Die Stadt und ihr Fluss - Teil 4:Es läuft und läuft und läuft

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Seit 100 Jahren im Dienst: Besuch des altehrwürdigen Wasserkraftwerks Isar 1.

Susi Wimmer

"Hier geht's lang", sagt Dimitrios Nikolaidis und deutet mit einer Kopfbewegung in Richtung Eingang. Quietschend öffnet sich das alte Gittertor, dann steckt er den Schlüssel in die vergilbte Holztüre. Noch im kalten Nieselregen stehend, quillt ihm ein warmer Luftschwall von drinnen entgegen. Ein ohrenbetäubendes Schnaufen und Ächzen dröhnt durch die rot gefliesten Gänge.

Betrieb ohne ständige Beobachtung: In dem alten Wasserkraftwerk ist heute kein Mensch mehr zu sehen. (Foto: Foto: SZ / Haas)

Mit jedem Schritt schwillt der Geräuschpegel an, bis ein Gangfenster endlich den Blick nach unten frei gibt - auf das tobende Herzstück: drei knallrote, sich drehende Synchrongeneratoren, die das Wasserkraftwerk Isar 1 nahe der Floßlände am Laufen halten. Mit seinen fast 100 Jahren ist der Bau der Oldie unter den Wasserkraftlieferanten der Stadtwerke München an der Isar.

Relikte aus der Vergangenheit

Es sind die kunstvollen Details, die man bei dem reinen Zweckbau südlich des Hinterbrühler Sees überhaupt nicht erwartet hätte: Während die wuchtigen überdimensionalen Drehstrom-Synchrongeneratoren bei der Stromerzeugung regelrecht Funken sprühen, fällt der Blick auf eine kleine Nebensäule, die mit winzigen schwarzen Blitzen verziert ist. Das gläserne Führerhaus wurde auf Anordnung des Architekten August Blößner unten mit einer grauen Stahlverkleidung versehen, in die noppenähnliche Ornamente eingearbeitet sind.

In der Steuerungszentrale selbst ist die Uhr um halb sieben stehen geblieben - und mit ihr die Zeit: Weiße, dicke Kippschalter, alte Skalen und Schriften wie "Schütze auf" und "Schütze zu" künden von den Tagen, als hier noch Kraftwerksmeister standen und den Betrieb regelten.

"Von 1908 bis 1977 wurde die Anlage von Hand gefahren", berichtet Stephan Schwarz, Geschäftsführer Versorgung und Technik bei den Stadtwerken. Die Generatoren sind seit fast 100 Jahren in Betrieb, ebenso die Schaufeln, die das Wasser in die Turbinen schleusen. "Und die laufen ohne Probleme noch weitere 50 Jahre - ohne Emissionen oder Feinstaub-Diskussion."

Natürlich wäre es möglich, durch modernere Technik etwas mehr Prozente an Leistung aus dem alten Kraftwerk herauszuholen, "aber das steht in keinem Verhältnis zu dem Aufwand, den eine Erneuerungsmaßnahme mit sich bringen würde." Abgesehen davon hätte sich technisch nicht viel geändert, "die wussten damals schon sehr viel über die Strömungsmechanik."

Wissenschaft des Wassers

Die Geschichte vom Isarwerk 1 beginnt eigentlich etwa 1,8 Kilometer flussaufwärts, südlich von Baierbrunn: In trägem Blau-Grau kommt hier die Isar gemächlich an der Wehranlage Großhesselohe an. "Momentan sind wir im Vorhochwasserstand wegen der starken Regenfälle", erklärt Betriebsleiter Dimitrios Nikolaidis, Herr über acht Stadtwerke-Kraftwerke, Wehranlagen und Instandhaltungsteams.

Hier, kurz vor der Großhesseloher Eisenbahnbrücke, fließt die Isar mit nur fünf Kubikmeter pro Sekunde, der Werkkanal rauscht mit 80 Kubikmeter durch. An dieser Stelle wird die Kraft der Isar mit Hilfe von Schütztafeln - der Laie würde das Wort Schleuse benutzen - geregelt: "Wenn wir mehr Wasser in die Isar leiten, verlieren wir zwar an Wasserkraft im Kanal, aber im restlichen Flussverlauf gewinnt man an Optik und es kommt der Wasserökologie zugute", erklärt Schwarz.

Ein Notebook genügt Dimitrios Nikolaidis zur Steuerung des Kraftwerks. (Foto: Foto: Archiv)

Nach der Regulierung in Großhesselohe fließt das Wasser mit einem Gefälle von 5,76 Metern auf das Isarwerk 1 zu. 65 Kubikmeter können die Turbinen hier in der Sekunde verarbeiten. Vom Prinzip her funktionieren die Francis-Turbinen wie die alten Mühlen-Wasserräder.

Die entstehende Drehbewegung wird über Wellen auf die Generatoren übertragen. Die laufen zu einer Höchstleistung von 150 Umdrehungen pro Minute auf und erzeugen über Magneten und Spulen den Strom. Im Durchschnitt schafft Isar 1 rund 15 Millionen Kilowattstunden im Jahr. In München hat die Wasserkraft einen Anteil von sechs Prozent an der Stromerzeugung.

Wie ein Barockschloss

Direkt nach dem Isarwerk 1 wird aus dem Werkkanal der Auer Mühlbach gespeist. Der fließt weiter bis zum Maxwerk unterhalb des Müllerschen Volksbades, das 1895 im Stil eines barocken Gartenschlösschens errichtet wurde. Ursprünglich speisten zwei Gleichstromgeneratoren in das Dampfkraftwerk Muffatwerk ein. Der Gleichstrom diente für den Trambahnbetrieb und zur Straßenbeleuchtung.

Heute erzeugt das Maxwerk rund 2,7 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. Außerdem gehören zum Stadtwerke-Betrieb noch die Isarwerke 2 und 3, die am Flaucher, beziehungsweise direkt unterhalb der Braunauer Eisenbahnbrücke gelegen sind. Beide wurden im Jahr 1923 in Betrieb genommen.

Auch wenn die Generatoren hier und im Isarwerk 1 die Alten sind, der Betrieb hat sich grundlegend geändert: Heute ist in dem alten Gemäuer nahe der Floßlände keine Menschenseele mehr anzutreffen. "BoB" heißt das im Fachjargon: Betrieb ohne ständige Beobachtung. Lediglich eine kleine Montagetruppe schaut gelegentlich nach dem Rechten.

Die komplette Anlage läuft vollautomatisch, im Bedarfsfall kann Dimitrios Nikolaidis das Wasserkraftwerk von einem beliebigen Punkt aus via Handy oder Notebook steuern. "Wir haben das Wissen von sechs Kraftwerksmeistern in diese Technik miteingearbeitet, die Fachleute waren sehr kritisch und haben alle Notsituationen vom Hochwasser bis zum Ausfall einer Maschine skizziert."

Wer sich jetzt eine permanente Überwachung über Bildschirm vorstellt, liegt völlig falsch. Alles läuft wie von selbst. Kollege Computer weiß beispielsweise, wer gerade Bereitschaft hat. Und wenn sich Handy und Besitzer in einem Funkloch befinden, versucht es der Computer eben bei einem anderen Mitarbeiter. Am Ende, erzählt Nikolaidis, mussten sich alle Experten eingestehen: "Diese Kiste kann es besser als jeder Mensch."

(SZ vom 9.8.2005)

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