Tag des Brotes:"Das sind keine Bäckereien, das sind Auf-Bäckereien"

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Die Waage und das Fließband stammen aus den 40ern. (Foto: Jan Schwenkenbecher)

Markus Gmeinwieser ist Bäcker in der fünften Generation. In seiner Backstube nahe Kirchseeon wehrt er sich mit Geräten aus den 1940ern gegen die Massenindustrie.

Report von Jan Schwenkenbecher

Bei Markus Gmeinwieser piept es, die Zeit ist rum. Er öffnet die dritte der fünf Klappen des ölbetriebenen Ofens. Zieht den Birnenkuchen hervor, drückt mit dem Handrücken sanft auf das braune Gebäck. Echtes Hand-Werk. Dann schiebt er ihn wieder zurück. Obwohl der Timer etwas anderes anzeigt, braucht der Kuchen noch zwei, drei Minuten, Gmeinwieser spürt das.

Seit den frühen 80er Jahren ist er hier der Bäckermeister. Hier, in der kleinen, vielleicht 90 Quadratmeter großen Backstube im Keller eines der etwa 25 Wohnhäuser der Kirchseeoner Exklave Riedering. Der Boden ist rutschig, alle paar Minuten fegen Gmeinwieser oder einer seiner vier Angestellten. Zwei, drei riesige Rührschüsseln, in denen Teig umgewälzt wird, stehen herum. Im Nebenraum liegen hunderte Kilo Weizen- und Roggenmehl. Ein paar Bestellscheine hängen an einer Pinnwand, Lieferungen für Wirtschaften oder Metzgereien, die aber keine fünf Prozent ausmachen. Das Gros ist für den eigenen Laden.

Das Eglhartinger Geschäft gibt es seit den 1940er Jahren, ebenso alt sind auch einige der Geräte in der Backstube. Eine gusseiserne Waage etwa, mit der bis heute jeder Brötchen- und Brotteig abgewogen wurde. "Aber wir sind schon auch modern", sagt Gmeinwieser, grinst, geht zwei Meter weiter und zieht einen kleinen Wagen aus einer Ecke. "Das ist unser Fließband", sagt er und zeigt auf eine einen halben Meter große Maschine, die - vollautomatisch - das Kreuz auf die Semmeln stanzt. Teigball rein, 40 Zentimeter, gekreuzigter Teigball raus. Das sei wichtig für den Geschmack. Durch die größere Oberfläche erhalte das Brötchen mehr Röstaromen. "Es ist hier tatsächlich so, die Form verändert den Geschmack", sagt er.

In den frühen 1980er Jahren hat Markus Gmeinwieser die Bäckerei von seinem Vater übernommen. (Foto: Jan Schwenkenbecher)

Gmeinwieser, 54 Jahre alt, arbeitet so, wie es schon seine Vorfahren taten. "Ich bin jetzt eigentlich die fünfte Generation, die backt", sagt er. "Schon mein Ur-Ur-Großvater hatte eine Bäckerei am Tegernsee." Ur-Großvater und Großvater setzten das Handwerk fort, begründeten die Familientradition. Der Bruder des Großvaters war ebenfalls Bäcker, er eröffnete den Eglhartinger Laden. Als er aber aus dem Krieg nicht zurückkehrte, übernahm Gmeinwiesers Opa dessen Geschäft. Dann der Vater. Damals lag die Backstube noch neben dem Eglhartinger Laden. Mitte der 70er baute der Vater das Haus in Riedering. Da zog auch die Produktion um.

Wie aus dem Bankkaufmann der Bäcker wurde

Das Salz über die Brezen zu streuen ist immer noch Chefsache. (Foto: Jan Schwenkenbecher)

Schließlich war Markus Gmeinwieser an der Reihe, wollte aber nicht. Nach der Schule, Wirtschaftszweig, wurde er zunächst Bankkaufmann. Begann, in einer Bank zu arbeiten. "Das hat mir aber nicht sonderlich Spaß gemacht", sagt er heute. "Ich war mehr der Praktiker, handwerklich veranlagt." Drei Jahre hielt er durch, dann schmiss er den Job, folgte dem Ruf der Familie. "Heute bin ich froh, dass ich nicht Banker geworden bin", sagt er, "das ist ja mittlerweile eine brotlose Zunft."

Nicht so sein Beruf. Der Laden läuft gut, zwischen 800 und 1000 Semmeln und etwa 400 Brezen backt und verkauft er jeden Tag. Den Teig selbst gemischt, jede Breze handgeschwungen, jedes Brötchen manuell ausgestoßen. "Die meisten anderen backen ja gar nicht mehr selbst. Die bekommen Fertigteig. Das sind keine Bäckereien, das sind Auf-Bäckereien", sagt er. Für ihn sei das eine Frage der Qualität. "Ich glaube, der Kunde merkt das." Vor seinem Laden stehen am Wochenende die Kunden Schlange, um sich Gmeinwiesers "Passauer" zu ergattern, deren Rezept mal ein Passauer Lehrling mitbrachte.

