Deutscher Botschafter in Prag:Der stille Macher

"Das Abflussrohr ist frei": Als deutscher Botschafter in Prag regelte der Grafinger Hermann Huber im Jahr 1989 die Ausreise tausender Flüchtlinge aus der DDR.

Martin Mühlfenzl

Als Hermann Huber im August des Jahres 1989 zu seinem Heimaturlaub Richtung Deutschland aufbricht, hält ihn der Grenzbeamte der tschechoslowakischen Republik kurz zurück und sagt: "Herr Botschafter, ich habe noch eine Nachricht, die ich nicht verstehe: Das Abflussrohr ist frei."

Deutsche Botschaft Prag - DDR-Bürger

Hermann Huber war 1989 Krisenmanager, als Flüchtlinge über die Zäune der deutschen Botschaft in Prag kletterten.

(Foto: Reinhard Kemmether/dpa)

Doch der Diplomat versteht die chiffrierte Nachricht sofort und überquert gemeinsam mit seiner Frau Jacqueline beruhigt die Grenze: "Diese Nachricht bedeutete, dass sich keine Flüchtlinge aus der DDR auf dem Botschaftsgelände befinden. Doch das sollte sich schnell ändern."

Hermann Huber gehört als ehemaliger deutscher Botschafter in Prag zu den stillen Protagonisten einer Kette von Ereignissen, die maßgeblich zum Fall der innerdeutschen Mauer beigetragen haben. Als im August des Jahres 1989 und in den folgenden Wochen und Monaten ein Strom von Flüchtlingen über die Auslandsvertretung in der Hauptstadt der Tschechoslowakei den Weg gen Westen sucht, stehen ihnen Huber und seine Frau als Helfer zur Seite.

Huber gehört zur Riege konzilianter, zurückhaltender Diplomaten, die nach dem Ende des zweiten Weltkrieges als erste die Schulung des Auswärtigen Amtes durchlaufen. Der gebürtige Grafinger entscheidet sich nach seinem Jurastudium für die Karriere im diplomatischen Korps der Bundesrepublik. "Dieser Bereich hat mich immer mehr fasziniert als die Politik", sagt der heute 80-Jährige mit Überzeugung. "Ich habe es spannender gefunden, einer Regierung zu dienen und sie zu vertreten - egal welche Zusammenstellung sie hat."

Und Huber dient und arbeitet sich stetig nach oben: Zunächst als Mitarbeiter im sogenannten Saar-Referat, das für die Rückgliederung der Saargebiete zuständig ist. Später in Zürich, Reykjavík und Rom. 1967 macht Huber erste Bekanntschaft mit der Hauptstadt der Tschechoslowakei: als Mitarbeiter der deutschen Handelsvertretung in Prag. "Botschaft durften wir es zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht nennen", erläutert Huber. "Das lag daran, dass wir die DDR nicht anerkannten und die sogenannten Bruderstaaten uns den Status als Botschaften verweigerten."

Den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere erlebt Huber nach zahlreichen weiteren Stationen im Jahr 1980: Der bereits erfahrenen Diplomat wird im Alter von 49 Jahren Gesandter der Bundesrepublik an der deutschen Botschaft in Moskau. Aus dieser Zeit habe er sich zahlreiche "Marotten bis heute bewahrt". "Ich überlege noch heute beim Autofahren, was ich sage oder ob ich unter einer Lampe etwas schreibe", sagt Huber und lacht. "Wir wussten ja, dass uns der KGB immer und überall abhört."

Doch diese fünf Jahre hätten ihn "abgehärtet und auf die folgenden Aufgaben, die ich ja noch nicht kannte, vorbereitet."

"Wir wurden überrrannt"

Im Jahr 1988 erfolgt die Abberufung nach Prag - in einer Zeit, in der Huber dachte, es sei politisch vieles in Bewegung: "Aber das war es nicht. Die Bewegung ging erst von den Flüchtlingen aus." Diese habe es zwar in den Jahrzehnten zuvor in Prag auch gegeben - allerdings in geringer Zahl: "Weil DDR-Bürger ohne Visum in die Tschechoslowakei ausreisen durften. Aber im August 1989 wurden wir förmlich überrannt."

Deutscher Botschafter in Prag: Der Grafinger Hermann Huber: Protagonist einer Kette von Ereignissen, die maßgeblich zum Fall der innerdeutschen Mauer beigetragen haben.

Der Grafinger Hermann Huber: Protagonist einer Kette von Ereignissen, die maßgeblich zum Fall der innerdeutschen Mauer beigetragen haben.

(Foto: Christian Endt)

Am 17. August erreicht Huber in seinem Urlaubsort in der Schweiz ein Anruf aus dem Auswärtigen Amt: Sofortige Rückkehr nach Prag, lautet die Anweisung. Das Abflussrohr ist urplötzlich verstopft. In den kommenden Wochen wird der Botschafter zum Macher, Herbergsvater, Krisenmanager und Unterhändler in einer Person.

Auf Weisung des Außenministers Hans-Dietrich Genscher schließt Huber am 23. August die Vertretung für den Publikumsverkehr - auf dem Gelände findet sich angesichts tausender DDR-Bürger kein freier Platz mehr. Aus der Bundeswehrkaserne im bayerischen Weiden ordert der Botschafter Decken, Schlafsäcke und Munitionspaletten als Schlafunterlagen - zwei Botschaftsangestellte verwandeln ein Zelt in eine provisorische Schule.

Täglich wandert Huber über das Gelände, spricht mit den Flüchtlingen, spendet Trost, macht Mut. "Ich wollte, dass die Menschen das Gefühl haben: Wir kümmern uns." Die Entscheidung, wie mit den Flüchtlingen zu verfahren ist, fällt indes auf oberster Ebene. Bei der in New York stattfindenden UN-Vollversammlung gelingt Genscher der Durchbruch: Auf Druck von Eduard Schewardnadse, sowjetischer Außenminister, stimmt die DDR-Führung der Ausreise der in Prag verweilenden Bürger zu.

Das Überbringen der guten Nachricht auf dem Balkon der Botschaft bleibt dem Minister vorbehalten: "Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..." Der Rest ist Jubel. Der Hausherr, der neben Genscher auf dem Balkon steht, schweigt. Ganz so, wie es seine Art ist. Das Abflussrohr ist frei - für immer.

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