"Die Memoiren meiner Frau":Sex und der Autor

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Joseph von Westphalen über die Schwierigkeit, in seinem neuesten Roman Deutlichkeit und Komik zu verbinden.

Interview: Hubert Filser, Hilmar Klute

Den Sommer hat Joseph von Westphalen in seinem Haus in Italien verbracht, um einen neuen Roman zu schreiben: "Die Memoiren meiner Frau" (btb). Darin geht es - wie so oft beim Autor der Harry-Duckwitz-Romane - um Glück und Elend erotischer Verstrickungen. Ein Gespräch über die Wonnen und Bedenken pornografischen Schreibens.

Wäre gern eine Art weiblicher Michel Houellebecq: Joseph von Westphalen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Sie wollten einen Porno schreiben, aber der Verlag hat Ihnen 30 Seiten mit pikanten Stellen gestrichen. Westphalen: So war es nicht. Der Verlag sagte: Wenn du nicht willst, dass dein Buch als Porno missverstanden wird, solltest du ein paar der Sexszenen herausnehmen, denn die lassen die Substanz der nicht uninteressanten Geschichte in den Hintergrund treten. Das hat mir eingeleuchtet. Ein Porno will ja anmachen. Ich wollte nicht den sabbernden Leser.

SZ: Nein? Westphalen: Nein. Das Buch beschreibt einen Mann zwischen zwei Frauen. Da ist eine nette liberale Feministin und eine extrem liberale, etwas bizarre Postfeministin. Es gibt Sex. Ich wollte schon auch ausprobieren, wie weit man gehen kann.

SZ: Zuerst waren Sie ziemlich unglücklich, weil das Lektorat Ihnen Streichungen nahe legte. Westphalen: Ich erzähle in dem Roman die Geschichte einer relativ unkorrekten Liebschaft. Eine Dosis Sex oder meinetwegen Porno muss da schon sein. Die Frage war nur: Wie hoch soll die Dosis sein? Für meinen Geschmack waren die entfernten Passagen gelungen und eher komisch.

SZ: Kann Pornografie überhaupt komisch sein? Westphalen: Eher nicht. Wenn es gelingt, ist es nicht mehr pornografisch. Genau deshalb wollte ich es versuchen. Was das Verhöhnen von Politikern und das Verspotten von religiösen Gefühlen betrifft, ist mir der Spagat zwischen Deutlichkeit und Komik bisher gelungen. Die Leser haben das honoriert. Als aber jetzt beim Lesen der Korrekturfahnen die Sorge aufkam, dass 80 Prozent der Leser sagen könnten: das nervt - da musste ich diese Befürchtung ernst nehmen.

SZ: Die Politikerbeschimpfung war Teil Ihres Images. Kann ein so gepflegter Autor wie Sie es sich leisten, etwas Dreckiges zu schreiben? Westphalen: Sex ist nicht dreckig, nicht säuisch; es ist nur saumäßig schwer, die richtigen Worte zu finden. Gerade weil viele meiner deutschsprachigen Autorenkollegen sich scheuen, Sex unverblümt vorkommen zu lassen, hat es mich gereizt. Natürlich war ich unsicher. Mir fehlt Erfahrung, wie man die Drastik von Sexstellen durch reflexiven Witz erträglich macht. Ich habe dauernd den Lektor gefragt. Der Verlag hat ja auch das offenbar ziemlich autobiografische Buch von dieser Französin verlegt.

SZ: "Das sexuelle Leben der Catherine M." von Catherine Millet. Westphalen: Ja, aber das ist ja nun der pure sexuelle Dauerexzess. Das ist etwas anderes. Mein Held Jan Vanderleyden ist ein frauenfreundlicher Richter, der an eine Frau gerät, die hart hergenommen werden will. Er erschrickt anfangs, macht aber relativ rasch mit. Seine Geliebte Zofia will immer härtere Sachen. Nach dem Ende des Romans wird meinem Protagonisten noch einiges abverlangt. Das zu beschreiben wäre mir dann wirklich zu hart gewesen.

