Besondere Lesung:Reife Leistung

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Die 16-jährige Annabel Lang-Ennerst aus Kirchseeon hat ihre Erfahrungen mit den Geflüchteten in der Turnhalle literarisch verarbeitet

Von Michaela Pelz

Wow, da sind ja auch zwei Security Leute.", flüsterte ich Amanda zu. Sie waren sehr freundlich, begrüßten uns und fragten: "Wer seid ihr denn?"

Als Annabel Lang-Ennerst an diesem Punkt der Lesung aus ihrem Erstlingswerk "Black & White" angelangt ist, nicken vor allem zwei Männer im gebannt zuhörenden Publikum wissend mit dem Kopf: Sam aus dem Senegal und Mohamad aus Syrien. Sie haben die heute 16-Jährige genau dort kennengelernt, wo diese Szene spielt - in der Turnhalle des Gymnasiums Kirchseeon, die im Sommer 2015 als Unterkunft für Geflüchtete diente. Zusammen mit Mutter Christina, einigen anderen Erwachsenen und diversen Oberstufenschülern war die damalige Siebtklässlerin im Helferteam, das sich um die Männer aus 24 Ländern kümmerte.

Kurze Zeit später begann sie, ihre Erlebnisse und Erfahrungen in ein Buchprojekt einfließen zu lassen. Die Mutter erinnert sich: "Ich dachte: Mach du mal! Glaubte aber, wie jedes Mädel würde sie wahrscheinlich irgendwann die Lust verlieren, weiterzumachen." Doch dem war nicht so. In vielen, vielen, hauptsächlich abendlichen und nächtlichen Stunden ("Kopfhörer mit Musik auf, dann angefangen") entstand ein Roman von mehr als 200 Seiten.

Gut 30 Zuhörer sind in die Kirchseeoner Bücherei zur Lesung gekommen. (Foto: Privat)

Ilona Nussbaum von der Gemeindebücherei Kirchseeon kennt Annabel als aktive Leserin schon ganz lange. "Bei unserer ersten Begegnung konnte sie kaum über die Theke schauen", erzählt sie. Darum war Nussbaum nun auch gleich bereit, der Zehntklässlerin ihre Räumlichkeiten für eine Lesung zur Verfügung zu stellen - der ersten vor "fremdem" Publikum überhaupt. Vom Zulauf ist die Büchereichefin an diesem Nachmittag selbst überrascht: Gut 30 Personen sitzen auf den im Kreis angeordneten Stühlen rechts und links vom roten Sofa, auf dem die junge Kirchseeoner Autorin zwischen zwei Freundinnen Platz genommen hat.

Ihre Aufregung macht sich lediglich durch das rasche Sprechtempo bemerkbar, denn die Stimme ist fest und klar, als sie ihre Protagonistin vorstellt: Die 17-jährige Josephine Johnson (englisch ausgesprochen) besucht die zwölfte Klasse und ist eine "anfangs nicht wirklich nette Person", sondern oberflächlich und egoistisch. Durch einen selbst verschuldeten Unfall samt dreimonatigem Koma macht das Mädchen eine charakterliche Wandlung durch und gibt gemeinsam mit ihrer neuen besten Freundin Deutschkurse für die in der Turnhalle ihrer Schule einquartierten Flüchtlinge. "Das Erste, das mir auffiel, war der Geruch! ... eine Mischung aus Essen, Turnhalle, Rauch und einfach 120 Männern. ... "Hello!", begrüßte uns ein richtig schwarzer Mann freundlich mit einem strahlenden Lächeln. Er schüttelte unsere Hand und meine Angst war wie weggeflogen." Kurze Zeit später trifft die Heldin im so genannten "Camp" Samory aus Mali (23), und die beiden verlieben sich - nicht ohne zahlreiche Verwicklungen.

Annabel Lang-Ennersts und ihr Buch "Black & White". (Foto: Privat)

Um dem Publikum ihre Geschichte nahezubringen, hat Annabel Lang-Ennerst eine Mischung aus Lesung und Erzählung gewählt. Dabei erweckt sie mit solch erstaunlicher Ausdruckskraft und Souveränität die Figuren zum Leben, dass man die Gedanken und Gespräche der Teenager ebenso hautnah mitzuerleben meint wie ihren Alltag. Das sehen viele Zuhörende ähnlich, sie loben die Authentizität des Vortrags. Heidi Fietze aus Eglharting, die nur aufgrund einer Ankündigung in der Zeitung ohne jede Erwartung zur Veranstaltung gekommen ist, ergänzt: "Eine interessante, frische, spritzige Lesung, die sehr neugierig macht auf das Buch. Man bekommt ein ganz anderes Bild des Umgangs mit Flüchtlingen!" Auch im Publikum: Sarah (16) mit ihrem Vater, ebenfalls leidenschaftliche Hobbyautorin. Ihr gefällt es, dass sich "auch andere in meinem Alter mit gesellschaftlichen Themen beschäftigen und sie aus ihrer Sicht beschreiben."

Immer wieder berichtet Annabel, dass die geschilderten Begebenheiten auf dem basieren, was sie tatsächlich selbst erlebt hat - Besuche im Poinger Wildpark und gemeinsam gefeierte Weihnachtsfeste inklusive. Der Unfall und die Nahtoderfahrung allerdings seien frei erfunden - genauso wie Samory, was ein kollektives Bedauern bei den Zuhörerinnen hervorruft. Und noch etwas muss die Autorin unbedingt betonen: "Meine Mama ist komplett anders als Josephines Mutter!" Denn im Gegensatz zu dieser gefühlskalten und rein materiell eingestellten Person hat Annabels Mutter regen Anteil am Werk ihrer Tochter genommen und sie immer wieder angefeuert: "Schreib weiter! Schreib weiter!" Auch die Resonanz beim Publikum ist beachtlich - nun muss nur noch ein Verlag gefunden werden.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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