Ebersberger Dekan im Interview:"Sonst haben wir verspielt"

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Josef Riedl macht sich viele Gedanken zum Zustand seiner Kirche - und kommt dabei zu Erkenntnissen, die gerade Traditionalisten nicht gerne hören werden. Neben mehr Handlungsspielraum für Pastoralreferenten will der Ebersberger Stadtpfarrer auch die Priesterehe nicht ausschließen. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Stadtpfarrer Josef Riedl spricht über die schwierige Situation der katholischen Kirche und fordert wieder mehr Mut und Kreativität ein

Interview von Anja Blum

Die gesamte christliche Welt feiert an diesem 24. Dezember die Menschwerdung des Herrn, die Geburt Jesu Christi. Immer an Weihnachten erfahren die Kirchen landauf, landab Zulauf wie sonst nie im Jahr. Ein Grund zu jubeln oder nur ein Strohfeuer, das nicht lange nachwirken wird? Wie geht es den Pfarrern an der Basis in diesen schwierigen Zeiten, eingeklemmt zwischen klerikalen Skandalen, zunehmenden Austritten und Priestermangel? Josef Riedl, Ebersberger Dekan und Pfarrer in der Kreisstadt, gibt Antworten.

SZ: Herr Riedl, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie auf 2019 zurückblicken?

Josef Riedl: Sehr vieles, denn das Jahr war schon ein Knackpunkt, denke ich. Einerseits ist mit der Missbrauchsstudie ein großes Problem mit aller Brutalität deutlich geworden, andererseits wecken Dinge wie die Amazonas-Synode positive Erwartungen. Und solche großkirchlichen Situationen schlagen natürlich auch immer bis an die Basis durch, bis hinunter in die einzelnen Pfarreien.

Wie geht es Ihnen mit der Situation? Sind Sie verzweifelt?

Nein, das nicht. Als Glaubender ist man ja immer auch ein Hoffender. Aber ich bin schon manchmal verärgert darüber, dass nichts weitergeht, über die Schwerfälligkeit der Kirche. Denn es braucht dringend Veränderungen. So Weiterwursteln, das geht nicht mehr lange gut.

Wo sehen Sie die größten Probleme?

Ganz konkret: beim Personalplan. Doch davon ausgehend kommt man dann ganz schnell auch zu grundlegenden theologischen und kirchenrechtlichen Fragen.

Das müssen Sie bitte erklären...

Gerne. In zehn, spätestens 15 Jahren wird uns die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier fehlen, und zwar in allen Berufsgruppen, vom Pfarrer bis zum Gemeindereferenten. Dabei müssen wir im Dekanat Ebersberg jetzt schon in vielen Fällen improvisieren und zusammenarbeiten, zum Beispiel mit einer pfarreiübergreifenden Firmvorbereitung, weil es in vielen Gemeinden keine Unterstützung für den Priester gibt.

Aber wurde nicht jüngst die Möglichkeit geschaffen, einen Verwaltungsleiter einzustellen? Sie selbst haben mit dem Pfarrverband Steinhöring und der Pfarrei Ebersberg doch davon Gebrauch gemacht.

Ja, richtig. Aber die Voraussetzungen dafür zu erfüllen, ist nicht ganz ohne. Zum Beispiel mussten wir dafür erst einen Haushaltsverbund auf die Beine stellen. Deswegen hinken manche Pfarreien oder Pfarrverbände da ein bisschen hinterher. Vielleicht ist auch der Leidensdruck noch nicht hoch genug. Ich kann die Kollegen aber nur ermutigen, diesen Schritt zu gehen, ein Verwaltungsleiter bedeutet eine enorme Entlastung. Die Renovierung der Kapelle in Egglburg etwa wurde mir fast komplett abgenommen.

Aber: Die Verwaltung ist das eine, die Seelsorge das andere...

So ist es. Und letztere ist unser Kerngeschäft. Wenn aber die Priester, Diakone, Pastoral- und Gemeindereferenten immer weniger werden, muss man sich fragen, was das für die Seelsorge bedeutet. Ich jedenfalls wüsste sehr gerne, welche theologische Grundlage gilt. Wenn man danach fragt, kommen viele Worte über innovative pastorale Formen und Projekte. Dabei müsste man vielmehr darüber reden, was das Unverzichtbare ist - und wie man das weiter umsetzen kann. Andernfalls landen wir nämlich bei einer reinen Mangelverwaltung.

Was ist denn für Sie unverzichtbar?

