Die Pleite von Andechs:Das rechte Maß verloren

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Erst gab es einen Machtkampf zwischen Pater Anselm und Abt Johannes - jetzt bangen 224 Mitarbeiter der Restaurants um ihre Jobs: Zehn Gaststätten einer vom Kloster gegründeten Franchise-Kette stehen vor einer ungewissen Zukunft.

Von Monika Maier-Albang und Karl-Heinz Büschemann

Das Kloster Andechs ist wahrscheinlich Bayerns berühmteste Abtei. Für die Wanderer und Wallfahrer, die sich den steilen Pflaster-Weg zu diesem Barock-Idyll der Benediktiner hoch über dem Ammersee bewegen und die nahe gelegene Bier-Schwemme meiden, ist der "Heilige Berg" der perfekte Ort der Stille.

Da braut sich was zusammen: Dunkle Wolken über Kloster Andechs. (Foto: Foto: ddp)

Die Klosterkirche ist dominiert von einem doppelstöckigen Hochaltar, einem hochfliegenden Freskenhimmel und von Stuckaturen der fähigsten Baumeister ihrer Zeit. Doch wer das kühle Kirchenschiff betritt, muss zur Kenntnis nehmen, dass auch in der Vollkommenheit der Putz bröckeln kann. Hässliche Gerüste verunstalten den Raum, weil die Seitenkapellen eine gründliche Renovierung brauchen. Und wer sich näher mit dem Kloster befasst, von dem es in den Zeitungen oft heißt, es sei ein moderner Wirtschaftsbetrieb, kommt nicht daran vorbei, dass auch dieser Eindruck nicht ganz stimmt.

Andechser Berg bebt

In diesen Tagen bekommt in Andechs das Bild von einem Kloster Risse, von dem es immer hieß, es werde von modernen Managern ins 21. Jahrhundert geführt. Die Wende kam per Fax.

Am Donnerstagvormittag spuckte der Telekopierer der Insolvenzabteilung beim Amtsgericht Ulm ein brisantes Schreiben aus: den Insolvenzantrag für die Kloster Andechs Gastronomie AG. Das Papier, welches das Aktenzeichen 3IN 239/04 bekam, ist nicht einfach die Ankündigung der x-beliebigen Pleite eines mittelständischen Unternehmens, es bringt den Andechser Berg zum Beben.

Bizarrer Streit

Denn die Pleite-Gesellschaft gehört zum großen Teil dem traditionsreichen Kloster, und ihre Zahlungsunfähigkeit ist ein weiteres Detail des bizarren Machtkampfs, der schon seit Monaten hinter den Klostermauern tobt. Da passt es ins Bild, dass der Geschäftsführer der Pleitefirma, Rainer Staiger, der es eigentlich wissen müsste, vorgibt, von dem Vorgang keine Ahnung zu haben: "Es gibt keinen Insolvenzantrag", sagt er.

Antrag oder nicht. Der Andechser Gastronomie AG geht es schlecht, und das wirft ein noch schlechteres Licht auf das angesehene Kloster, dessen Brauerei und Landwirtschaft unter der Leitung des umtriebigen Paters Anselm Bilgri, 50, lange als florierendes Wirtschaftsunternehmen und Vorzeigeobjekt der Benediktiner galten. Doch offenbar ist es so gut um die Finanzen der klösterlichen Betriebe nicht bestellt. Die Kloster Andechs Gastronomie AG, die bundesweit zehn Wirtshäuser unter dem Logo "Der Andechser" betreibt, hat "mehr Geld ausgegeben als eingenommen", heißt es in einer Mitteilung des Klosters.

Im Jahr 1998 hat der geschäftstüchtige Klostermanager Anselm, der seit 1986 Cellerar des Klosters war und damit der Chef über die Brauerei, die Klostergaststätte und die 150 Hektar große Landwirtschaft, die Andechser Gastronomie AG gegründet. Mitgesellschafter ist der Ulmer Unternehmer Rainer Staiger. Der hält als Geschäftsführender Vorstand 38 Prozent der Aktien, 42 Prozent gehören der Andechser Klosterbrauerei. Die übrigen Anteile liegen bei privaten Investoren. Zehn Bier- und Speisebetriebe der AG gibt es bereits zwischen Bremen und dem bayerischen Burghausen.

Düstere Stimmung über und in dem Kloster. (Foto: Foto: dpa)

"Klösterliche Tradition und benediktinische Gastfreundschaft" heißt das Konzept der Franchise-Kette, die sieben Andechser Biersorten und dazu deftige "bayerisch-benediktinische" Speisen anbietet.

