Die Musikstadt vor dem Festival:Die Leiden der jungen Pop-Werker

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Der Subkultur fehlt es an Probenräumen, Fördergeldern und Spielstätten. Eine neue Initiative fordert eine ganzheitliche Struktur bei der Band-Unterstützung: Die Stadt solle populäre Musik mitdenken.

Von Michael Zirnstein

Pop ist nicht tot. Es gibt viele Bands in München. Gute und schlechte. Aber sie leben. 1200 Gruppen, die auftreten oder veröffentlichen, hat die Fachstelle Pop gerade ermittelt; wahrscheinlich kommen noch ein paar Hundert dazu. Und die Menschen, die das hören wollen, zählen ja auch zu der sehr durchmischten Münchner Pop-Welt, von der das "Sound of Munich Now" vom Feierwerk und der SZ einen aktuellen Querschnitt präsentiert. Was aber schon innerhalb der Stadt nur von einem Teil der Bürger wahrgenommen wird, fällt außerhalb Münchens höchstens in Einzelfällen auf. München-Pop ist nicht gerade "in". Wobei wiederum interessant ist, dass weniger jene jungen Bands, die sich an einem massenwirksamen Folk-, Glamour-, Dream- oder Befindlichkeitspop versuchen, große Beachtung finden. Stars der Stunde mit Lobeshymnen in den großen Feuilletons sind die rabaukigen Noise-Rocker Friends Of Gas, Produkt der argwöhnischen altgedienten Szene, die eigentlich nie über sich hinaus wachsen wollte.

Illustration: Sead Mujic (Foto: N/A)

Dazu passt, was Mirik Milan, Nachtbürgermeister von Amsterdam, jüngst in einer Diskussionsrunde der "Manic Street Parade" anmahnte: "Keine Kultur ohne Subkultur." Sein Vortrag führte etwa zu der Erkenntnis: Die Münchner, zumindest die vielen anwesenden Zuhörer, wollen auch so einen Zuständigen für das "andere Nine to Five" (wenn die braven Bürger schlafen, und die bösen Krach machen). Oder: Nur vereint kann man die Welt verbessern. Statt Pop bloß zu spielen, kann man auch an den Spielregeln mitbasteln.

"Die Stadt muss sagen: Popkultur ist uns wichtig", fordert Sebastian Schnitzenbaumer

Anfang des Jahres gab es schon eine Diskussion über die Leiden der jungen Pop-Werker in München. Im Kulturkosmos Bahnwärter Thiel, städtisches Vorzeigeprojekt eines mitreißenden Einzelkämpfers (Daniel Hahn) und seines Vereins (Wannda e.V.), stellte sich auch der Zweite Bürgermeister Josef Schmid auf dem Podium. Seitdem erkennt die Szene einen Verbündeten in ihm (und bedauert seinen Wechsel in die Landespolitik): Nach der Debatte stellten die CSU-Stadträte im Mai den Antrag "Gesamtkonzept Popularmusik in München" (welcher im Januar im Kulturausschuss behandelt werden soll). Pop sei "die aktuelle Musik unserer Zeit", sie reflektiere die soziale Wirklichkeit und präge in besonderem Maß das Bild der modernen Stadtgesellschaft. Da aber das hier vorhandene Talent immer wieder "auf enge Grenzen der eigenen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten stoße", wanderten Musiker mit Reputation respektive Potenzial ab (siehe: Moop Mama nach Berlin). Daher solle das Kulturreferat zusammen mit Akteuren aus der Szene ein Gesamtkonzept zur Pop-Förderung erarbeiten.

"Selbst die CSU-Feinde unter uns konnten dem Papier zustimmen", sagt Sebastian Schnitzenbaumer, Labelbetreiber von Schamoni Records, Musiker ( Belp) und intellektuelle Kraft der Musikerinitiative Stereokultur, die sich Mitte Oktober um den Favoritbar-Wirt Peter Pfaff formiert hat - und sogleich in der Glockenbachwerkskatt diskutierte. "Wenn der CSU-Antrag durchgeht, kann alles passieren", sagt Schnitzenbaumer, "von einem zuständigen Typen, der zwei Jahre an einer Powerpoint-Präsentation bastelt, bis zu einer Revolution." Zweitere liegt ihm näher. Stereokultur als selbstbewusste Anlaufstelle für Musikschaffende aller Art (momentan haben sich 200 angeschlossen) könne der geforderte beratende Akteur sein. "Momentan fehlt es an allem", sagt Schnitzenbaumer: Probenräume, Fördergelder und Spielstätten. Gerade hat etwa das Kreisverwaltungsreferat dem Jazzmusiker Jerker Kluge nach vorauseilender Klage eines Anwohners untersagt, Konzerte in seinem Kellerclub im Schlachthofviertel zu veranstalten. "Die Stadt muss sagen: Popkultur ist uns wichtig", fordert Schnitzenbaumer, der eine breit angelegte Förderung nicht nur der elitären Hochkultur schon im verfassungsrechtlich verankerten "Kulturstaat" zwingend geboten sieht.

Die Initiative Stereokultur fordert Transparenz und allumfassendes Vorgehen

Deswegen fordert die Initiative: Transparenz - das Rathaus muss die Szene kennen, die Szene die Verwaltung und die Szene sich untereinander. Man muss abrücken von Einzelförderungen, die eh nur die gewieften Macher erhalten, hin zu einer ganzheitlichen Strategie. Eine Stelle solle all das koordinieren und durchsetzen - bisher schieben Kultur-, Planungs-/Bau- und Jugend-/Sozialreferat die Zuständigkeit hin- und her. Auch soll nicht finanzieller Erfolg Grundlage einer Förderung sein: "Es bringt nichts, wenn das Kompetenzteam Kreativwirtschaft einer jungen Band einen Businessplan in die Hand drückt." Vielmehr solle die Stadt immer Pop mitdenken: Wenn Schulen errichtet werden, sollen Probenräume mitentstehen, wenn Stadtviertel geplant werden, müssen Begegnungsstätten und Bühnen entstehen, "in denen die Leute frei ein Programm abseits des Mainstreams gestalten können, ohne Miete zu bezahlen".

Die Stelle, die das einmal koordinieren wird, muss vor allem Ahnung haben: Muss sehen, dass Émilie Gendrons Reihe "Munich Again" mit seltsamen lokalen Bands im Club Rote Sonne förderwürdig ist und Zuschuss braucht, ehe sie, wie gerade geschehen, eingestellt wird. Natürlich wird es immer Musiker geben, die sich genial durchwursteln. Wie Albert Pöschl, Label-Chef von Echokammer, musikalische Allzweckwaffe etlicher Projekte von Das Weiße Pferd bis The Grexits. Er hat sich selber ein Netzwerk aufgebaut. "Und die Bands, in denen ich spiele, proben nicht", sagt "Professor Albert", er komme schon durch. Und dennoch hat er sich Stereokultur angeschlossen - "aus Solidarität". Pop lebt nicht allein, sondern von vielen.

© SZ vom 10.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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