Andreas Giebel:Mehr aus dem Sammelbecken des Daseins

Münchner Idylle mit Abgründen: In seinem neuen Programm "Das Rauschen in den Bäumen" erzählt Andreas Giebel wieder von den Plagen des Alltags.

Rita Baedeker

Glücklich, wer an einem kleinen Platz mitten in München wohnt. Mit wunderlichen Nachbarn, einer Stammkneipe, die "Weser-Eck" heißt, und altem Baumbestand. Der Platz könnte in Haidhausen liegen, am Glockenbach oder im Westend. Fräulein Lydia verkauft Blumen und kann saugrob werden, Arzt und Drogist befinden sich in fußläufiger Entfernung. Eine Idylle? Bei Andreas Giebel ist es eine mit Abgründen.

Andreas Giebel: Absurde Geschichten, bis ins Groteske ausgeschmückt: Andreas Giebel in Ebersberg.

Absurde Geschichten, bis ins Groteske ausgeschmückt: Andreas Giebel in Ebersberg.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Platz im Viertel ist Angelpunkt in Giebels neuem Kabarettprogramm "Das Rauschen in den Bäumen". Vorpremiere war vor einigen Tagen im "Alten Kino" in Ebersberg, wo Giebel auch die Generalprobe seines letzten Programms, "Im Sammelbecken der Leidenschaft", gespielt hat. "Das hier ist eine Art Fortsetzung", sagt er nach dem Auftritt in der Garderobe. Mag manches noch unfertig gewirkt und es ab und zu hörbar geknirscht haben im Textgebälk: Nach dem Rezept, im Sammelbecken des Daseins nach absurden Geschichten zu angeln und diese bis ins Groteske auszuschmücken, hat er auch dieses Mal seine Sketche geschrieben. Was zu tun bleibt bis zur Premiere, nennt Giebel "Kugelschreiberarbeit": Texte in Form bringen, kürzen, glätten. "So ein Programm ist wie eine Symphonie. Hier wie da kommt es auf die Wellenbewegung an."

Dieses Mal dreht sich alles um die Wellen, die das Leben im Stadtviertel schlägt. Der kleine Platz ist der Mikrokosmos, von dem aus der Protagonist aufbricht in den Alltagskampf. "Mein Thema ist: Such dein Glück im Kleinen um dich herum, schau, was passiert, mach dir klar, dass du selber das schwächste Glied in der Kette bist", sagt Giebel nach dem rund zweistündigen Auftritt.

Der Volksschauspieler und Kabarettist, unter anderem bekannt als Polizist Xaver Bartl in Franz Xaver Bogners "München 7", hat ein Sittengemälde mit Figuren inszeniert, wie es sie überall geben könnte im städtischen Biotop - die Putzhilfe, der Kunstmaler, der schwadronierende Arzt, der emeritierte Professor, der sich mit dem immergleichen Satz in fremde Tischgespräche einmischt. Zur Klientel zählen der Staudinger Helmut, als "lauernder Gesprächsaufpresser" charakterisiert, und Penner Klaus, der auf der Parkbank unter der Linde seine unbegreiflichen Lieder summt.

Man glaubt sie zu kennen, die Leute mit ihren Ticks und gescheiterten Träumen. Lebende Vorbilder seien es meist nicht, an die seine Figuren erinnern, sagt der Kabarettist. Oder doch? "Ich höre und sehe viel, irgendwo in meinem Kopf werden die Eindrücke abgelagert und tauchen in neuen Konstellationen wieder auf." Zum Beispiel habe er die Figur des depressiv-kantigen Antonio Graziano wohl unbewusst an den Hollywoodstar Robert de Niro angelehnt.

Die Rituale, mit deren Hilfe seine Typen ihren Alltag bewältigen, steigert Griebel ins Groteske. Er will damit aber niemanden verhöhnen. "Wenn die Zuschauer in mir einen Menschen sehen, der sich verzettelt und sich plagen muss, und nicht einen Souverän, der ihnen auf der Bühne vormacht, wie andere scheitern, können sie sich entspannen und aus sich heraus gehen", erklärt Giebel zur Philosophie seines Programms.

Also posiert er mit ganzer Leibesfülle als Hirtengott Pan, fantasiert sich in die Oscar-Nacht als "Notdurft-Komparse", der vorübergehend frei werdende Plätze besetzt, an Brad Pitts Seite, versucht wie Burt Lancaster zu schauen, gerät beim Rundgang durch den Supermarkt in ein Paralleluniversum. Und im Flugzeug verkeilt er sich derartig in dem viel zu engen Sitz, dass daraus eine gymnastische Übung wird, die man sich besser nicht abschauen sollte, wenn einem die Gelenke lieb sind.

Als Simpel, den er spielt, nimmt er gerne die Codes und Botschaften wörtlich, zappt sich durch die Sender und isst, was die Werbung empfiehlt. In genau der Reihenfolge. Er sucht die Zugtoilette auf, liest die Aufforderung, den Raum so zu verlassen, wie man ihn vorzufinden wünsche - und macht sich unverzüglich an die Verschönerungsarbeit. Schließlich lässt er auch die literarischen Ambitionen seines Bühnen-Egos scheitern. Vom großen Roman, an dem er fortwährend schreibt, bleibt am Ende nur ein Groschenheft. Und das Rauschen in den Bäumen.

Andreas Giebel stellt sein neues Programm von 22. bis 26. Februar im Münchner Lustspielhaus vor.

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