Die Isar-Türkin:Besessen von Essen

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Es heißt oft, Deutsche und Südländer passten nicht gut zusammen. Im Falle der Türken versichert unsere Autorin: Sie passen so gut zur deutschen Spießigkeit wie der Knödel zum Schweinsbraten.

Von Deniz Aykanat

Wenn ich meine Steuererklärung mache, sammle ich penibel 70-Cent-Belege für Briefmarken, errechne auf die Sekunde genau, wie viel Zeit ich an meinem Laptop für die Arbeit aufgewendet habe (sonst ist es kein Arbeitscomputer!) und messe die Schuhschachtel aus, in der ich wohne (vielleicht doch - bitte, bitte! - ein Arbeitszimmer?).

Nur wenige hundert Monate später kommt der Steuerbescheid und jedes Mal fürchte ich, aus Versehen den deutschen Staat beschissen zu haben. Gleichzeitig fürchte ich, vom deutschen Staat beschissen worden zu sein. Für beide Vorgehensweisen ist es in diesem Land aber unbedingt nötig, möglichst spießig-korrekt vorzugehen.

Es heißt deshalb oft, Deutsche und Südländer passten nicht gut zusammen. Die einen legen ihre Socken zusammen, bügeln ihre Unterhosen und zeigen eigenhändig jeden Falschparker an. Die anderen machen zwei Stunden Siesta, parken wo sie wollen und tragen gar keine Socken. Zumindest im Falle der Türken kann ich aber versichern: Sie passen so gut zur deutschen Spießigkeit wie der Knödel zum Schweinsbraten. Die Pedanterie und Pünktlichkeit, für die Deutsche so bekannt sind, kann man tagtäglich in deutschtürkischen Küchen erleben.

Wenn mein türkischer Vater Lebensmittel einkauft, sieht das so aus: Erst einmal werden für den Transport von Lebensmitteln Tüten, Schachteln und Kartons penibel gefaltet und im Sitz des Mofas verstaut. Seit mindestens zehn Jahren immer dieselben Tüten, Schachteln und Kartons - ökologisch-deutsch und so.

Wenn meine deutsche Mutter einkaufen geht, dann reißt sie ein Plastiktütchen am Gemüsestand von der Rolle, sucht sich ein paar Tomaten ohne Dellen aus, zahlt und geht. Mein Vater hingegen fährt mindestens acht verschiedene Supermärkte, Discounter und Marktstände an, um das beste Obst und Gemüse aus dem Angebot herauszufiltern. Tomaten werden nicht einfach gekauft, sondern zunächst liebevoll abgetastet und beschnüffelt. Währenddessen läuft ein leise gemurmeltes Lamento vom Band, in dem Worte wie "Gewächshaus", "Wasser", "Holland" und "fade Gschicht" vorkommen. Dazu passend ein missbilligender Gesichtsausdruck.

Zum nächsten Supermarkt. Dann endlich echte Ware (zufällig aus der Türkei!), die sofort palettenweise gekauft und mit drei Dutzend Spanngurten auf dem Mofa befestigt wird. In der Hofeinfahrt zu unserer Wohnanlage in München werden die türkischen Anwohner, wenn sie vom Einkaufen zurück kommen, öfters gefragt, ob sie den Hunger in Afrika kurieren wollen. Denn Türken sind besessen von Essen.

Genauer gesagt sind Türken vor allem besessen von Lebensmitteln. Eine Tomate ist nicht einfach nur eine Tomate, sondern Quell enormer Lebensfreude und Diskussionen. Und vor allem Deutschtürken können mit einer dermaßen deutschen Spießigkeit über türkische Küche und Lebensmittel schwadronieren, dass Loriot seine helle Freude daran gehabt hätte.

Türkei-Urlaube der Familie Aykanat beginnen nämlich so:

Erster Abend, Restaurant

Mutter: "Hast du diesen Salat probiert? Göttlich! Diese Tomaten ... die Sonne höchstpersönlich im Tomatenkostüm."

Vater: "Da braucht man ja eigentlich nichts mehr dazu. Keine Gewürze, nicht mal Salz. Höchstens einen Schuss Olivenöl. Türkisches natürlich!"

Ich: "Sogar die einfachsten Dinge schmecken hier einfach viel besser. Da brauch' ich gar kein Rinderfilet und pi pa po. Ein einfacher Tomatensalat mit Gemüsezwiebeln und Petersilie. Perfektion!"

Vater zum Kellner: "Mein Bruder, wirklich hervorragend. In Deutschland kriegen wir ja so was gar nicht mehr. Schmeckt alles nach Wasser! Ich weiß gar nicht, wie wir da eigentlich noch existieren können."

Zurück aus dem Urlaub (ja, wir kommen trotz des hiesigen Gemüses doch immer wieder zurück) bringe ich meinem Vater ein korrektes Netz Mandarinen vom Viktualienmarkt mit. Natürlich penibel vorgekostet und für hervorragend befunden.

Mein Vater lässt das Netz am Zeigefinger vor seinen Augen hin und her baumeln und kneift die Augen zusammen: "Das sind keine Mandarinen! Höchstens Clementinen, wenn nicht gar Pomeranzen!"

In der Beziehung zwischen Deutschen und Türken läuft etwas schief. Es scheint nur noch "wir" und "die anderen" zu geben. SZ-Redakteurin Deniz Aykanat trägt beide Seiten in sich. Meistens verstehen sie sich gut. Folge zwölf unserer Serie, die alle vier Wochen dienstags erscheint (diesmal - wegen des Feiertags - am Mittwoch).

© SZ vom 04.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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