Ebersberger Abiturienten:Gute Ratschläge zum guten Schluss

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Genießt das Leben: Dazu fordert der Landrat die Abiturienten bei der Entlassung auf. Viele Redner loben das große Engagement der jungen Leute und ihren Einsatz für Toleranz

Von Alexandra Leuthner, Ebersberg

Heiß war es an diesem Freitag überall, ganz gleich wo Landrat Robert Niedergesäß hinkam. Am heißesten jedoch vermutlich in der Turnhalle des Gymnasiums Vaterstetten. Ganz hinten saßen sie bereit zum großen Defilee, die 175 Abiturienten des diesjährigen Jahrgangs, als der Landrat zu seiner Gratulationsrede ansetzte. Und da hatten sie längst die Programmhefte zu Fächern gefaltet, waren die ersten hochhackigen Schuhe von Füßen gestreift worden, schließlich musste man noch eine Weile durchhalten. So wurde also gewedelt und ventiliert, während Niedergesäß, selbst ehemaliger Schüler hier, den Absolventen den Rat gab, den Tag, das Abifest und die kommende Zeit ausgiebig zu genießen, denn, wie er ihnen prophezeite, ehe sie sich's versähen, würden sie den 25. Jahrestag ihres Abiturs feiern. "Und das ist grauenvoll." Niedergesäß sprach aus Erfahrung, das war nicht zu überhören.

Seine launigen Worte wiederholte der Landrat in ähnlicher Form noch einmal in Kirchseeon, wo die Schulleitung in die Aula geladen hatte, um den ersten Jahrgang zu verabschieden, der seit der fünften Klasse die damals neue Schule besucht hatte. Anlass genug für Schulleiter Christian Czempinski, die Elternbeiratsvorsitzende Janet Lörner, Bürgermeister Udo Ockel und natürlich auch die Schüler selbst, darauf Bezug zu nehmen. So hatten sich die Abiturienten zu Beginn der Veranstaltung auf dem Oberrang rund um die Aula aufgestellt, Fahnen schwenkend mit den Ziffern 5a bis 5f - den Klassen entsprechend, in denen sie vor acht Jahren ihre Gymnasialzeit begonnen hatten. Dass dieser Jahrgang für die Schule in Kirchseeon aber nicht nur ein besonderer ist, weil er der erste war, für dessen Scheitern das Kirchseeoner Gymnasium allein verantwortlich gewesen wäre, strich Czempinski in einer sehr klugen und dankbaren Rede heraus.

Allen Unkenrufen zum Trotz, die der Generation der jetzt 18-Jährigen Eigenschaften bescheinige, die von völliger Unbeschulbarkeit bis zum Prädikat "lebensuntüchtige arzisten" reiche, habe der Jahrgang 2016 das Gegenteil bewiesen. Sie seien keine verlorene Generation, die heutigen Abiturienten, und nicht das Ergebnis der Erziehung von sogenannten Helikoptereltern - also Eltern, die immer um ihre Kinder kreisen, ihnen aber keine Grenzen setzen. Sie seien auch keineswegs überangepasst oder gar als Opfer von Smartphone und Sozialen Medien quasi bereits der Untergang des Abendlands. Vielmehr seien sie mit ihrem Eintreten für Flüchtlinge, ihrem Kümmern um die Schwächeren, darunter eine langjährige Partnerklasse im benachbarten Berufsbildungswerk St. Zeno, ihrem politischen Einsatz, auch mit ihren Leistungen als bester Jahrgang und nicht zuletzt mit einem Abiturstreich, der die Schule bis weit über die Grenzen des Landkreises hinaus bekannt gemacht habe, etwas ganz Besonderes. "Das Eintreten für Toleranz und (...) Menschlichkeit sehe ich als Spezifikation des ersten Kirchseeoner Jahrgangs", sagte Czempinksi, und nutzte den Augenblick, um noch einmal an die im Winter verstorbene Schulleiterin Gabriele Söllheim zu erinnern. "Sie wäre sehr stolz auf Euch gewesen."

Für den Einsatz der Schüler in Kirchseeon und auch in Vaterstetten für Flüchtlinge hatte sich auch Landrat Niedergesäß bedankt. In beiden Orten waren die Schulturnhallen ja über Monate hinweg für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt worden und erst kürzlich frei geworden. Während in Vaterstetten Schulleiter Rüdiger Modell gemäß dem Namen der Schule den Gelehrten Wilhelm von Humboldt und seine 200 Jahre alte Klage über Missstände im Schulsystem beschwor, tauchte der Direktor des Grafinger Gymnasiums, Paul Schötz, noch tiefer ein in die Vergangenheit. Er bediente sich bei der Schöpfungsgeschichte, um den Weg seiner Abiturienten durch das G 8 nachzuzeichnen. 125 Schüler konnten in der Stadthalle ihre Zeugnisse entgegen nehmen.

Die gleiche Augenhöhe, nämlich die zwischen Frau und Mann, hatte der Leiter der Franz-Marc-Gymnasiums, Gerhard Dittmann, zum zentralen Thema gewählt. Das Schlimmste, das er in der Schule jemals gehört habe, sei die Aussage mehrerer junger Damen gewesen, sie könnten eine Aufgabe nicht erfüllen, mit der Begründung: "Das können wir nicht, wir sind doch Mädchen." Das, so Dittmann, habe ihn damals sehr bedrückt, weil er das Gefühl gehabt habe, der Satz sei weitgehend ernst gemeint gewesen. Sein Appell an die 141 Schulabgänger in Markt Schwaben: "Lasst euch nicht in irgendwelche Rollenklischees drängen. Seid selbstbewusst, macht euch nicht klein. Lasst zu, dass in Partnerschaften (...) jeder die Rolle ausfüllen kann, die er für sich als die richtige ansieht." Und von wegen Augenhöhe: Unter den Top Ten des Jahrgangs seien genau fünf Abiturientinnen und fünf Abiturienten. Auch er zollte seinen Schülern für den Umgang mit Flüchtlingen Dank.

Den Humboldtschen Klagen über das Schulsystem übrigens wollte sich Modell ebenso wenig anschließen wie Czempinski jenen über dessen Schüler. Eines der besten Jahrgangsergebnisse hätte mit schlechten Voraussetzungen nicht erzielt werden können, so Modells Fazit. Und, weil es so schön ist, sich bei alten Meistern zu bedienen, schloss auch Czempinski mit einem Zitat und dem Rat an seine scheidenden Schüler, es in jenen Augenblicken zu gebrauchen, in denen ihnen das Wasser bis über die Hutkante zu stehen drohe - das Goethesche Zitat des Ritters Götz von Berlichingen: "Lecken Sie mich im Arsch."

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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