An Piano, Trompete und Reglern:Solo unter Strom

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Der Pianist und Trompeter Sebastian Studnitzky versetzt das Publikum auf Gut Sonnenhausen in andere Dimensionen. (Foto: Christian Endt)

Sebastian Studnitzky lässt auf Gut Sonnenhausen die magnetische Kraft seiner Musik wirken

Von Ulrich Pfaffenberger, Sonnenhausen

Wenn die Augsburger Puppenkiste das Publikum ganz tief in ihre Kunst mitnehmen möchte, dann öffnet sich während des traditionellen Balletts in der jährlichen Revue der Vorhang oberhalb der Guckkastenbühne. Da sieht man dann zwei, drei Puppenspieler, die an Dutzenden von Fäden ihre Figuren so vollkommen tanzen und schweben lassen, dass man vergisst, dass es Marionetten sind. Wer von den gut drei Dutzend Zuhörern am Sonntagabend in der Reithalle von Gut Sonnenhausen beim Soloauftritt von Sebastian Studnitzky freien Blick auf die Tasten des Flügels hatte, der bekam ein vergleichbares Schau-Spiel geboten: Tasten und Töne, die unter den Händen und Fingern des Pianisten zu schweben begannen, sich schwerelos in den Raum erhoben und das Publikum umtanzten. Ins Spiel vertieft verwandelte Studnitzky das zweite Set in eine durchgehende Performance zwischen Tag und Nacht, zwischen Wachen und Träumen. Mit Zauber oder Illusion hat das nichts zu tun, auch wenn man sich als Zuhörer so stark angezogen fühlt, dass man sich außerhalb des geschlossenen Raums wähnt. Deshalb sei die Wirkung seines Spiels hier "magnetisch" genannt.

Erstmals ist der Multiinstrumentalist solistisch unterwegs, spielt Stücke aus einem gerade entstehenden Album, das "Studnitzky solo" heißen wird. Den vielfältigen Möglichkeiten elektronischer Hilfsmittel entspringen dabei Titel, in denen der Musiker mit sich selbst konzertiert. Das ist nun gang und gäbe auf Konzertbühnen, mehr oder weniger geschickt eingesetzt, der besseren Wirkung wegen. Bei Studnitzky allerdings verdichtet sich der Eindruck, dass sich da einer mit Herz und Seele dieser Technik zuwendet, mit ihr spielt, statt sich auszuliefern, und dabei einen Grad der Perfektion anstrebt, der den Boden der Standards verlässt. Das geht so weit, dass man guten Gewissens die Schalter, Pulte, Bildschirme und Regler, die er rund um seinen Flügel aufgebaut hat, genauso "Instrumente" nennen darf wie das Piano und seine Trompete.

Wie sich solche Perfektion äußert? Indem Studnitzky zum Beispiel bei einer Passage am Flügel die Metrik immer weiter verzögert und verschleppt, weit über ein klassisches Ritardando hinaus, so lange, bis man meint, die Kräfte der Schwerkraft an den Noten zerren zu hören, während sich die Erde unter der Musik hinwegdreht. In einem Dutzend Sekunden erleben die gebannten Zuhörer eine Spannung, die ausreichte, eine ganze Saison "Tatort" zu bestücken.

Anfangs wirken die technischen Effekte irritierend. Wenn der Solist zur Trompete greift - und der vorher digital vervielfältigte Blüthner hinter ihm seinen eigenen Weg zu gehen scheint. Oder wenn sich das, was wie der Herzschlag einer Melodie wirkt, in der dauerhaften Wiederholung als Pulsschlag fließenden Stroms hörbar macht. Dann aber wandelt sich die Wahrnehmung. Etwa, wenn sich Studnitzkys Variation über einen Takt aus einer Bernstein'schen Klarinettensonate soweit vom Original emanzipiert, dass das Stück wie unterm Elektronenmikroskop seine Zeitlosigkeit offenbart. Genauso wie die Phantasie auf dem Klavier, die zwar jazzig angehaucht ist, aber in ihrer Leichtigkeit und Verspieltheit auch der Wiener Klassik zur Zierde gereicht hätte.

Dass der Künstler direkt vor einem großen Torfenster platziert ist verleiht dem Konzert eine zusätzliche Dimension. Die natürliche Lightshow vom Abendlicht über die Dämmerung bis zur Sommernacht ist ein Teil davon, die gelegentlich durchs Bild wandernden, joggenden und fahrenden Menschen ein anderer. Genauso frei in ihrem Auftritt wie der Musiker im Arrangement lassen sie einzigartige unwiederholbare Momente entstehen, sekundenlange Einblicke in die Zufälle des Lebens, ein undigitaler Begleitfilm zur Musik.

Wieder einmal liefert auch die Akustik einen unerwarteten Beitrag für die Wahrnehmung von Musik: Aus dem Hauchen, das Studnitzky seiner Trompete entlockt und elektronisch multipliziert, wird durch vielfache Brechung an den Wänden und Balken ein Geflüster, aus dessen "Grau" ein ganzes Spektrum glühender Farben zwischen geheimnisvoll und bedrohlich hervorbricht - ein spannender Kontrast zum donnergrolltiefen Groove der Bass-Saiten des Klaviers und zu den mahlenden Rhythmen elektronischer Drums. Das Publikum, mitgerissen und aus der Zeit gehoben, gewährt ehrlichen, lang anhaltenden Applaus.

© SZ vom 02.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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