Ganz klar, die Sakramente. Die kann ich nicht preisgeben. Gottesdienste, Beichte, Taufen, Hochzeiten, die übrigens gerade wieder zunehmen, Beerdigungen, aber auch die Krankenkommunionen, von denen ich gerade komme. Es gibt bei uns etwa ein Dutzend alte Menschen, die das regelmäßig in Anspruch nehmen. Bei manchen dauert dieser Besuch nur ganz kurz, bei anderen ein bisschen länger, weil sie gerne noch reden möchten. Aber das ist auch völlig in Ordnung. Die Kirche soll ein Zeichen des Heils sein, mitten in der Welt. Das umzusetzen und erfahrbar zu machen, ist unsere Aufgabe.

Sie wirken, als hätten Sie da ein paar Vorschläge?

Naja, wenn man über all das nachdenkt, kommt man relativ schnell auch zur Amtsfrage. Entweder muss man die Aufgaben konsequent verteilen und auch mit der notwendigen Kompetenz ausstatten - die Kirche der ersten Jahrhunderte war da ziemlich kreativ und mutig - oder aber für mehr Priester sorgen. Ein Beispiel: Unser Ebersberger Klinikseelsorger Christoph Diehl ist Pastoralreferent. Er spricht und betet sehr viel mit den Menschen im Krankenhaus, führt sicher auch viele Gespräche mit Beichtqualität. Aber die Kranken zu salben oder sie loszusprechen von ihren Sünden - das ist ihm versagt. Dafür muss der Pfarrer kommen. Das ist doch absolut unbefriedigend! Warum denn gibt man einem solchen Pastoralreferenten nicht alle seelsorgerischen Möglichkeiten an die Hand, die in solchen, oft schwierigen Situationen hilfreich sind?

Und wie könnte man wieder mehr Pfarrer gewinnen?

Ein Ansatzpunkt ist sicher die Lebensform. Das muss ja nicht heißen, dass jeder Priester heiratet, aber es sollte eine Option sein. Selbst auf die Gefahr hin, dass eine solche Ehe nicht ewig hält. Scheitern und Brüche gibt es ja jetzt auch schon, da muss man ehrlich hinschauen. Ich habe noch immer einen Satz im Ohr, den der Münchner Dogmatiker Professor Stubenrauch gesagt hat: "Den Priester konstituiert die Weihe, nicht die Lebensform." Und in meiner Zeit als Direktor in Waldram habe ich oft die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass viele junge Männer, die dort ihr Abitur nachgemacht haben, ernsthaft über den Priesterberuf nachgedacht haben - aber die Hürde der Lebensform dann doch zu hoch war.

Mit solchen Ideen kann man Traditionalisten auf die Palme bringen...

Ja, ich weiß. Aber wir brauchen jetzt ein paar vernünftige Entscheidungen, sonst haben wir verspielt. Es bringt rein gar nichts, irgendeinen Status quo theologisch zu überhöhen und zu zementieren, während die Welt sich weiterdreht. Außerdem gehören schmerzliche Umbrüche auch zur Geschichte der Kirche dazu. Es muss gelingen, die Menschen auch in veränderten Zeitumständen für die Botschaft Jesu zu faszinieren. Sonst ist es irgendwann vorbei.

Woher nehmen Sie die Kraft für diese schwierige Aufgabe?

Von Gott. Er ist für uns und zu unserem Heil Mensch geworden. Und auch er gibt nicht auf, weil die ganze Schöpfung ihm eine Herzensangelegenheit ist. Deswegen macht er uns immer wieder ein Angebot, das wir frei sind anzunehmen - oder auch nicht. Allerdings kann man nicht alles nur ihm überlassen. Der Heilige Geist braucht immer Menschen, durch die er wirken kann, man ist also auch selbst gefordert. Menschen zu helfen - das ist die Motivation vieler Seelsorger. Deswegen läuft "der Laden" trotz allem noch. Außerdem hat man als Pfarrer ja viele Freiheiten - die man aber auch nützen muss!

Wünschen Sie sich manchmal ein richtig großes Wunder, durch das sich alle Zweifel erübrigen?

An so einer Lösung habe ich meine Zweifel. Die wenigsten würden in solch einem Moment niederknien, man würde wahrscheinlich vielmehr versuchen, das Geschehen rational zu erklären. Ich buchstabiere Wunder daher lieber viel kleiner. Als etwas, das nicht alltäglich und unerwartet ist. Das uns staunen lässt. Aber das haben leider die meisten verlernt. Wer staunt denn heute noch darüber, dass Gott Mensch geworden ist? Aber wenn zum Beispiel beim Synodalen Weg, den die deutsche Kirche ja eingeschlagen hat, etwas Positives herauskommt - das wäre für mich ein Wunder!

© SZ vom 24.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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