Diskussion über Deutsch-Lehrplan an Bayerns Gymnasien:G 8 - mir graut's vor dir

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Old School: Nur einer dieser beiden Weimarer Bewerber hat es auf die Pflicht-Lektüreliste für Bayerns Gymnasien geschafft. SZ-Zeichnung: Dieter Hanitzsch (Foto: Dieter Hanitzsch)

"Spaenle billigt neuen Lehrplan für Gymnasien" vom 7. März, "Auf eigene Faust" vom 8. März sowie "Eine große Nudel des literarischen Betriebs seiner Zeit" vom 9. März:

Bremen, wir kommen!

Es wird so getan, als ob außer "Faust", der verpflichtend ist, gar nichts mehr gelesen würde/müsste. Tatsächlich heißt es im Oberstufenlehrplan der 11. Jahrgangsstufe: "Im Rahmen eines breit gefächerten Literaturangebots (...) sind Goethes ,Faust I', mindestens ein weiteres repräsentatives Drama sowie ein Roman bzw. eine Novelle oder eine längere Erzählung des 19. Jahrhunderts als Ganzschrift zu lesen und im Unterricht zu behandeln." Im Lehrplan der 12. Jahrgangsstufe: "(...) mindestens ein repräsentativer Roman aus dem 20. bzw. dem beginnenden 21. Jahrhundert sowie ein Werk der Literatur nach 1945". Vorher erfolgen im Lehrplan ausführliche Hinweise zu den zu behandelnden Epochen und den jeweils wichtigen inhaltlichen Aspekten. Soll heißen, der aufgeblasene Artikel, der das Ende der Lesekultur am bösen G 8 herbeiredet, entpuppt sich als Riesenschmarren. Wenn schon Schulschelte fürs Gymnasium, dürfen sie gerne und so oft sie wollen Stoibers Alleingang zum G 8 und das danach populistisch folgende Weichspülen des bayerischen Gymnasiums samt Abitur brandmarken, damit das ungeliebte G 8 ja nicht floppt. Das wundersame Ergebnis ist alljährlich zu besichtigen: Das kürzer gewordene Gymnasium entlässt deutlich schlechtere Schüler als super bewertete Abiturienten (30 Prozent erreichen ein Einser-Abi) in eine ebenso weichgespülte Uni. Bremen, wir kommen! Michael Prochaska, Friedberg

Aufgeregte Meinungsschau

"Sancta Simplicitas!", möchte man mit Mephisto (in "Faust I", Vers 3037) ausrufen angesichts der Berichterstattung über den neuen Lehrplan im Fach Deutsch. Denn vor lauter Erstaunen - samt nachgeschobener Entrüstung - darüber, dass im neuen Deutschlehrplan ausschließlich Goethes "Faust I" als verpflichtende Ganzschrift vorgesehen ist, hat man anscheinend vollkommen vergessen, dass bereits im derzeit gültigen Lehrplan kein einziger literarischer Text - außer eben "Faust I" - verbindlich vorgeschrieben ist. Und nicht nur das: Gemäß dem alten G 9-Lehrplan konnte selbst ein Schüler, der überhaupt kein Werk von Goethe gelesen hatte, das Abitur erlangen. Das heißt aber, dass in dieser Hinsicht jegliche Aufregung ins Leere läuft.

Selbstverständlich lässt sich durchaus diskutieren, ob das Wissen um unsere literarischen Kulturguter insgesamt in Gefahr ist. Vielleicht vertritt man auch den Standpunkt, dass mit den klassischen Texten der Literaturgeschichte Werte vermittelt werden, die die Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bilden. Aber eine solche Diskussion bedürfte keiner aufgeregten Meinungsschau, sondern einer sachlich-fundierten Argumentation. Dr. Thomas Gutwald, München

Kultus-Gang und Zeitgeist

Wir trauern um unsere langjährige Freundin, die "Humanistische Bildung". Sie wurde nur circa 2000 Jahre alt. Anfangs führte sie ein recht elitäres, nichtsdestotrotz wichtiges Dasein und war ab den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts für die Lernwilligen aller sozialen Schichten zugänglich. Am 6. März 2016 wurde sie nach längerer Verfolgung von der Kultus-Gang und ihren neoliberalen Einflüsterern endgültig gemeuchelt. Sie hinterlässt einige zeitgeistig-schwammig formulierte Ziele und ein paar halbdurchdachte Reformen. Nie wieder wird ein Kind einen Erwachsenen mit verwunderten Augen anschauen und fragen: "Woher weißt du das?" Die Eltern der neuen Generation werden auf Fragen ihrer Kinder nur antworten: "Ähh, keine Ahnung! Das musst du jetzt googeln. Du hast doch die Kompetenz dazu!"

In stiller Trauer, Michael Kral mit Angehörigen, Langquaid (Landkreis Kelheim)

© SZ vom 15.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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