Durchgesetzt:Ein Kind der "Freien Jugend"

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In den 1970er-Jahren gründeten Dorfener das selbstverwaltete Freizeitzentrum.

Von Thomas Daller

In den 1970er Jahren, als die SZ-Lokalredaktionen in den Landkreisen rund um München eröffnet wurden, hatte auch der Protest der Studentenbewegung und das damit aufgekommene neue Lebensgefühl viele junge Leute erfasst. In Dorfen mündete das in die Gründung eines selbstverwalteten Jugendzentrums, das in dieser Form bis heute existiert. Eine Seltenheit in Bayern. Die Planungen begannen bereits 1971, 1973 wurde der Verein Freizeitzentrum Dorfen gegründet, der mit 700 Unterschriften Druck auf die Stadt ausübte.

Das selbstverwaltete Jugendzentrum an der Jahnstraße hat viele Dorfener in den vergangenen 43 Jahren geprägt. (Foto: Renate Schmidt)

Ein Widersacher dieser Pläne war von Anfang an Dorfens Stadtpfarrer Hermann Eigner, der eigene Pläne für ein Freizeitzentrum entwickelt hatte. Dieses Zentrum sollte nach Eigners Vorstellungen offen sein für Landjugend, Kolping, Ministranten, Kirchenchor und der Bewirtschaftung von Wallfahrern dienen. Nachdem der Verein Freizeitzentrum bei einer JU-Veranstaltung diese Pläne kategorisch abgelehnt hatte, unterstellte Eigner der Dorfener Jugend "marxistisch-kollektivistische Tendenzen". So dachte damals nicht nur der streitbare Pfarrer. Der christlich-konservative Teil des Dorfener Bürgertums hatte ein neues Feindbild. Als der "Freien Dorfener Jugend", wie sich die Jugendlichen nannten, vorerst vier Räume in der Mädchenschule zugestanden worden waren, gab es bald erste Beschwerden. Während eine Messe in der benachbarten Pfarrkirche gefeiert wurde, dürfe in den Räumen der Freien Jugend nichts los sein, forderten aufgebrachte Kirchgänger vom Bürgermeister. Die Stadtverwaltung präsentierte daraufhin einen neuen Vorschlag. Der Gruppe, die sich inzwischen in "Verein Freizeitzentrum Dorfen" umbenannt hatte, wurde für zunächst zwei Jahre ein Haus in der Jahnstraße angeboten, das ehemalige Hitlerjugend-Heim. Die Lage und die Räumlichkeiten sagten den Jugendlichen sofort zu. Nach vielen freiwilligen Arbeitsstunden war es bezugsfertig. Mit einem einwöchigen Festprogramm feierten sie Ende April 1974 die Eröffnung. Doch damit gingen die Vorurteile gegen den Jugendtreff erst richtig los. Sogar der Roider Jackl griff bei seinem Auftritt auf dem Dorfener Volksfest das Thema Jugendzentrum auf, in dem es seiner Meinung nach "Hasch und Pille im Automaten" gebe.

Es versteht sich immer noch als Stachel im Fleisch der Spießbürger, aber auch der Spaß am Feiern kommt nicht zu kurz. (Foto: Klaus Gruber, oh)

Filmvorführungen, Dia-Abende, Kunstausstellungen, Konzerte und Seniorennachmittage konnten dazu beitragen, den schlechten Ruf abzubauen. Lediglich die Sperrstundenüberschreitungen führten immer wieder zu Anzeigen aufgebrachter Nachbarn. Aber es sprach für das selbstverwaltete Jugendzentrum, dass die Polizei nur wegen solcher kleinerer Vorfälle gerufen wurde. So behauptete sich das Jugendzentrum auch nach der Eröffnung des Pfarrheims.

Allerdings hatte der Stadtpfarrer seine letzte Karte noch nicht ausgespielt. Die Verhandlungen zwischen der Kirche und dem TSV Dorfen Anfang der achtziger Jahre über einen Grundstückstausch für den Bau eines neuen Vereinsheims und zweier Sportplätze zogen sich auffällig lange hin. Eigner hatte an den Tausch Bedingungen gestellt: Das Jugendzentrum an der Jahnstraße sollte geschlossen werden. Als dieser "Erpressungsversuch" des Pfarrers gegen die Stadt publik wurde, wehrte sich die damalige Vorstandschaft mit Leserbriefen in der Presse und zeigte damit Wirkung. Der Tausch kam zustande, das Jugendzentrum blieb trotzdem.

In den 1970ern und 1980ern wurden zwar ein paar Anläufe unternommen, das Jugendzentrum zu schließen, doch auch diese Kleinkriege hat der Freizeittreff überstanden. (Foto: Klaus Gruber, oh)

Ohne eigenes Verschulden lieferte das Jugendzentrum im Mai 1984 erneut Grund zu Diskussionen über eine Schließung: Im Anschluss an ein außer Kontrolle geratenes Punkfestival, bei dem die meisten der etwa 150 Teilnehmer aus München angereist waren, entstand im Haus ein Sachschaden von mehr als 10 000 Mark. Obwohl sich die Vorstandschaft von den Zerstörungen distanzierte, forderte der Dorfener CSU-Geschäftsführer Günther Penzl die Schließung des Zentrums und sprach in Zusammenhang mit den Vorkommnissen von "degenerierten Jugendlichen", was eine heftige Auseinandersetzung mit der Vorstandschaft des Jugendzentrums entfachte.

Das Jugendzentrum überstand seither noch ein paar Krisen wie die vorübergehende Einstellung eines Sozialpädagogen, der wieder gehen musste, weil man die Selbstverwaltung der Einrichtung in Gefahr sah. Es gab pauschale Vorwürfe wegen Drogenkonsums und Konflikte mit rechten Gruppierungen. Aber das Haus in der Jahnstraße hat alle Stürme überstanden und mittlerweile gehen dort längst auch die Kinder derjenigen ein und aus, die das Jugendzentrum einst mitbegründet haben. Und manchmal kommen "die Alten" auch zu Hilfe wenn durch häufigen Personalwechsel im Leitungsgremium viel Wissen verloren gegangen ist. Beispielsweise wenn plötzlich ein Steuerbescheid vom Finanzamt ins Haus geflattert kommt und die meist minderjährigen Mitglieder des Vorstands feststellten, dass keine Belege gesammelt worden waren. Oder aber, dass beim innerörtlichen Krisenherd wieder einmal die Alarmglocken schrillen. Nach wie vor schweißen die gemeinsamen Jahre im Jugendzentrum viele Dorfener zusammen. Erst am vergangenen Samstag haben zahlreiche 50- und 60-Jährige in der Dorfener Gaststätte "Liberty" ein Fest gefeiert, bei dem Dias aus den Anfangsjahren des Jugendzentrums gezeigt wurden und Musik aus den 1970ern und 1980ern lief. Anekdoten machten die Runde über die vielen Kleinkriege, die man zusammen überstanden hatte, und nicht zuletzt ist man auch ein wenig Stolz darauf, dass diese Einrichtung in Selbstverwaltung mittlerweile 43 Jahre besteht. Das Konzept hat bis heute funktioniert.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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