Offene Machtprobe

Das Geschäft mit dem Gasthaus-Export lief eine Zeitlang recht ordentlich. Doch Ende des vergangenen Jahres traten die Probleme zu Tage. Der oberste Manager Anselm wurde von Johannes Eckert, dem vor einem Jahr neugewählten Abt, entmachtet. Danach nahm Pater Anselm sich erst einmal eine Auszeit vom Kloster und ging nach Griechenland. Anfang Juli ließ er es dann zur offenen Machtprobe kommen - die er verlor.

Danach verließ er das Kloster ganz. In den Medien hieß es, damit habe die eher geistliche Fraktion gegen die Vertreter einer ökonomischen Ausrichtung des Klosters obsiegt.

"Es herrscht Lethargie"

Inzwischen begannen die Geschäfte zu knirschen. "Hier wird nichts entschieden", sagt einer aus der Andechser AG und klagt über Abt Johannes Eckert, den neuen Aufsichtsratsvorsitzenden, der angeblich tatenlos ist. "Da herrscht Lethargie." Abt Johannes ist seit acht Monaten der oberste Kontrolleur der Andechser AG, aber er erscheint, so bemerkt einer aus der Firma, nicht auf den Sitzungen des Kontrollgremiums, und wenn er mal da sei, sage er nichts.

"Der Abt ist völlig misstrauisch" gegenüber dem, was Anselm hinterließ. Der füllige Mann in der Benediktiner-Kutte ist ein Unikum unter Deutschlands Geistlichen. Zum einen, weil er sich als Manager versteht, zum anderen, weil der Theologe meint, er könne als Unternehmensberater andere auch in ganz weltlichen Dingen unterweisen. Nichts scheint ihm so viel Freude zu machen, wie über Wirtschaft zu reden und zu schreiben.

Manager in der Mönchskutte

Immerhin verhalf er mit seiner Arbeit dem Kloster zu einem Umsatz von 20 Millionen Euro - und sorgte damit wesentlich für das Auskommen der Münchner Klosterzentrale St. Bonifaz und der Filiale auf dem Lande.

Die Andechser Unternehmen zu lenken und zu leiten, machte dem Pater offenbar so viel Spaß, dass er begann, Vorträge zu halten, natürlich über Unternehmenskultur, was sonst. Er bot Seminare an, in denen er seinen Zuhörern darlegte, wie das Führungsverhalten guter Manager auszusehen habe.

"Als Unternehmensführer muss ich Ziele vorgeben und die anderen davon überzeugen", sagte er einmal in einem solchen Seminar. Widerspruch war dabei nicht zu erwarten. Das bayerische Fernsehen richtete ihm sogar eine eigene Talkshow ein.

"Star von Andechs"

Erst kürzlich schrieb er ein Buch mit dem Titel "Finde das rechte Maß - Regeln aus dem Kloster für Arbeit und Leben", in dem er, der Manager in der Mönchskutte, so schreibt wie die jungen Unternehmensberater von Roland Berger oder McKinsey reden. Seine Themen reichen von "Der Euro und seine religiöse Dimension" bis hin zu der Frage, wie "Benediktinische Gastfreundschaft und die Idee der Systemgastronomie" auszusehen haben. Weil die Andechser Landwirtschaft gerade mal so über die Runden kommt, plante er ein Hotel in der Nähe des Klosters und daneben einen Golfplatz, womit er in der ganzen Region zwischen Ammersee und Starnberger See auf Entsetzen stieß.

"Klöster waren schon immer Relaisstationen; sie sollten von den Reichen Geld nehmen und es an die Armen verteilen", hielt der unkonventionelle Kirchenmann seinen Kritikern pragmatisch entgegen.

Kein Wunder, dass so etwas Kühnes in der einschlägigen Presse nicht unbemerkt blieb. Das Handelsblatt erhob den 51-Jährigen zum "Star von Andechs". Was dem Pater wohl auch schmeichelte. Die Gefahr abzuheben, sah er jedoch nicht. "Meine Mitbrüder holen mich schon wieder herunter", sagte er einmal. "Die haben vor mir weniger Respekt als meine Mitbürger." Vor allem gefielen seinen Mitbrüdern die Leute nicht, mit denen Anselm sich umgab. Dazu gehört auch der Unternehmer Staiger.

