Diskussion:Sozialministerin in der Kritik

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Der Freistaat verharmlose das Problem der Wohnungslosigkeit, moniert die Stadt

Von Anna Hoben

Das städtische Sozialreferat warnt den Freistaat Bayern vor einer Verharmlosung des Problems der Wohnungslosigkeit. In einer Pressemitteilung hatte Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) den Anteil der wohnungslosen Menschen in Bayern als gering bezeichnet. "In München hat sich die Anzahl der akut wohnungslosen Personen in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht", entgegnet die Sozialreferentin Dorothee Schiwy. Zwar sei der Anteil der Betroffenen in Relation zur Bevölkerung Bayerns gering. In den Ballungsräumen habe sich das Problem in den vergangenen Jahren allerdings massiv verschärft. "Dass die Staatsregierung die Dramatik der Lage noch nicht verstanden hat, zeigt auch deren Ankündigung, eine Stiftung zur Obdachlosenhilfe Bayern einzurichten und diese mit lediglich fünf Millionen Euro auszustatten", so Schiwy. Allein die Kosten für Wohnungslosenunterbringung und -hilfe in München betrügen rund 72 Millionen Euro pro Jahr; 51 Millionen davon gingen zu Lasten der Kommune.

Das Sozialreferat erhebt seit 2006 eine monatliche Statistik zur Wohnungslosigkeit. Seit zehn Jahren steigt die Zahl jährlich an. 2008 waren knapp 2500 Menschen ohne eigene Wohnung, Ende 2018 waren es fast 9000, darunter 1700 Kinder. Die tatsächliche Zahl liegt sogar noch deutlich darüber. In den vergangenen beiden Jahren verzeichnete die Stadt durchschnittlich rund 1000 Menschen im sogenannten privaten Notquartier, die bei Freunden oder Bekannten unterkommen und wegen akuter Wohnungslosigkeit einen Antrag auf eine öffentlich geförderte Wohnung gestellt haben.

Wohnungslos bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Menschen obdachlos sind, also auf der Straße leben. Sie können in einem städtischen Notquartier unterkommen, in Wohnheimen sozialer Träger, in Mutter-Kind-Einrichtungen oder in städtischen Clearinghäusern. Zu den Akteuren in diesem Bereich gehören der Katholische Männerfürsorgeverein, das Evangelische Hilfswerk, der Sozialdienst katholischer Frauen, der Internationale Bund, der Verein Wohnhilfe und die Arbeiterwohlfahrt. Daneben gibt es Pensionen privater Beherbergungsbetriebe.

In den meisten Einrichtungen können die zeitweiligen Bewohner sich auch tagsüber in einem abschließbaren Raum aufhalten. Anders ist das in Einrichtungen der Notunterbringung, wie dem städtischen Kälteschutz in der Bayernkaserne. Wohnungslosigkeit ist mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Viele befinden sich laut dem Netzwerk Wohnungslosenhilfe allein deshalb im Hilfesystem, weil es ihnen an Wohnraum mangelt. Das habe zur Folge, dass Menschen mit höherem Unterstützungs- und Versorgungsbedarf diese stationären Unterbringungs- und Hilfesysteme nicht in Anspruch nehmen können. Die Sofortunterbringung obdachloser und wohnungsloser Menschen ist deshalb in München in einer schwierigen Situation. Der aufgeheizte Wohnungsmarkt und das Fehlen von bezahlbarem Wohnraum stellen die Wohnungslosenhilfe vor immer größere Herausforderungen.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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