Die Ermordung eines Landes:Bella Italia? Von wegen

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Müll, Mafia und skrupellose Geschäfte: Auf dem 26. Filmfest in München kehrt Italien mit zornigen politischen Filmen kehrt ins Weltkino zurück.

Martina Knoben

Es ist seine Wut, die den italienischen Film nach Jahren internationaler Bedeutungslosigkeit wieder ins Weltkino zurückträgt. Ein Furor, der die Regisseure zu biblischen Metaphern und Giftfarben greifen lässt und die Nachrichten von Mafiamorden und Müllbergen in kraftvolles politisches Kino überführt.

Müllberge in Kampanien: das Thema des Dokumentarfilms "Biùtiful Cauntri". (Foto: Foto: dpa)

Ein kampanischer Strand wird da zum Sinnbild des gegenwärtigen Italien. Dicke, ältere Männer in Shorts und mit Revolvern in der Hand laufen dort herum. Sie haben gerade zwei Männer getötet; im Hintergrund kurvt der Bagger, in dessen Schaufel die Leichen liegen.

Die Körper werden sogleich diskret und professionell entsorgt, von Männern, die aussehen wie Klempner oder Fliesenleger. Und diese hemdsärmelige, verschwitzte Professionalität ist das vielleicht Erschreckendste in Matteo Garrones Verfilmung von Roberto Savianos Camorra-Bestseller "Gomorrha". Das Morden ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen; und es vergiftet wie Sondermüll den Inbegriff von Bella Italia, den Strand.

Netz des Todes

Ein Netz des Todes scheint über dem Land zu liegen. In "Gomorrha" wird es durch die von Hand zu Hand wandernden Geldscheine geknüpft, die zu Beginn des Films den Besitzer wechseln: beim Drogenhandel oder den Zahlungen von Ciro, einem Buchhalter der Mafia, der Geld an die Hinterbliebenen von toten oder inhaftierten Camorra-Mitgliedern verteilt.

In dem Dokumentarfilm "Biùtiful Cauntri" von Esmeralda Calabria, Andrea D'Ambrosio und Peppe Ruggiero ist es der Müll, der das Land stranguliert; der kilometerweit die Landstraßen säumt und auf Wiesen, Äckern und Weideflächen Eckpunkte des Todes setzt. Kampanien werde massakriert, wettert eine zornige Schafzüchterin, deren Tiere am illegal entsorgten Dioxin verenden.

In "Il Divo" schließlich, Paolo Sorrentinos Porträt des siebenfachen italienischen Premierministers Giulio Andreotti, evoziert das Licht den Eindruck eines Gespensterreiches, in dessen Mitte Andreotti wie eine Spinne die Fäden zieht. Höllen-Rot und Leichenhaus-Grün dominieren dieses Porträt - Licht, wie es auch Peep-Shows illuminiert. "Il Divo" ist eine gallenbittere Polit-Show, eine Groteske, für deren Virtuosität Sorrentino in diesem Jahr den Jury-Preis in Cannes bekam - dabei ist der Film von Nicht-Italienern kaum zu verstehen.

Angsteinflößende Witzfigur

Toni Servillo spielt Andreotti als angsteinflößende Witzfigur mit Segelohren. Wenn er zu Beginn des Films aus dem Dunkeln auftaucht, Akupunkturnadeln im Kopf gegen die ständige Migräne, erinnert er an Adolf Eichmann im Glaskasten während des Prozesses in Jerusalem, ein anderes Geisterbild. Sorrentino versammelt eine ganze Reihe von solchen Assoziationsbildern. Eine Samba-Party zur Feier von Andreottis Wiederwahl ist eine Mischung aus Hexensabbat und Marionettentheater. Und seine politischen Freunde werden wie eine Gangsterbande exponiert. Wobei sich Sorrentino mit seiner Virtuosität auch vergaloppiert, so dicht, so zugetextet - auch durch Musik - wirkt sein Film, der schließlich mehr Fragen offen lässt als er beantwortet.

Das trifft in gewisser Weise auch auf "Gomorrha" zu, der sein Geflecht aus Gewalt, Angst und Ausbeutung ebenfalls nicht in allen Einzelheiten offenlegt. Das muss er aber auch nicht, da es in diesem Film nicht um die Strippenzieher des organisierten Verbrechens geht, sondern um die Mechanismen, die ein ganzes Land unterwerfen. Gerade hat ein Berufungsgericht in Neapel die Führungsriege der "Casalesi" eines der mächtigsten Mafia-Clans der Welt, zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ein Zeichen, dass Italien den Kampf gegen das organisierte Verbrechen noch nicht aufgegeben hat? In seinem Roman hat Saviano auch den Casalesi-Clan beschrieben; und für ihn ist das Urteil nur ein Anfang. Die Höllenfahrt, die sein Buch protokolliert, wird von Garrone in unspektakuläre, dokumentarisch anmutende Bilder übersetzt, die jedoch wie von selbst im Surrealen münden. Italien scheint in einen vorzivilisatorischen Zustand zurückgefallen in diesem gelungenen Film: Unkraut sprießt aus dem Boden einer aufgelassenen Tankstelle, und in riesigen Sozialwohungskomplexen, wo die Bewohner sich wie in Höhlen verbarrikadieren, herrscht das Gesetz des Dschungels.

Entsolidarisierung der italienischen Gesellschaft

Hinter der Skrupellosigkeit an der Oberfläche, den Müllbergen und Mafiamorden, wird die große Entsolidarisierung spürbar, die die italienische Gesellschaft auseinanderzureißen droht. Silvio Soldinis "Tage und Wolken" illustriert das ganz unaufgeregt und konzentriert, wenn er den sozialen Abstieg eines großbürgerlichen Paares begleitet.

Elsa (Margherita Buy) und Michele (Antonio Albanese) werden aus ihrem Leben geworfen, als er seinen Job als Geschäftsführer einer Spedition verliert. Ihr geschmackvoll eingerichtetes Haus muss verkauft werden. Michele kommt irgendwann nicht mehr aus dem Bett. Und Elsa, die gerade ihren Abschluss in Kunstgeschichte gemacht hatte, nimmt erst einen Job in einem Callcenter, dann eine Stelle als Sekretärin in einem Schifffahrtsunternehmen an.

Der Film hätte nicht wenige Gelegenheiten, sentimental oder pittoresk zu werden. Proletarier-Freundschaften im Callcenter aber bleiben uns ebenso erspart wie die erhoffte Solidarität unter den sozial Deklassierten. Micheles Freundschaft zu zwei ebenfalls arbeitslosen ehemaligen Angestellten endet, als diese einen Job finden. Und im hellhörigen Mietshaus, in das Elsa und Michele ziehen, kämpft jeder für sich.

Wenig Geld zu haben, bedeutet, keine Zeit für beseeltes Tun zu haben. Es bedeutet, erschöpft zu sein von der Nachtschicht, Ringe unter den Augen zu haben und wenig Selbstbewusstsein. Man kann diesen wunderbaren Darstellern dabei zusehen, wie Elsa und Michele ihre Klasse verlieren. Soldini, der mit "Brot und Tulpen" bekannt wurde, beendet seinen Film mit dem freigelegten Fresko einer Verkündigung. Der gewaltige Eingriff, den der Engel in dieser biblischen Szene ankündigt, spiegelt den Umbruch im Leben dieses Paares. Nicht einmal ihre Liebe ist vor der Zersetzungskraft des Ökonomischen sicher.

© SZ vom 25.06.2008/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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