"Die Vielfalt hat mich fasziniert":18 469 Tage

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In einem Jahr geht Manfred Jagusch in Rente, dann möchte er etwas Neues machen: Psychologie studieren. (Foto: Stephan Rumpf)

Direktor und Vize-Referent Manfred Jagusch arbeitet seit 50 Jahren bei der Stadt

Von David Büttner, München

Manfred Jagusch ist ein wenig nervös, als er langsam den Festsaal im ersten Stockwerk des alten Münchner Rathaus betritt. Er steht nicht unbedingt gerne im Mittelpunkt. Die zwei gewaltigen Kronleuchter unter der verzierten Holzdecke dominieren den Raum, in dem er gleich geehrt wird, aber Jagusch bleibt kaum eine Sekunde, um einen Blick nach oben zu werfen. Schon eilen am Dienstagmittag die ersten Gratulanten auf den schmalen, drahtigen Mittsechziger zu. "64,5 Jahre, noch keine 65. Gott sei dank", stellt Jagusch später klar. Er tut das mit einem Lächeln, einem von der einnehmenden Sorte. Die Menschen, die auf ihn zueilen, wollen Hände schütteln und gratulieren. Der Stadtdirektor und stellvertretende Referent für Gesundheit und Umwelt steht kurz vor seiner Ehrung, für 50 Jahre im Dienst der bayerischen Landeshauptstadt. Damit kann heuer niemand der mehr als 1000 Jubilare und Jubilarinnen im städtischen Dienst konkurrieren.

Früh übt sich eben, im Falle von Jagusch: extrem früh. Im Herbst des Jahres 1965 bewarb sich der Fürstenfeldbrucker auf eine Stelle bei der Stadt. Zu der Zeit konnte man bereits mit 14 bei der Stadt anfangen, er bewarb sich mit 13. Heute sind die jüngsten Anwärter 15, wenn sie anfangen. "Mein Vater hat immer gesagt: Junge, du wirst einmal Beamter, da hast du eine kurze Weste, aber eine warme Weste. Da brauchst du keine mittlere Reife, das geht mit Volksschule", erzählt Jagusch, während er auf den Beginn der Feier wartet. Vor ihm markiert ein rotes Tischkärtchen seinen Ehrenplatz. "Dieser Satz war immer da, mein Leben lang. Meine Entscheidung war vernünftig, auch wenn ich gerne auf eine weiterführende Schule gegangen wäre, aber das war damals einfach nicht denkbar. Heute würde man sagen, ich komme aus einer bildungsfernen Schicht, damals war das halt so." Der 64-Jährige stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Vater und Mutter waren Flüchtlinge aus Oberschlesien. Der Vater arbeitete zunächst als Handwerker, später als Polizeiangestellter. "Er wäre gerne Beamter geworden, am liebsten bei der Polizei. Aber er war schwer kriegsversehrt. Mein Vater wollte einen sicheren Job für mich."

Und den begann Manfred Jagusch an einem Montag. Es war der 29. August 1966. "Es ist ganz eigenartig, seinen ersten Arbeitstag vergisst man im Leben nicht", sagt Jagusch. Wohl gemerkt exakt 18 469 Tage später. "Ich weiß noch ganz genau, wie es abgelaufen ist. Ich war fürchterlich nervös, ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt." Zunächst wurden sämtliche Neuankömmlinge im Einwohnermeldeamt in der Ettstraße zusammengetrommelt, danach ging es an die Einteilung. Jagusch steckte man in die Meldestelle 17 in der Untersbergstraße. "Damals lief gerade die Aktion Rentenstempel. Alle, die eine Rente bezogen, mussten sich melden. Es war eine Art Zählung, man hat wissen wollen, ob die Bezieher noch leben oder das Geld anderweitig bezogen wird. Das war meine erste Aufgabe." Jagusch startete im mittleren technischen Verwaltungsdienst.

Seitdem war er in sieben Referaten tätig, kletterte die Karriereleiter nach oben. Die Privatwirtschaft lockte Jagusch dabei nie ernsthaft. "Es gab Angebote, aber die Stadt war immer meine Welt. Die Vielfältigkeit hat mich fasziniert. Es gab immer neue Herausforderungen." Sie hätten mit all dem Wandel Schritt halten müssen und sich von einer hoheitlichen Verwaltung zu einem modernen Dienstleister entwickeln. "Wir haben viel bewegt." Jagusch betont im Zusammenhang mit seiner Arbeit immer wieder den Kontakt zu anderen Menschen. "Auch wenn es nicht immer einfach war, etwaige Konflikte zu lösen."

Nach 51 Jahren, fünf Monaten und drei Tagen wird Manfred Jagusch am ersten Mittwoch im nächsten Februar seinen Ruhestand antreten. "Ich werde es vermissen. Aber ich habe auch einiges vor." Jagusch möchte Psychologie studieren. "Weil ich wissen möchte, weshalb Menschen so sind, wie sie sind. Ob ich Antworten bekomme, weiß ich nicht." Darüber hinaus plant er, sein kleines Segelboot am Starnberger See häufiger zu beehren. Bis dahin bleibt aber noch ein wenig Zeit. Und es bleiben am Dienstag noch einige Hände, die er schütteln muss.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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