Ebersberger Kulturfeuer:Materialschlacht

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Rhythmen kann man auf allen möglichen Dingen erzeugen, auch auf Leergutkisten, beweisen die "Alpin Drums" im Alten Speicher

Von Jessica Schober, Ebersberg

Es gibt da diese Nuckeleimer für Kälber. Das sind große, graue Kunststoffbottiche, aus denen ein rosafarbenes Weichteil heraus lugt. Und im Grunde genügen schon vier dieser Viehaufzuchtutensilien, um das Publikum im Alten Speicher am Mittwochabend zum Ausrasten zu bringen. Zumindest wenn die Kälbertränkeeimer, so heißen die Dinger im Fachjargon, von jenen vier Männern zwischen den Knien gehalten und mit den Händen bearbeitet werden, die sich hinter dem Namen Alpin Drums und dem Programm "Der Berg groovt" verbergen.

Der Erfinder dieser Percussionperformance ist der Produzent und Musiker Toni Bartl aus Garmisch-Partenkirchen. Beim Ebersberger Kulturfeuer sitzen an diesem Abend auf der Bühne Hans Mühlegg, Jörg Regenbogen, Bodo Matzkeit, Raimund Bierling. Im Gepäck haben sie gleich ein ganzes Arsenal an Selbstgebasteltem aus dem Baumarkt. Panflötennachbauten aus Wasserrohren, Fußbälle, die "Bonanza" pfeifen können und Kuhglockenspiele in Regenbogenfarben. Simplen Alltagsgegenständen des Bergbauernlebens entlockt das lederbehoste Quartett mitreißende Rhythmen und Melodien, versetzet das Publikum in Staunen und alsbald auch in Körperzuckungen.

Da steppen Melkschemel und Milchkannen zu klatschenden Händen, fliegen Messer in irrem Tempo auf ein Brotzeitbrett, das nur Sekunden später als tönender Tischtennisschläger den Takt angibt. Mit dem satten Sound von vier Holzfässern können selbst versierte Bongotrommler kaum mithalten. Auch das Pfeifkonzert, das durch Blasebälge in Achselhöhlen erzeugt wird, die wiederum mit Wasserhähnen zusammen geschraubt wurden, erheitert die Zuhörer. Stimmungsmäßig ist spätestens beim Gummiquietschtier-Song das Publikum so weit, die angespielten Melodien auch von alleine mitzusingen. Überhaupt ist erstaunlich, dass das nahezu wortlose Programm das ektasebereite Ebersberger Publikum in Windeseile dazu bringt "Tequila!" zu rufen oder beim Liedchen "Muss i denn zum Städtele hinaus" mit zu trällern.

Das ist wohl vor allem der klugen Dramaturgiearbeit von Toni Bartl zu verdanken, der in feinster Slapstick-Manier ein immer noch größeres Instrument auf die Bühne fahren lässt und die Charaktere der Trommler geschickt gegeneinander ausspielt. Musikalisch sind sie allemal brillant, aber eben auch lustig. Der als Bergbub aufgewachsene Toni Bartl ist Weltmeister an der Steirischen Harmonika und weiß überdies, wie Licht- und Bühneneffekte mit beweglichen Lampen auch noch den letzten Lacher aus dem Publikum hervorkitzeln können.

Musik auf Messers Schneide präsentieren die vier Trommler, wenn sie rhythmisch an einer Bergbauernsense schleifen, dazu Holzkisten in den Boden rammen oder Weinkorken ploppen lassen. Ein Höhepunkt ist die Leergutkisten- und Pfandflaschennummer, bei der man es plötzlich kaum erwarten kann, das nächste Mal in der Supermarktschlange zu stehen, um die Getränkebehälter zurück zu geben und damit vorher noch ein wenig zu musizieren. Im Grunde sind es all jene Geräusche, die sensible Gemüter auch am familiären Frühstückstisch in den Wahnsinn treiben, wie redundantes Messerklappern oder das Fingertrommeln auf der Tischkante, die hier viele verblüfft mitklatschen lassen.

Die Show hat einen ganz erstaunlichen Nebeneffekt: Irgendwann verwandelt sich die Welt der Dinge um die Zuhörer herum in eine Welt voll von Musikinstrumenten. Der Kugelschreiber in der Hand wird zum Kastagnettenersatz, die Zuschauerhände können mit ihren Klatschtönen plötzlich sogar im Kanon singen, die Toilettentür macht in der Pause einen Klacksound, den man glatt noch ein Mal wiederholt. Ähnlich geht es auch dem zehnjährigen Sebastian und seinem achtjährigen Bruder Lukas, die mit ihren Eltern im Publikum sitzen: "Manchmal trommele ich mit der Zahnbürste auf der Waschbeckenkante so herum", erzählt Sebastian. Seine Mutter lacht, sie hatte die Veranstaltung als familientauglichen Programmpunkt aus dem Angebot des Ebersberger Kulturfeuers herausgesucht, weil sie diese Eventreihe so schätzt. Doch nun werden ihre Buben zu Hause wohl keine Türklinke mehr unbeklappert lassen können. Glücklicherweise haben sie keine Kälbertränkeeeimer daheim.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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