Der Adventsreporter:Engel ohne Goldstaub

Lesezeit: 3 min

In den Steinhöringer Werkstätten werden die letzten Weihnachtsgeschenke produziert. Einige der Produkte gelten schon als Klassiker - und die Mitarbeiter sind stolz auf ihre Arbeit

Von Carolin Fries, Steinhöring

Ludwig Linder und Renate Theis würden gute Engel abgeben. Der 60- Jährige und seine 54 Jahre alte Kollegin bekleben und verpacken in den Steinhöringer Werkstätten ein Stifteetui nach dem anderen, neben Renate Theis stapeln sich die Kisten. "Immer dreißig sind da drin", sagt sie. Die Etuis sind beliebte Präsente, die Firmen ihren Mitarbeitern und Kunden machen - gerne auch zu Weihnachten.

"Lucki" Linder setzt vier kleine, transparente Kleber an die Unterseite des Holzetuis, damit es später nicht so leicht verrutscht. Linder hat dafür ein ganz eigene Technik entwickelt: Er legt sich die vier Kleber leicht auf die Fingerkuppen und platziert sie dann - zackzack - punktgenau an ihren Platz. Die fertigen Etuis schiebt er über den Tisch zu Renate Theis, die die edlen Holzunikate erst einzeln und dann in Kisten verpackt.

Albert Rittahler, Axel Fischer und Georg Pirchmoser (von links) arbeiten in der Schreinerei der Steinhöringer Werkstätten. (Foto: Christian Endt)

Im Bilderbuch hätten Ludwig Linder und Renate Theis goldbestäubte Flügel, und ihre gepackten Kisten würden von gleichgesinnten Transportengelein gerade noch rechtzeitig zum Weihnachtsfest auf die Erde gebracht. Doch Ludwig Linder und Renate Theis haben keine Flügel, sie sitzen im Rollstuhl und machen - Weihnachten hin oder her - einfach ihre Arbeit. "Wir lassen uns nicht stressen", sagt Renate Theis. Morgens um acht Uhr geht es los, die beiden arbeiten im Bereich industrielle Fertigung.

Um 16.30 Uhr endet ihr Arbeitstag, dazwischen gibt es eine Mittagspause sowie zwei 15-minütige Kaffeepausen. "Glücklich" mache ihn seine Arbeit, sagt Ludwig Linder, der über ein enormes Fingerspitzengefühl verfügt. Landet ein Etui, ein Brillenhalter, eine Klebefilmabroller oder sonst ein Produkt in seinen Händen, an dem noch feinste Sandkörner vom Schleifen haften - Ludwig Linder lässt seine Fingerkuppen solange über das Holz kreisen, bis nichts mehr zu spüren ist. Spätestens in seinen Händen wird Holz "so weich wie ein Babypopo", wie die Prämisse in der Werkstatt lautet.

Ludwig "Lucki" Linder arbeitet im Bereich der industriellen Fertigung. Seine Devise in der Vorweihnachtszeit lautet: "Wir lassen uns nicht stressen." (Foto: Christian Endt)

Jeden Tag verlassen in diesen Tagen Pakete die Werkstätten. "Die ersten Bestellungen für das Weihnachtsgeschäft kommen bereits im August, die letzten ein paar Tage vor Heiligabend", sagt Barbara Hinz, Marketing- und Vertriebsleiterin. Nachhaltigkeit und die sozialen Bedingungen bei der Herstellung seien immer mehr Menschen wichtig, sagt sie. In Steinhöring arbeiten 175 Personen in den verschiedenen Bereichen, von der Schreinerei und der Lackiererei bis zur Gärtnerei. Im ganzen Einrichtungsverbund gibt es an vier Standorten etwa 408 Mitarbeiter.

150 eigene Produkte bieten die Steinhöringer Werkstätten an, zu den Klassikern gehört der Klebefilmabroller "Schneck". 2013 haben die Werkstätten 1377 Stück der hölzernen Schnecken verkauft, deren Panzer eine Klebebandrolle trägt. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 3000. Längst gibt es auch "Torino", "Fanti" und "Hoppy", zusammengefasst in der "Happy Line". Die Kataloge wurden vor zweieinhalb Jahren überarbeitet, es gibt eine separate "Profi Line", "Klassik Line" und "Office Line".

Neben dem "Schneck" ist der "Ewige Kalender", ein laserbeschrifteter nicht vergänglicher Holzkalender, sehr beliebt bei den Kunden, die zum Großteil Händler sind, die Ware also weiterverkaufen. So landet Steinhöringer Handarbeit unter anderem in den Niederlanden, der Schweiz, Japan oder Florida. In den Geschäften im Landkreis sind "Schneck" und Co. indes kaum zu finden - im eigenen Werkstattladen im Hof dafür immer. "Den haben wir eigentlich auch immer auf Lager", sagt Barbara Hinz.

In den Werkstätten sind die Arbeitsschritte in viele kleine Einzelteile zerlegt. Und die Maschinen teilweise so umgebaut, dass eine einzige Handbewegung ausreicht, sie zu bedienen. Gruppenleiter Josef Fußeder sagt, seine 20 Arbeiter seien "behindert, aber nicht dumm". Sie wollten hier, wo produziert wird, wo sich Kisten stapeln, nicht in Watte gepackt werden. "Das ist ein ganz normaler Arbeitsplatz." Das stimmt - einerseits.

Und doch ist es ein besonderer Arbeitsplatz, weil besonders schöne Dinge hergestellt werden - und die Arbeiter das wissen. Ludwig Linder sortiert hemmungslos aus, was seinen Ansprüchen nicht entspricht. Und in der Schreinerei wird ein letzter Arbeitsschritt auf einem Plakat an der Wand mit folgenden Worten beschrieben: "Sie wird abgeschliffen, es geht sehr genau." An einem Arbeitstisch liegen Fußmatten auf dem Tisch, darauf Schleifpapier.

"Wir arbeiten in den Werkstätten entschleunigt", sagt Barbara Hinz. Georg Pirchmoser, Arbeiter in der Schreinerei, will davon nichts hören. "Eine Lieblingsarbeit gibt's nicht, ich mache was anfällt", sagt der 60-Jährige aus Wasserburg energiegeladen. Seit 1973 arbeitet er an vier Tagen in der Woche in den Werkstätten, "heute Abend ist noch Bandprobe", erzählt er. Samstags helfe er dem Metzger im Ort, sein Hobby ist Segeln. Er strahlt und zeigt Bilder: er auf einem Boot mitten im Meer.

Auch Pirchmoser ist so ein Engel, der aus riesigen Holzklötzen hunderte kleine Fantis und Hoppys sägt. Bleibt die Frage, was die Engel machen, wenn das Weihnachtsgeschäft vorbei ist. "Wir sind für das neue Jahr schon gut ausgelastet", sagt Barbara Hinz. Außerdem wird natürlich an der Entwicklung neuer Produkte gearbeitet. "Wir haben auch schon mal Produktdesigner da gehabt", erzählt Werkstattleiter Sebastian Gruber. "Aber die besten Produkte haben wir immer selbst entworfen." Er schiebt einen kleinen "ewigen Adventskranz" über den Tisch und verschiedene Modelle einer Aufladestation für Smartphone und Tablet. Auch das können Engel phantastisch: Vorfreude schenken.

© SZ vom 06.12.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: