Ebersberg:Vom Kampf mit der Leiter

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Im Speicher des Grundbuchamts Ebersberg wird die Kunstausstellung des Projektes Seelen-Art eröffnet. Initiator der sehenswerten Veranstaltung ist der Verein "Die Sonntagsidee"

Von Sara Kreuter, Ebersberg

Es sind Bruchstücke seiner Seele, die Gennaro Raimo offen legt, wenn er malt. "Lernen mit der Leiter umzugehen", heißt eines seiner Werke. Es zeigt eine Person, die sich gegen eine Leiter stemmt - doch nirgends ist ein Baum zu sehen, an dem die Leiter angelehnt werden könnte. Es ist ein schlichtes Bild, mit Ölkreide auf Papier gezeichnet, dem Künstler bedeutet es viel. Er hat das Bild aus dem Gedächtnis gezeichnet, die Person auf dem Bild ist er selbst, als kleiner Junge. Raimo ist in der Region von Neapel aufgewachsen, er erinnert sich an seine Kindheit, an die Feigenbäume und eine riesige Leiter, für den kleinen Jungen, der er damals war, viel zu schwer. Zurecht gekommen ist er trotzdem, irgendwie. Er lächelt. Das alles war, bevor er nach Deutschland zog - bevor er krank wurde.

Raimo ist Teilnehmer von Seelen-Art, einem Projekt zur Kunsttherapie des Sozialpsychiatrischen Zentrum des Klinikums München-Ost in Haar. Zehn Künstler des Projektes stellen nun im Grundbuchamt in Ebersberg ihre Werke aus. Dabei steht vor allem der Dialog zwischen Künstlern und Besuchern im Mittelpunkt. Die Kargheit des Speichers, die Wände und der Boden aus Beton, die Decke gestützt von groben Holzbalken, setzen die Kunstwerke besonders in Szene. Ein schneller Blick verrät, wo die Werke des Einen aufhören und die des Nächsten beginnen. Denn unterschiedlicher könnten die Künstler nicht malen. Technik, Wahl der Motive, Materialien und Farbwahl variieren stark.

Einige der Künstler sind zur Vernissage ins Grundbuchamt gekommen (von links): Haselstein, Raimo, Vollin, Hueber, Bittner, Neupel und Brandmeier. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Künstler sind stolz auf ihre Werke. Zur Vernissage sind beinahe alle nach Ebersberg gekommen. Der Redakteur des Münchner Kunstjournals, Ruprecht Volz, gibt eine kleine Einführung zu den Werken und Künstlern. Raimos Bild mit der Leiter hat es ihm angetan. Es gehe in diesem Fall nicht nur um die Kindheitserinnerung, analysiert Volz das Motiv, es gehe auch darum "zu lernen, mit Schwierigkeiten im Leben umzugehen" - und davon habe schließlich jeder genug. So seien auch die Künstler "ganz normale Menschen mit ganz normalen Schwierigkeiten". Es sei unsinnig, von einer "Kunst der Geisteskranken" zu sprechen - es gebe schließlich auch keine "Kunst der Grippekranken" oder "Kunst der Rothaarigen".

Axel Bittner alias Rameno hat eine ganz eigene Bezeichnung für seine Kunstrichtung. "Naiv-kreativ" nennt er seine Werke, weil er naturalistische und abstrakte Elemente kombiniert. Beinahe kindlich und völlig willkürlich koloriert er seine Zeichnungen. "Ich fange an zu malen und sehe, was passiert", erklärt er. Seit etwa zehn Jahren nimmt Bittner an der Kunsttherapie teil, seine Psychiatrieaufenthalte haben ihn zur Kunst geführt. An drei Tagen die Woche produziert er rund drei Bilder in drei Stunden - zur Zeit besitzt er rund 3000, meist großformatige Gemälde. Ein Charakteristikum seiner Werke sind große, längsseitig gezeichnete Augen. Zögernd erklärt Bittner: "Das steht wohl für den Wunsch des Sehens und Gesehenwerdens". Die Ausstellung ist eine große Chance für ihn.

Das Motiv mit der Leiter im leeren Raum, gegen die ein kleiner Junge sich stemmt, ist eine Kindheitserinnerung von Gennaro Raimo. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für Max Hueber steht eher die Erfüllung beim Malen im Vordergrund, weniger die Präsentation vor Publikum. "Wenn ich fertig bin mit einem Bild, fühle ich mich gut", beschreibt er. Hueber besucht seit 15 Jahren die Kunstwerkstatt, seine Bilder bestehen meist aus drei Komponenten: Vase, Hintergrund und Pflanze. "Ich habe ein gutes Verhältnis zu Pflanzen", erklärt er, das sei schon als Kind so gewesen. Sie zu zeichnen, mache ihn glücklich. "Darum geht es uns", erklärt Ulrike Ostermayer, Leiterin des Projektes Seelen-Art, "um die glücklichen Momente, um schöne, inspirierende, angenehme Zusammenarbeit ohne Leistungsdruck". Sie lacht. "Ich genieße das sehr - und die Teilnehmer genießen es auch."

Die Ausstellung ist jeden Sonntag von 11 Uhr an im Speicher des Ebersberger Grundbuchamts zu besuchen. Am Sonntag, 26. April, findet zur Ausstellung eine literarische Lesung statt. Am Sonntag, 3. Mai, wird Sepp Raith eigene Kompositionen spielen. Am Sonntag, 10. Mai, wird jeder der zehn Künstler ein Werk versteigern. An allen vier Sonntagen wird der Film "Paix sur la Terre", aufgenommen im Atelier von Serge Vollin, gezeigt.

© SZ vom 22.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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