Der soll für Geschäftsreisen zu den Gaststätten im Bundesgebiet gerne einen Privatjet genutzt haben. Staiger hielt das immer für angemessen, die Mönche fanden solches Auftreten unwürdig für einen Klosterbetrieb. Die Brüder glaubten sogar, dass der Manager ihrer Franchise-Gesellschaft, die in einer Immobilie Staigers in Ulm ihr Büro hat, zu hohe Mieten abknöpfen würde.

Abt und mächtiger "Nebenabt"

Staiger und Anselm kündigten am Donnerstag an, sich an diesem Freitag auf einer Pressekonferenz im "Andechser" von Augsburg zu verteidigen. Immerhin hatten das Kloster und sein langjähriger Abt Odilo Lechner gegen Anselms forsches Geschäftsgebaren lange offenbar nichts einzuwenden gehabt. Anselm und Staiger behaupten sogar, der Abt habe sie wohlwollend unterstützt. Zwar war das Verhältnis zwischen Abt Odilo und seinem mächtigen "Nebenabt" Anselm selten völlig entspannt.

Lernen von BMW und den Benediktinern

Zum öffentlichen Krach war es aber nie gekommen. Der neue Abt Johannes traut sich in Wirtschaftsfragen selbst eine Menge zu. Er hat nicht nur Theologie studiert, sondern auch Betriebswirtschaft. Er hat sogar gemeinsam mit Anselm Managerseminare in Andechs geleitet, schrieb gar eine Doktorarbeit mit dem Titel "Dienen statt Herrschen. Unternehmenskultur und Ordensspiritualität", in der es vor allem darum geht, was ein Autokonzern wie BMW und ein Benediktinerkloster voneinander lernen können.

Nach seinem Amtsantritt hat Abt Johannes sehr bald damit begonnen, einiges umzukrempeln. Er gründete mit drei Klosterbrüdern einen Wirtschaftsrat, um die Finanzen des Klosters und die Geschäfte Anselms zu durchforsten. Je mehr Überblick sich der Neue verschaffte, umso mehr dürfte ihm aufgefallen sein, wie marode das Gesamtunternehmen Andechs ist. Was einer Katastrophe gleichkommt, denn das Kloster bezieht keine Einnahmen aus der Kirchensteuer. Außerdem hat es zu den laufenden Kosten noch die Obdachlosenarbeit seiner Münchner Zentrale St. Bonifaz zu finanzieren.

Das Signal der Brüder

Die Wahl Eckerts zum Abt hatte daher wohl nicht nur einen feinsinnig theologischen Grund, dahinter steckten auch massive wirtschaftliche Interessen. Die Brüder entschieden sich offenbar bewusst für Johannes Eckert, weil sie ihm die Führung der Andechser Unternehmen mehr zutrauen als Anselm. Was zugleich bedeutet, dass sie vor allem wohl auch dem Bündnis misstrauten, das Pater Anselm mit dem Unternehmer Rainer Staiger eingegangen war.

Loch in der Kasse

Die Andechser AG braucht Wachstum. Jedes Jahr müssten eigentlich drei Gasthäuser eröffnet werden, sonst übersteigen die Kosten die Einnahmen. "Wir müssen den ganzen Apparat unterhalten", sagt ein Manager. Erst mit 20 Restaurants sei das System ohne Wachstum lebensfähig. Und wenn der Aufsichtsrat einer Neueröffnung nicht zustimmt, fällt für dieses Jahr das Wachstum aus. Da im laufenden Jahr erst ein Haus eröffnet wurde, gab es deshalb sofort ein Loch in der Kasse der Kloster-Tochter.

"Wir müssen handeln", sagte ein Vertreter der Gastronomie AG am Mittwoch verzweifelt. Immerhin: Ein neuer Investor soll bereit sein, Geld in die klamme Gesellschaft einzuschießen. Doch der will sich nur beteiligen, wenn Abt Johannes Eckert mitzieht. Eine Bank wäre bereit, einen Überbrückungskredit zu gewähren. Aber auch die Bank will wissen, was der Abt plant. "Alles hängt von der Entscheidung des Abtes ab", sagt einer aus der AG.

Jetzt ist es zu spät. Die kleine Firma ist insolvent. Die 224 Mitarbeiter bei den Franchise-Betrieben fürchten um ihre Jobs und die Partner um ihre Investitionen und wahrscheinlich ist, dass auch das Kloster Schaden nehmen wird, weil es nicht mehr vollkommen ist.

© SZ vom 30.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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