild eines Schuhmachermeisters zu bleiben: Wie läuft's?
Walter Koppitz: Zurzeit finde ich das Wortspiel nicht mehr lustig. Persönlich geht's mir gut - aber der Rest ärgert mich gewaltig: Wir betreiben in der vierten Generation zwei Schuhläden in Grafing. Die sind beide etwa 200 Quadratmeter groß. Aber nicht einmal einen einzigen Kunden darf ich momentan reinlassen. Selbst wenn es zwei oder drei Menschen wären: Auf dieser großen Fläche drängelt sich doch niemand!
Es heißt, Not mache erfinderisch...
Sie meinen unseren Zuhause-Service? Ja, das kann man so sagen. Einmal am Tag setze ich mich in die Piaggio Ape 50 und liefere Schuhe aus oder hole welche ab.
Erzählen Sie doch bitte mal.
Wenn zum Beispiel bei uns jemand anruft und einen neuen Schuh möchte, nehmen wir einmal an: einen Schuh, der für ein bisserl Schneematsch taugt, aber auch im Frühjahr nicht gleich in den Schrank gestellt werden muss. Ich würde dem Kunden wahrscheinlich noch ein paar Fragen stellen. Welche Farbe darf es denn sein? Soll der Schuh eher schlicht sein oder ein bisserl etwas Besonderes? Fußform und Fußweite sind auch immer wichtig. Und ich muss natürlich die Größe wissen. Dann suche ich zwischen drei und sieben Paare aus, packe sie in den Kofferraum und nehme sie auf die nächste Tour mit. Ich stelle die Schuhe vor der Tür des Kunden ab, er kann sie in Ruhe anschauen und anprobieren. Am nächsten Tag legt er mir einfach die Paare, die er nicht mag, wieder zurück vor die Türe. Auf der nächsten Tour fahre ich vorbei und ich hole die Kartons wieder ab. Oder, wenn ihm keiner gefällt, eben alle. Selbstverständlich ist alles unverbindlich. Das gilt natürlich auch fürs Call-and-Collect-Prinzip: Jemand ruft an und holt seinen Schuh dann bei mir an der Türe ab.
Womöglich haben Sie damit ein neues Geschäftsmodell erfunden.
Auf gar keinen Fall! So ein kurzes Telefonat ersetzt doch keine Beratung im Geschäft. Das ist nur eine Notlösung. Über die Wirtschaftlichkeit mag ich gar nicht nachdenken. Der Service kompensiert nur einen Bruchteil des Umsatzes. Wir hoffen natürlich darauf, dass es sich herumspricht. Aber für die Maßanfertigungen, die wir hier in der Werkstatt produzieren, ist das alles keine Option. Für ältere Kunden werden wir den Lieferservice allerdings in Zukunft beibehalten.
Was sind das für Leute, denen Sie die Schuhe vorbeifahren?
Ganz normale Landkreisbürger, für die ich nicht nur angesichts der aktuellen Situation ehrlich dankbar bin. Denn es sind Leute, denen der Einzelhandel vor Ort etwas bedeutet. Die ein Bewusstsein dafür haben, dass die Innenstadt und der Marktplatz aussterben, wenn das mit den Online-Bestellungen so weitergeht. Und denen bewusst ist, dass Sie im Internet nie den Service bekommen, der beim Einzelhandel ganz selbstverständlich mit dabei ist. Aber der geschlossene Laden ist leider nur das eine Problem.
Und das andere?
Das hängt mit der Werkstatt zusammen. Normalerweise ist die gut ausgelastet. Der eine muss seine Haferlschuhe neu besohlen lassen, ein anderer vielleicht einen Schuh aufbereiten. Aber wenn landauf, landab keine Veranstaltungen mehr erlaubt sind, ist der Bedarf nach einem schönen Schuh eher gering.