Ebersberg:Erzählungen vom inneren Kosmos

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Zehn Künstler des Projekts "Seelen-Art" zeigen im Grundbuchamt Ebersberg eine Ausstellung ihrer Arbeiten. Der veranstaltende Verein "Die Sonntagsidee" bietet dazu an vier Terminen Literatur, Musik und eine Versteigerung an

Von Rita Baedeker, Ebersberg

Es ist eine besonders gute und fruchtbare Idee, die der Verein "Die Sonntagsidee" dieses Mal verwirklicht hat: Von 19. April an ist im Speicher des Grundbuchamtes Ebersberg eine Ausstellung von Künstlern des Projekts Seelen-Art zu sehen. Zehn Künstler und Künstlerinnen zeigen dort ihre Arbeiten, Künstler mit seelischen Erkrankungen. Es sind dies Männer und Frauen, die Krieg und Gewalt kennen, die durch Lebenskrisen gegangen sind und die Erfahrung gemacht haben, dass sie mit Hilfe der Kunst nicht nur ihr Dasein bewältigen lernen, sondern auch innere Schranken und das Gefühl der Isolation und Ausgrenzung überwinden können.

Damit kein Missverständnis entsteht: Es geht bei dem im Sozialpsychiatrischen Zentrum des Klinikums München-Ost in Haar entstandenen Projekt Seelen-Art, das von dem Kabarettisten Gerhard Polt, vom Bezirk Oberbayern, der Franz-Glässner-Stiftung, vom SZ-Adventskalender und von zahlreichen Mitarbeitern und Förderern unterstützt wird, nicht einfach um Kunsttherapie. Zwar ist die heilende Wirkung künstlerischen Schaffens seit der Antike unbestritten. Seelen-Art aber hat sich noch andere Ziele gesetzt - die Begegnung zwischen Künstlern und Besuchern soll dazu beitragen, Stigmatisierung abzubauen. Ohnehin sind Zuschreibungen wie seelisch krank und gesund nicht hilfreich und in der Kunst unwichtig. Denn unter den Künstlern finden sich hochbegabte Talente. Deren Fähigkeiten sollen im Mittelpunkt der Seelen-Art-Ausstellungen stehen. Auch mit der Edition eines Jahres-Kunstkalenders stellen die Künstler immer wieder ihr Können unter Beweis.

Dagmar Tettweiler hat das Frauenporträt geschaffen. Beide sind Teilnehmer der Ausstellung des Projekts "Seelen-Art", im Grundbuchamt Ebersberg. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Begabungen, Stil- und Formenvielfalt entdeckt der Betrachter auch in dieser Ausstellung. Gemeinsames Merkmal der Bilder ist, dass keines einer angesagten Mode verpflichtet ist. Jeder der Künstler hat seine Handschrift, seine Sprache und Erzählweise. In gewisser Weise stehen die Werke von Seelen-Art, so das Vorwort im Katalog zur Ausstellung, in der Tradition des von Jean Dubuffet geprägten Begriffs der "Art brut", der unverbildeten Kunst, die keiner Strömung, keinem Markt unterworfen ist. Parallelen zu den gezeigten Werken finden sich bei Dadaisten und Kubisten, bei Primitiver und Naiver Malerei; man sollte die diversen Schubladen aber besser zulassen und offenen Sinns eindringen in den Kosmos der Bilder.

Ein Märchen vom inneren Kosmos erzählt Heribert Haselstein in seinen "Sternbildkarten" genannten Tagträumen (Mixed Media auf Karton). Der 53-jährige Zeichner aus Altötting, Preisträger des Seelen-Art-Preises, konstruiert phantastische - noch nicht erfundene - technische Gebilde mit grenzwertiger Geometrie, ineinander verschachtelte Raumstationen, die durchs All zu fliegen scheinen. Inspirieren lässt er sich von Eis- und Kristallstrukturen sowie von Sternbildern. Von ferne erinnern seine in mehreren Arbeitsschritten gezeichneten, fotokopierten, wiederum abfotografierten und bemalten Bilder an die rätselhaften Skizzenblätter des Renaissancekünstlers Leonardo da Vinci.

Das einander zugewandte Paar mit Krone und Bowlerhat stammt von Axel Bittner. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Eine Anderwelt kreiert auch der Münchner Günther Neupel. In seinen wie ein Wandteppich gestalteten Märchenbildern auf Japanpapier tummeln sich Vogelmenschen, Götter, Dämonen, Blumen, Bäume, Formen aus dem Musterbuch der großen alten Kulturen. Auf einigen Bildern lacht eine Sonne, umgeben von quadratischem Blau. Vorbild ist das "Mandala", das magische, Himmel und Erde verkörpernde Meditationsbild der Buddhisten.

Der Rundgang durch die Ausstellung führt von dem in Neapel geborenen Gennaro Raimo und seinen von Wünschen und Sehnsüchten ("un giorno meraviglioso" - ein wunderbarer Tag) erzählenden, ausdrucksstarken Bildern in Ölpastell-Kreide zu Axel Bittners in Acryl gemalten abstrakt-komischen Paarungen. Mit verschiedenartigen Frauenporträts auf Karton, mal im Stil von Hinterglasmalerei, mal wie eingehüllt in kostbare orientalische Textilmuster, präsentiert sich Dagmar Tettweiler. Bei dem Münchner Max Hueber spiegelt sich die persönliche und künstlerische Entwicklung in plakativen Blumenstillleben (Acryl). Ähnliches gilt für Julia Ring. Auf den ersten Bildern verstören brüchige, schwarze, sich auflösende Gitterstrukturen den Betrachter. "Meine Bilder sind 30-Minuten-Aktionen", sagt Julia Ring. Ihre Malweise lässt an Flucht denken. Doch bei einer weiteren Gruppe von Bildern verdichten sich die Strukturen, Licht und Farbe halten Einzug.

Eine ebenso schlichte wie klare Formensprache pflegt der Münchner Frank Rascher. Er hat viele Jahre lang die Kunstwerkstatt des Klinikums in Haar besucht und malt Häuser und Bäume lapidar als Dreieck, Kreis und Quadrat. Dabei variiert er raffiniert Kontraste und Farben. Mit dem Innenleben eines Hauses befasst sich Hans-Peter Brandmeier aus Burghausen. "Bei den Bildern mit den Stühlen habe ich mir ein Schloss vorgestellt, ich würde selbst gern in einem Schloss wohnen", gesteht er. "Allerdings nicht in Neuschwanstein, das ist mir zu kitschig." Sein Schloss ist bunt und gutbürgerlich: Fußboden, Stuhl, Fenster, Lampe, dazu Uhr und eine dicke, feuerrote Steckdose.

Auch Serge Vollin, der noch bis 30. April eine Einzelausstellung im Rathaus Ebersberg zeigt und zu den Profis zählt, ist mit symbolhaften, emotionalen berührenden Traumbildern, die unter anderem an seine verlorene Heimat Algerien erinnern, vertreten, etwa der "Oase". Wie die Kunst ist sie ein Ort des Werdens und Blühens.

Vernissage ist am Sonntag, 19. April, im Grundbuchamt. Am Sonntag, 26. April, 11 Uhr. findet zur Ausstellung eine literarische Lesung statt. Am Sonntag, 3. Mai, wird Sepp Raith eigene Kompositionen spielen. Am Sonntag, 10. Mai, wird jeder der zehn Künstler ein Werk versteigern. An allen vier Sonntagen wird der Film "Paix sur la Terre", aufgenommen im Atelier von Serge Vollin, gezeigt. Die Sonntagsöffnungen dauern von 11 bis 17 Uhr.

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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