Begegnung am Sonntag möglich:Ein Lidschlag Ewigkeit

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Der Berchtesgadener Georg Grainer huldigt den Bergen seiner Heimat mit fotografischen Kunstwerken. Die Glonner Schrottgalerie zeigt nun eine Auswahl

Von Alexandra Leuthner

Drei Jahre hat er gebraucht für ein einziges Foto. Drei Jahre, in denen Winter und Sommer, Frühlingsregen und Herbststürme an eben dieser Stelle vorbeigezogen sind, Gräser gewachsen und wieder verdorrt, in denen die Sonne mal hoch am Himmel prangte, mal in der Trübnis des Bergwetters versank. Und dann war er da, der Augenblick. Der Tag. Die Stunde, jene Sekundenbruchteile, in denen Georg Grainer den Auslöser betätigte und genau dieses eine Bild machte, auf das er Jahre gewartet hatte.

Der beeindruckende Watzmann,...

...die filigranen Äste einer Kiefer,...

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(Foto: Georg Grainer/oh)

...Schneefelder im Sittersbachtal,...

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(Foto: Georg Grainer/oh)

...oder Brennesseln im Frost...

Den Obersee zeigt es, alles in Schwarzweiß, dahinter den Königssee und ganz im Hintergrund den Watzmann. Eine dunkel geäderte Wolkendecke liegt über der Höhe des Landes, ihre Spiegelung ist auf der Fläche des Obersees zu erkennen, während der Königssee fast im Dunkeln liegt, bevor sich dahinter, bereits wieder im Licht, der Fels aufrichtet. Vorne wächst ein Polster aus Gras mitten hinein ins Blickfeld, das sich zum Zeitpunkt der Aufnahme dick und prall über einen Felsen schmiegt. Nichts ist hier oben, niemand bezeugt die Existenz dieser Ewigkeit aus Stein, Wasser und Himmel, nur das Auge der Kamera, nur für diesen einen Moment.

Was der in Berchtesgaden geborene Fotograf in den Bergen seiner Heimat mit der Kamera macht, hat nur wenig mit dem zu tun, was wir Normalsterbliche unter Fotografie verstehen. Zur Erklärung sei gesagt, dass der 51-Jährige seit 25 Jahren als selbständiger Fotograf arbeitet, die Objekt- und Industriefotografie zu seinem Brotjob und die Naturfotografie zu seiner Passion gemacht hat. Und ein bisschen hat er das Fotografieren vielleicht auch in den Genen: Der Cousin seines Ur-Großvaters, Franz Grainer, war königlich-bayerischer Hoffotograf, seine Großmutter eine der ersten weiblichen Studentinnen an der Berliner Lette-Fotoschule, wo auch Georg Grainer seine Ausbildung gemacht hat. So bringt er nicht nur das Auge, sondern auch das technische Know-How mit, um jene unglaubliche Bildschärfe zu erreichen, die jede Felsspalte, jedes Steinchen, jede Wolkenfaser auf seinen Fotos greifbar macht, so als hätte ein fantastischer Maler seinen feinsten Pinsel geschwungen.

Der idyllische Hintersee. (Foto: Georg Grainer/oh)

Grainer hat eine Mittelformatkamera im Gepäck, wenn er sich in seine Heimatberge aufmacht, um immer wieder neue Motive zu suchen. Wobei - die Motive sind ja schon da, Tausende Menschen sind an ihnen vorbeigezogen. Georg Grainer schaut nur anders hin, so anders, dass sich der eine oder andere Betrachter fragt, wo denn dieser Watzmann stehe, der da auf den Bildern zu sehen ist. Er sei aber, räumt der Fotograf ein, in den Bergen seiner Heimat auch gerne mal auf Wegen zugange, auf denen ihm höchstens noch die ein oder andere Gipfelmaus begegne. Und das zu Zeiten, in denen die an ihren Federn horchen. "Man muss zu einem bestimmten Licht unterwegs sein", erklärt er Besuchern, die zur Vernissage seiner Ausstellung in die Schrottgalerie gekommen sind. "Mittags ist es schlecht", nicht nur weil alle dann in den Bergen herumlaufen - Menschen sieht man auf seinen Fotografien nie - sondern auch, weil die hochstehende Sonne jeden Schatten killt. Der aber gerade bei den Schwarzweiß-Aufnahmen, die Grainer bevorzugt, die Kanten und Schraffuren ebenso wie die Konturen der Felsen und die feinen Maserungen der Schneereste hervorhebt. Ob ein Bild etwas wird, erklärt der Fotograf, das wisse er schon vorher. Meist auch, ob die Farbe bleiben darf oder verzichtbar für ihn ist. "Farbe muss etwas transportieren, eine eigene Information, ein Gefühl, sonst muss sie weg."

Zwei bis drei Bilder im Jahr, erzählt der Glonner Filmemacher Werner Bertolan, der mit Grainer gedreht und ihn in die Schrottgalerie geholt hat, bleiben am Ende übrig, die dem Perfektionsanspruch des Fotografen genügten. Jenem Anspruch, der ihn antreibt, sich immer und immer wieder auf den Weg zu einer bestimmten Stelle zu machen, selbst wenn ihm immer wieder das Wetter dazwischen funkt - oder auch mal die Kondition. Schließlich hat Grainer mehr als eine kleine Digicam in seinem Rucksack. Die Mittelformatkamera, die er benutzt, hat eine deutlich höhere Kantenlänge als eine gebräuchliche Kleinbildkamera. Entsprechend größer sind die Objektive, und zu seinem Gehäuse benötigt Grainer noch ein digitales Rückteil - und ein Stativ: Weil die Belichtungszeit höher ist, lassen sich die Aufnahmen nicht freihändig machen. Was heißt, dass Grainer bis zu 25 Kilo den Berg hinaufschleppt. Sein Lohn sei aber schließlich nicht nur das Bild, sagt er, sondern auch die Zeit, die er dafür verbringe. "Der Aufstieg ist schön, der Augenblick oben viel zu kurz, das Runtergehen meistens lang." Irgendwo dazwischen aber steht der Watzmann, der seine Zacken wie Fingerspitzen in die zerrissenen Wolken reckt. Genau diesen Moment hat Grainer abgepasst, "fünf Minuten später war er komplett in den Wolken". Ein anderes seiner Bilder zeigt die wilde Krümmung des Wimbachs; die Gischt des Wasserlaufs, dem wild gewordenen Haarschopf einer Berghexe gleich. Und auch hier besticht die Schärfe jedes einzelnen Quadratmillimeters. Ganz gezielt spielt Grainer mit den Gegensätzen bei einer seiner wenigen Farbaufnahmen. Der Nebel verschluckt das entfernte Ufer des Hintersees bei Ramsau, während das Wasser unmittelbar unter dem Blick des Betrachters jeden Stein auf dem Grund noch einmal schärfer zu zeichnen scheint, und die blaue Farbe dem Bild eine märchenhafte Stimmung verleiht. Auch das ein Lidschlag Ewigkeit.

Fotoausstellung von Georg Grainer in der Schrottgalerie im Mai, dem Künstler begegnen kann man an diesem Sonntag, 5. Mai, von 13 bis 18 Uhr.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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