Doppelte Schmerzen:Bruchteile eines Moments

Lesezeit: 3 min

Kurz vor den Spielen in Südkorea zerplatzen Julius Garbes Olympia-Hoffnungen: Bei einem Weltcup-Sprung bricht sich der 25-Jährige den Handknochen

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

1 / 3
(Foto: Harald Marbler/OH)

Julius Garbe, 25,...

2 / 3
(Foto: Harald Marbler/OH)

...ist Deutschlands bester Freestyle-Skifahrer.

In Südkorea hätte er zum ersten Mal bei Olympia dabei sein können.

3 / 3
(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Sein Traum von Olympia zerplatzt, als er sich bei einem Weltcup-Sprung den Handknochen bricht.

Die Piste ist hart, über Nacht hat es gefroren. Der Ski läuft, das Tempo stimmt, der erste Sprung, ein Flat-Spin-360-Japan-Grab. Er wirbelt zwei Sekunden durch die Luft, ein klasse Sprung, nahezu perfekt gelandet, die Skier sind wieder in der Spur. Weiter geht es, Buckel für Buckel - jetzt noch den letzten Sprung überstehen. Er hebt ab, zum Cork-720, eine doppelte Körperdrehung gut fünf Meter über der Pistennabe. Eine Bewegung nach links, erste Drehung, zweite Drehung, "ich bin zu weit abgedriftet", sagt er. Dann die Landung, weit neben der Spur, fast ein Sturz, beim Aufkommen stützt er sich ab und prallt mit der Hand auf einen Eisbuckel. Ein stechender Schmerz.

Julius Garbe erinnert sich an die Sekundenbruchteile, in denen sein Traum von den olympischen Spielen zerplatzte. Ausgerechnet auf einer früheren Olympiapiste, bei einem Weltcup-Rennen in Salt Lake City, verletzte sich der Ebersberger Freestyle-Skifahrer vor zwei Wochen an der Hand. Die Spiele in Südkorea sind für ihn schon vorbei, bevor sie begonnen haben - aus der Traum, als einziger Sportler aus dem Landkreis Ebersberg dabei zu sein. Während sich die Kollegen auf die Buckelpiste von Pyeongchang vorbereiten, verbringt Garbe die Wochen vor den Rennen daheim in Ebersberg. Die Reisetasche liegt im Zimmer, die Skier stehen in der Garage. Am Handgelenk ist jetzt eine Schiene.

Ein Vormittag in Ebersberg, Julius Garbe trägt Kapuzenpulli und Baseball-Cap. Unschwer ist zu erkennen, dass hier ein Leistungssportler daheim ist, spätestens in der Garage: Gut zwanzig paar Ski sind hier gestapelt, die meisten gehören ihm. Er fährt mit der gesunden Hand über die Stahlkante seines Rennskis. "Ich habe versucht, trotz Verletzung zu fahren", sagt er. "Der Arzt hat mir wegen Olympia das Okay gegeben." Doch die Belastung der Hand ist auf der Buckelpiste zu groß. "Es tat bei jedem Stockeinsatz weh", sagt Garbe, da halfen keine Schmerzmittel. "Ich war nicht konkurrenzfähig", sagt er. Damit war es mit der ersten Olympiateilnahme erledigt, nach vier Jahren Vorbereitung. Wenn seine Teamkolleginnen Lea Bouard und Katharina Förster die Olympiapiste herunterfahren, wird Garbe in einem Münchner TV-Studio sitzen und die Rennen als Eurosport-Experte kommentieren. Ein gequältes Lächeln. So ganz ist das alles noch nicht verdaut.

Es ist nur eine kleine Verletzung, und doch ist es der bitterste Tiefschlag in der Sportlerkarriere des 25-Jährigen. Garbe war zwar noch nicht qualifiziert, doch die entscheidenden Rennen dafür standen da gerade an. "Er war schon sehr knapp an Olympia dran", sagt Nationalmannschafts-Trainer Harald Marbler am Freitag, das Handy am Ohr, er sitzt in einem Flugzeug nach Schweden zum Trainingscamp. "Es wäre alles für ihn möglich gewesen", sagt Marbler. Wäre der Unfall in Utah nicht passiert, wahrscheinlich säße Garbe mit im Flieger. So hockt er daheim am Küchentisch und schaut Röntgenbilder an. Die Fraktur unterhalb des kleinen Fingers ist kaum zu erkennen. Manchmal reicht ein kleiner Riss für den einen großen Bruch.

Es lief gut bei Garbe, sportlich und auch sonst. Im Herbst hat er ein BWL-Studium begonnen, "das passt gut", sagt er. Vor allem aber hat er sich im Weltcup etabliert, in den vergangenen Jahren war der junge Mann aus Ebersberg dort der beste und konstanteste deutsche Fahrer. Kein anderer bewältigt die 250 Meter lange Buckelpiste mit den beiden Kickersprüngen hierzulande so geschmeidig und flink wie Garbe; zuletzt wurde er viermal in Folge deutscher Meister. International gehört er immerhin zu den besten 30 Fahrern - was für einen deutschen Athleten in dieser Sportart durchaus eine Leistung ist.

"Unter die Besten zu kommen, ist echt schwer", sagt er. An der Weltspitze der Buckelpistenfahrer sind andere Nationen der Maßstab: Kanadier, Norweger und Franzosen - "dagegen haben wir kaum eine Chance", sagt Garbe. Und das hat seine Gründe: Deutsche Fahrer, egal ob bei den Männern oder den Frauen, sind hier benachteiligt, weil der Deutsche Skiverband (DSV) der Buckelpisten-Abteilung seit 2014 keine Zuschüsse mehr zahlt. Wirtschaftliche Gründe wurden damals vom DSV genannt. Seither hat sich in dieser Sache nichts mehr getan.

Julius Garbe legt die Stirn in Falten, das leidige Thema Geld. Er weiß, dass er es gut erwischt hat, dass sich andere Familien einen Buckelpisten-Weltcupfahrer hierzulande nicht leisten könnten. Seine Mutter Christiane Garbe sitzt jetzt mit am Tisch, 25 000 Euro investiert die Familie pro Saison in den Sport, sagt sie. Das siebenköpfige Nationalteam muss sich um alles selbst kümmern - Material, Flüge, Unterkünfte. Selbst den Nationaltrainer zahlen Garbe und Co. aus eigener Tasche. Umso mehr fiebere sie mit ihm mit, sagt die Mutter. Und jetzt leidet sie mit.

Wie macht man weiter nach so einem Rückschlag? Macht man überhaupt weiter? Julius Garbe hätte genügend Gründe auszusteigen, allein schon aus finanzieller Sicht. Aufhören? Garbe hat sich auf seine Ellenbogen gestützt, er überlegt. "Ich war froh, dass ich nach dem Unfall kurz alleine war", sagt er. Weil es Momente gibt,wo einen niemand trösten kann. Manche Dinge muss man mit sich selbst ausmachen, als Skirennläufer lernt man das recht schnell.

Garbe richtet sich auf, lüpft die Kappe. "Nach Olympia sind noch zwei Weltcups", sagt er. Bis dahin müsste der Knochen zusammenwachsen, das sagte der Arzt. Und dann? Nächste Saison steht die Weltmeisterschaft an. In Salt-Lake-City, wo sie 2002 einen Olympiasieger kürten - und wo 16 Jahre später die Hoffnungen von Julius Garbe an einem Eisbuckel zerschellten. Alle Hoffnungen? Garbe sagt: "Mit dieser Piste habe ich noch eine Rechnung offen."

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: