Die Isar-Türkin:Der türkische MacGyver

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In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. In unserer Kolumne geht es heute um Alleskönner

Von Deniz Aykanat

Ich habe keinen Onkel. Sehr untypisch für eine türkisch angehauchte Familie. Also habe ich mir als Kind selbst einen amca gesucht, damals in den Achtzigerjahren, als wir noch im Mittelmeer-Städtchen Marmaris wohnten. Und ich fand ihn auch im Haus nebenan: Onkel Çeko. Ein Name wie ein türkischer Cowboy.

Onkel Çeko hatte schon damals abstehende graue Haare, Geheimratsecken bis zu den Schulterblättern und eine von Tag zu Tag größer werdende Wampe. Im Alltag und auch zu wichtigeren Anlässen trug er ausnahmslos locker sitzende Boxershorts. Sonst nichts. Winter wie Sommer. Auf diese Weise kam sein weißer Brustpelz, der an einen Silberrücken in einer Gorilla-Herde erinnerte, schön zur Geltung.

Mehrere Jahre lang führten Onkel Çeko, mein Bruder und ich jeden Morgen dasselbe Theaterstück in der Hauseinfahrt auf: Onkel Çeko kommt vom Bäcker zurück. Er geht die Einfahrt hoch, Kippe im Mundwinkel und zwei türkische Weißbrote unter beide Achseln geklemmt. Der Einsatz für mich und meinen Bruder: Wir rennen ihm entgegen. Onkel Çeko zieht währenddessen eines der Brote wie eine Pistole aus seiner Achsel hervor, bricht nacheinander beide Enden ab, reicht sie uns und sagt: "Na ihr Quälgeister, kriegt ihr daheim nichts zu essen, oder was?" An jedem verdammten Morgen. Wären wir nicht irgendwann nach München zurückgezogen, dann würde Onkel Çeko heute noch mit massakrierten Broten nach Hause kommen und ich mit meinem Bruder in der Einfahrt türkische Scherzln kauen.

Damals war ich drei Jahre alt und dachte, dass Onkel Çeko alles kann. Was auch so war. Es gibt da diese etwas fäkalhafte, aber deshalb umso treffendere Redensart von dem, der "aus Scheiße Gold machen kann." Wer auch immer sie erfunden hat, muss Onkel Çeko gekannt haben. Oder mindestens ein paar Türken. Denn Türken sind erfinderisch wie MacGyver und pragmatisch bis zur Schmerzgrenze. Wie sonst hätten sie auch vier Militärputsche überstehen können, ohne durchzudrehen (okay, ein paar sind schon durchgedreht).

Kommt der Mann vom Stromunternehmen nicht, zapfen sie eben die nächste Hochspannungsleitung an. Gibt es im Türkischen ein bestimmtes Wort nicht, nehmen sie einfach das ausländische und machen ein paar Üs und Ös rein. Und wenn man beim Barbier sitzt und beim Rasieren eh stillhalten muss, kann man sich auch gleich noch den faulen Zahn ziehen lassen. Die Türkei ist ein Land der Allround-Talente. Das Wort "Generalist" stammt vom türkischen Wort "Göneralüst". Ich schwöre!

Onkel Çeko war am Montag noch Tauchlehrer mit eigener Tauchschule. Blieben die Touristen weg, weil irgendwo eine Bombe hochging oder das Militär mal wieder die Verfassung retten wollte, züchtete er am Freitag seltene Papageien und richtete am Sonntag gegen Geld Wachhunde ab. Kamen die Touristen wieder, richtete er eben wieder Touristen ab.

Und auch bei Disziplinierungsmaßnahmen für das direkte Umfeld kann man sich bei meinem Onkel einiges abschauen. Wenn Çeko mit seinem hellblauen Lada in Marmaris an der einzigen Ampel stand und ein rotznasiges Kind zu langsam über die Straße ging, konnte es schon mal vorkommen, dass er den Motor abstellte, zu dem Jungen rüber hechtete und ihn am Ohr über die Straße zog.

Einmal fand mein Wahl-Onkel bei einem seiner Tauchgänge im Mittelmeer eine uralte Amphore. Riesig und noch völlig intakt. Darauf montierte er eine Glasplatte, fertig war der antike Tisch. Eigentlich gehörte die Vase natürlich in ein Museum. Sie zu behalten, war verboten. Die Frage, was er denn macht, wenn ihm jemand draufkommt, konterte Onkel Çeko so: "Wenn der Typ vom Museum vor der Tür steht, hol' ich meinen Hammer und zerschlag' das Ding. Scherben darf man behalten!" Kehliges Gelächter. Onkel Çeko konnte eben wirklich alles.

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut. Folge 8 unserer SZ-Serie, die alle zwei Wochen in der Dienstagsausgabe erscheint.

© SZ vom 08.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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