Diskussion um Mindestlohn:Vollzeitjob - und trotzdem arm

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Alarmierende Berechnungen des Sozialreferats: Um ohne Hartz IV in München überleben zu können, müsste der Mindestlohn bei 10,50 Euro liegen.

Sven Loerzer

Immer mehr Menschen arbeiten Vollzeit und haben dennoch zu wenig zum Leben: Doch auch ein gesetzlicher Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde könnte in München nicht verhindern, dass diese Klientel auf staatliche Hilfe angewiesen bleibt. Nach Berechnungen des Sozialreferats würde erst ein Stundenlohn von 10,50 Euro brutto die Lebenshaltungskosten decken.

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Rund 12400 Münchner, fast ein Viertel aller erwerbsfähigen Bezieher von Arbeitslosengeld II, sind zwar nicht ohne Job. Sie erhalten aber weiter die Hartz-IV-Leistungen "aufstockend", weil ihr Arbeitseinkommen nicht reicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Allein in den letzten zwei Jahren ist deren Zahl um rund 2000 gestiegen. Die meisten der sogenannten Aufstocker haben 400-Euro- oder Teilzeitjobs. Doch rund 4500 Münchner arbeiten Vollzeit und bleiben dennoch auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Zahlung eines Mindestlohns in Höhe von brutto 7,50 Euro pro Stunde könne zwar, wie jedes Einkommen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld II reduzieren, führe aber nicht zu einem Wegfall der Leistung, betont Sozialreferent Friedrich Graffe (SPD) in der Antwort auf eine Anfrage der SPD-Stadträte Brigitte Meier und Christian Müller.

Graffe belegt dies mit einem Berechnungsbeispiel für eine alleinstehende Person. Bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 39 Wochenstunden betrage der monatliche Bruttoverdienst 1250 Euro. Daraus errechne sich ein Nettoeinkommen von 926 Euro (vor Wirksamwerden des Konjunkturpakets II). Liegt die Miete an der für Hartz-IV-Leistungsbezieher geltenden Obergrenze, hätte die alleinstehende Person nach dieser Berechnung des Sozialreferats Anspruch auf Arbeitslosengeld II in Höhe von 244 Euro monatlich.

Keine Chance ohne staatliche Hilfe

"Tatsächlich handelt es sich also bei einem Mindestlohn von 7,50 Euro brutto pro Stunde um kein Arbeitseinkommen, das für den Lebensunterhalt ausreichend ist, sondern vielmehr um einen Niedriglohn, neben dem staatliche Leistungen notwendig bleiben", resümiert Graffe. "Auch in Kommunen mit niedrigeren Mieten dürfte der Mindestlohn meist nicht bedarfsdeckend sein."

Keinerlei Chance, ohne staatliche Hilfe auszukommen, haben Alleinerziehende oder Familien mit einem Alleinverdiener. Zwischen dem Einkommen aus dem Mindestlohn und dem Lebensbedarf klafft da ein großes Loch. Für die Betroffenen kann auch das Wohngeld keine Rettung bringen, denn Hartz-IV-Haushalte haben keinen Anspruch auf diese Leistung. Alleinstehende Personen hätten erst bei einem Stundenlohn von 10,50 Euro ein bedarfsdeckendes monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1185 Euro. "Bei einer günstigeren Miete könnte der Mindestlohn auch geringfügig geringer sein", erklärt Graffe.

"Sehr problematische Entwicklung"

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert bereits seit 2006, einen gesetzlichen Mindestlohn von zunächst mindestens 7,50 Euro pro Stunde "als unterste Haltelinie gegen Lohndumping" einzuführen, wie Christoph Frey, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der DGB-Region München, sagt. "Immer mehr Menschen in München sind arm trotz Arbeit." Allein für die Münchner Niedriglohnempfänger in Vollzeitarbeit müsse der Staat Hartz-IV-Leistungen in Höhe von 2,4 Millionen Euro monatlich zuschießen, sagt Frey.

Der Staat subventioniere vor allem einzelne Branchen mit hohem Verarmungsrisiko der Erwerbstätigen, wie Leiharbeit, Gastronomie und das Verkehrsgewerbe. "Dass der Staat für immer mehr Beschäftigte einen Teil des Lohns übernehmen muss, weil sie zu wenig verdienen, ist eine sehr problematische Entwicklung", kritisiert Frey. Der Druck, jede Arbeit annehmen zu müssen, fördere Lohndumping. "In Deutschland haben wir deshalb mittlerweile einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Das ist ein Armutszeugnis für unser reiches Land." Die Einführung eines Mindestlohns wird von Union, FDP und Arbeitgeberverbänden abgelehnt, weil dies angeblich Arbeitsplätze koste.

© SZ vom 25.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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