Die Projektleiterin:"Wir schaffen das"

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Tatjana Kessler beschäftigt sich seit fünf Jahren ausschließlich mit dem Umzug. (Foto: Stephan Rumpf)

Tatjana Kessler plant den Umzug der 80 000 Museumsstücke

Die Wände in Tatjana Kesslers Büro sind tapeziert mit Plänen. Grundrisse, Kalender, Zahlenkolonnen, Diagramme mit blauen, roten, grünen Balken. Jeder Tag des Umzugs ist vorausgeplant. Bis zum Juli nächsten Jahres ist alles festgezurrt. Dann soll oder muss die Hälfte des Museums geräumt sein. Eine sehr große Aufgabe, aber Tatjana Kessler wirkt entspannt. "Ich bin optimistisch" sagt die Projektleiterin, "wir schaffen das."

Vor fünf Jahren wurde sie als Projektleiterin ans Museum geholt, seither beschäftigt sich die studierte Restauratorin mit nichts anderem: Für jedes der rund 80 000 Museumsstücke aus den Sammlungen und Depots den richtigen Platz zu finden. Die Keller auf der Museumsinsel, in denen 60 000 Sammlungsstücke lagerten, sind schon geräumt. Erstaunliche Fundstücke kamen da ans Licht, von denen keiner etwas wusste: ein Röntgen-Daumenkino oder ein Tischfeuerzeug der feinen Münchner Gesellschaft von 1830. "Dann geht sofort die Recherche los: Wo kommt das her, was ist das überhaupt, wer kann dazu etwas berichten?"

Wer Tatjana Kessler zuhört, gewinnt den Eindruck, sie weiß genau, wo jedes einzelne Stück landet, vom Röhren-Radio bis zur Glasbläserkugel. Früher hat sie sich mit barocken Möbeln beschäftigt, jetzt kennt sie sich auch mit Luftschiffen, U-Booten oder Astrolabien zur Sternenmessung aus. Und täglich warten neue Herausforderungen. Wenn beim Abbau einer Ausstellung, die seit Jahrzehnten nicht mehr angerührt wurde, plötzlich ein Asbesttäfelchen auftaucht, das sich hinter einer Modelllandschaft verborgen hatte, braucht es dafür eine Spezialentsorgung. Wenn ein Kunststoff bröselt, jemanden, der genau diesen Werkstoff ersetzen kann.

Bei Tatjana Kessler laufen alle Fäden zusammen. Sie organisiert Handwerker, die behutsam eine Orgel auseinander zu nehmen oder eine Druckmaschine zu zerlegen wissen. Sie bestellt Fotografen, die alle Details im Bild festhalten, spezialisierte Restauratoren, die Schäden reparieren, egal ob an Holz, Metall oder Keramik. Sie bespricht mit Kuratoren, die voller Sorge um ihre Lieblingsstücke sind, was die beste Verpackung wäre. Sie holt Speditionen, die ganze Flugzeuge transportieren können, und noch hundert andere Dinge mehr.

Sechs Teams haben sie gebildet, aus Handwerkern, Restauratoren, Museologen, Dokumentaristen, Architekten und Kuratoren. 11 000 Quadratmeter Depotfläche wurden für die Räumung der Keller noch zusätzlich angemietet - fast dreimal so viel Lagerfläche gibt es schon in den weit verstreuten Depots. Jeder Quadratmeter ist auch dort verplant. Damit man später alles wieder findet, erhält jedes Stück einen Barcode, ebenso jede Palette und jedes Depotregal. Ob Modelleisenbahn oder Flugzeugturbine, Dampfmaschine oder Melkroboter, alles wird gemessen und gewogen. Es werden Fotos gemacht und Klangproben, Herkunft und Werkpläne dokumentiert. Alles läuft nach einem genauen Zeitplan, und dort, wo der Abbau besonders aufwendig ist, wird als letztes Hand angelegt. "Den Simplon-Tunnel werden wir erst ganz zum Schluss zersägen, denn da wird es mächtig stauben." Das begehbare Modell ist aus Gips - auch der Staub will eingeplant sein.

Von all dem sollen die Besucher wenig mitbekommen. Es läuft ja nicht nur der Museumsbetrieb weiter, es gibt auch noch Veranstaltungen mit Catering, während draußen schon die Bagger anrücken. Deshalb dirigiert Tatjana Kessler ihre Mitarbeiter möglichst geräuschlos per Handy durchs Museum. "Ist schon spannend", sagt sie trocken. "Aber wenn das Wetter in den nächsten Monaten mitspielt, dann kriegen wir das alles hin."

© SZ vom 03.11.2015 / mse - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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