Gmeinwieser könnte sich vergrößern. Er könnte versuchen, Shops in Einkaufszentren und Supermärkten zu eröffnen. Und nicht als innerörtliche Konkurrenz zu den vier Supermärkten am Ortsrand auftreten, sondern an deren Profit teilhaben. Den Umsatz, die Profitrate steigern. Das habe er aber nie gewollt, sagt er. "Da müsste ich umstellen, die Produktion ändern. Ich müsste maschinell arbeiten." Er bräuchte mehr Technik als lediglich Ofen, Rührmaschine und das 40 Zentimeter-Fließband.

Und mehr Leute. Er hat keine Kinder, niemanden in der Familie, der die Bäckerei übernehmen könnte. "Eine Zeit lang mache ich das noch", sagt er. Was dann mit der Bäckerei geschieht, ob er sie an einen Mitarbeiter oder jemand anderen übergibt, ob das Riederinger Handwerk, die Tradition, weiter besteht, das weiß er noch nicht. Das Problem ist, dass fast niemand mehr Bäcker werden will. Und die, die wollen, durften lange nicht. So wie Ishaq Karimi, derzeit Lehrling bei Gmeinwieser, Geflüchteter aus Afghanistan. Seit September vergangenen Jahres ist er im Betrieb. "Das war ein richtiger Kampf, bis der Ishaq hier arbeiten durfte", sagt Gmeinwieser, "von der Politik wurden wir da nur behindert."

Die Lehrlinge baden die Brezen in Lauge. (Foto: Jan Schwenkenbecher)

Um zehn Uhr morgens geht's ins Bett

Ein anderer der Angestellten ist Roger Alba, Spanier, der gerade im Konditoreibereich - also auf dem einen Tisch, an dem der Kuchen vorbereitet wird - ein paar Eier zerschlägt. "Der Roger ist auch so ein Projekt von mir", sagt Gmeinwieser. Seit vier Jahren ist Alba dabei. "Ich habe mich bei einem EU-Projekt beworben, da wurden in Spanien während der Krise Arbeiter gesucht." Alba kam für ein paar Wochen zum Probearbeiten, ging dann wieder nach Spanien und machte einen Sprachkurs. Dann kam er wieder, und blieb.

Die beiden, Karimi und Alba, sind mittlerweile ein eingespieltes Team. Vor allem, wenn es um die Breze geht. Nach und nach setzen sie die zwei Meter langen Holz-Bretter mit den zuvor selbst geschwungenen Brezen auf den Rand eines ebenso großen, fahrbaren, mit Natronlauge gefüllten Stahl-Beckens ab. Es folgt eine olympiareife Darbietung im Synchron-Backen. Beide gehen einen Schritt zur Seite, beide greifen nach einem stählernen Gitter, werfen es mit einer Drehbewegung über die Brezen. Sie drehen das Holz-Brett, nehmen es weg, zweites Gitter drüber, Brezen in die Lauge, wieder raus. Gmeinwieser wirft schnell mit Salz in Richtung der Brezen, dann kommen sie in den Ofen. Werden "geschossen", wie er sagt.

Die ganze Nacht durch, von zwei Uhr an, schießen, kneten, stoßen und schwingen die fünf, bis der ganze Teig gebacken ist. Um halb sieben bringt Gmeinwieser die erste Fuhre in seinen Eglhartinger Laden. Zurück in der Bäckerei gibt es, je nach Sichtweise, den ersten oder letzten Kaffee des Tages. So gegen zehn endet die Schicht, dann geht Gmeinwieser ins Nachbarhaus, wo er wohnt, und ab ins Bett. Er schläft zwei Mal.

Vier Stunden vor, vier Stunden nach der Arbeit. "Mein Arzt hat gesagt, das ist völlig in Ordnung", sagt er, "ich bekomme da alle Schlafphasen, die ich brauche." Am Wochenende schläft er normal, das sei gar kein Problem. Auch für seine Lebensgefährtin seien seine Arbeitszeiten in Ordnung. "Sie arbeitet in einem Büro, kommt um fünf nach Hause, da bin ich dann ja wieder fit", sagt Gmeinwieser. Er stimmt zu, dass die Arbeitszeiten eine Belastung sind. "Aber es ist ein lebbares Konzept." Das einzige, was bei Gmeinwieser piept, ist also der Ofen.

© SZ vom 16.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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