SZ: Was ist das für ein Gefühl, solche Szenen zu schreiben? Westphalen: Es ist aufregend. Man muss nah herantreten und dann wieder Abstand nehmen. Dieses Hin und Her macht Spaß. Das Herausnehmen solcher Stellen weniger. Eigentlich hätte ich den Roman unter weiblichem Pseudonym im Verlag von Antje Kunstmann herausbringen müssen. Dann hätte ich mit gutem literarischen Gewissen mehr Sex-Szenen drin lassen können. Dann würde nicht der Vorwurf kommen, es handle sich wieder mal um typische Männerphantasien.

SZ: Sie wären lieber so eine Art weiblicher Michel Houellebecq? Westphalen: Genau. Pseudonym Micheline. Michelines Memoiren. Oder Michelle. Michelle Beckstein vielleicht.

Woher bekommt der Autor seine Details? Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

SZ: Wer liefert Ihnen die Details? Westphalen: Leserinnen zum Beispiel. Was Zofia im Roman macht, habe ich ein paar Leserinnen zu verdanken, deren sexuelle Vorstellungen und Praktikenprotokolle mir zu Ohren gekommen sind.

SZ: Also müsste der Titel doch lauten: "Die Memoiren vieler Frauen". Westphalen: Anfangs sollte das Buch tatsächlich "Die Memoiren meiner Frauen" heißen. Aber das war mir dann zu Casanova-mäßig. Ich wollte auch nicht die polyphone Hymne auf den Phallus schreiben. Zofia singt a-cappella.

SZ: Was wäre Ihnen peinlich? Der Titel Porno-Graf? Westphalen: Allerdings. Wenn schon, dann Pornosoph. Vor allem habe ich keinen Bock, im piekfeinen Feuilleton zu lesen, dass Westphalen mit 60 den Lustgreis spielt. Bitte zu beachten, dass meine Hauptfigur 40 ist, und seine enthemmte Geliebte kein junges Mädchen.

SZ: Was erwarten Sie? Westphalen: Gar nichts. Beim letzten Roman "Der Liebessalat" dachte ich, ich habe den perfekten Liebesroman geschrieben. Dann war ich grausam enttäuscht über die Kritiken. Bei einem Liebesroman hängt so viel Herzblut drin. Diesmal ist es ein kühles Porträt einer unkorrekten Konstellation. Meine Figuren sind mir nicht so nah. Dann wird mir auch die Kritik nicht so nah gehen.

SZ: Hat Ihre Frau das Buch gelesen? Westphalen: Ja. Keine Ehefrau der Welt kann begeistert sein, wenn ihr Mann so ein Buch schreibt.

SZ: Weil sie glaubt, dass es auf wahren Begebenheiten beruht? Westphalen: Nein. Es ist ein Roman, mehr ist dazu nicht zu sagen.

SZ: Was hat Ihre Frau dazu gesagt, dass Sie diesmal mehr weibliche Sicht im Roman haben? Westphalen: Ihrem Gesichtsausdruck nach hat sie meine Bemühung nicht honoriert.

SZ: Wäre es anders, wenn Sie auf Sex in Ihren Geschichten verzichteten? Westphalen: Es gibt ja einen gewissen Fortschritt. Meine bisherigen Helden, vor allem Harry von Duckwitz, liefen jeder Frau hinterher, der neue Held ist immerhin eine ganze Weile lang treu und hat dann nur eine einzige schräge Affäre. Allerdings wird auch in diesem Roman Untreue nicht bestraft, das ist mein kategorischer Imperativ. Liebe kann nicht Sünde sein. "Der Liebessalat" ist auch deshalb nicht verfilmt worden, weil in der ARD um 20.15 Uhr nicht für Polygamie Propaganda gemacht werden sollte. Edgar Selge hatte sich schon auf die Titelrolle gefreut. Ich würde auch gern einen Typen spielen, der jede Frau rumkriegt.

SZ: Was Realität und was Fiktion ist, wollen Sie auch nach dem fünften Viertel Wein nicht sagen? Westphalen: Sie müssten versuchen, mich noch betrunkener zu machen. Dann verrate ich mehr, aber die Aussage wäre wertlos, weil unter Alkoholeinfluss gemacht. Mein Roman endet mit den Worten: "Von mir erfahren Sie kein Wort." Eigentlich sollte ich als Antwort nur auf diesen Satz hinweisen. Aber als Autor kann ich mir nicht die Gewitztheit meiner Figuren leisten. Deshalb gestehe ich: keine Phantasie - alles harte Recherche.

© SZ vom 20.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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