Designer-Lokale:Dinieren unter Denkmalschutz

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Raum, Licht und Design: Ein Architekturkritiker schaut sich in Münchner Gaststätten um und entdeckt Wundersames

Gottfried Knapp

(SZ vom 13.05.2002)- Man muss nur den Blick kurz nach Berlin schweifen lassen, um sich klarzumachen, wie traditionell die gestalterischen Vorstellungen der Münchner Wirte, aber auch die Raum-Bedürfnisse der hiesigen Lokal-Besucher sind. In Berlin ist seit der Wende und seit der übereifrigen kulinarischen Kolonisierung des Ostens in vielen neuen Lokalen eine entschiedene Neigung zu architektonisch ausgeprägten, kühl sachlichen Gestaltungen zu erkennen. Die Zahl der exquisit stilisierten, weltstädtisch eleganten Bars wächst ständig; und in der Friedrichstadt, im Scheunenviertel und am Prenzlauer Berg werden fast täglich Restaurants eröffnet, die mit ästhetisch geschickt gesteuerten atmosphärischen Werten für sich einnehmen. In einigen von ihnen kann man sogar passabel speisen und in die Weinregionen Süddeutschlands, Österreichs oder Italiens entfliehen.

Design-Utopie Schäfflerhof

In München gibt es nur wenige Lokale, die eine architektonische Handschrift verraten oder sich zum Stil eines Designers bekennen. Im neuen Schäfflerhof hat sich der Italiener Ivano Gianola mit dem spitzen Betonkeil der Casa Brunello - er steht wie die Nadel eines Kompasses im Hof - zwar eine Architekten-Utopie erfüllen dürfen, doch die Besucher des Lokals werden durch die Zwangsform des Gehäuses und die Engstellung der Designer-Stühle im Inneren in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt.

Edelkantine Lenbach

Auch das vom Großmogul der gastronomischen Stimmungsmacher, Sir Terence Conran, hingeschlampte "Lenbach" kann nicht recht überzeugen: Das Lokal, das sich gerne als Edelkantine der nahen Börse geriert, will mit seiner Ausstattung in der internationalen Oberliga mitspielen, bezieht seine Reize aber fast ausschließlich aus der gediegenen Altbausubstanz des Bernheimer- Palais und aus den stattlichen Dimensionen der Räume; was Sir Terence hinzugefügt hat - etwa die Exhibistionistenrampe quer durch das Restaurant, die den Besucher zum optischen Spießrutenlauf zwingt - wird mancher nur als Zumutung empfinden.

Tantris: 70er-Jahre Eleganz

Fast sentimental erinnert man sich da an das "Tantris", diesen brutalistisch kühlen Betontempel des Schweizer Luxus-Architekten Justus Dahinden aus den Zeiten der überzeugten Moderne. Die avantgardistische 70er-Jahre-Eleganz des Lokals war in den 90ern so verpönt, dass sie von den betreibenden Restaurantteams immer wieder ins Gemütliche abgemildert wurde. Heute wäre es an der Zeit, sich wieder zu der gestalterischen Radikalität der ersten Jahre zu bekennen. Denn kulinarisch war das Tantris immer Avantgarde, ja man könnte es als die Wiege der deutschen Mehr-Sterne-Küche bezeichnen. Bis heute ist es ein Ort hoher kulinarischer Kreativität geblieben und hat als solcher in den Zeiten des allgemeinen Mittelmaßes und des gefälligen architektonischen Camouflierens Denkmalschutz verdient.

Gemalte Pacific-Wellen

Als Eckart Witzigmann die modernistischen Hallen des Tantris verließ, hat er sich in der Innenstadt eine idyllische Laube mit Meer- und Gebirgsblick - nein nicht bauen, sondern in einen Bau illusionistisch geschickt hineinmalen lassen. Im konservierten Ambiente seiner ehemeligen "Aubergine" hat sich der Fisch-Koch Hunsinger seit einiger Zeit erfolgreich den Wohlgerüchen Asiens verschrieben; er lässt die Wellen des "Pacific" an die gemalte Terrasse branden.

Markthalle Dukatz

Die schönste architektonische Kreation der letzten Jahre auf dem gastronomischen Sektor war zweifellos das "Dukatz" im Literaturhaus. In den hohen Raum der ehemaligen Markthalle hat Uwe Kiessler mit unaufdringlichen Mitteln ein Restaurant eingebaut, das mit seiner zurückgesetzten Empore wie kein anderes Lokal in München Erinnerungen an die herrlich weiten, dicht bestuhlten, lärmerfüllten Brasserien in den Großstädten Frankreichs erinnert. Leider wird die viel zu kleine Küche den Ansprüchen, die der große Raum stellt, und auch den Preisen auf der Karte nicht mehr gerecht.

Ederer und Gasthaus Glockenbach

Mit schönem Erfolg hat sich Sterne-Koch Karl Ederer in seinen beiden Lokalen um eine sachlich angenehme Ausstattung bemüht: Im "Gasthaus Glockenbach" hat er den Charme einer alten Bierstube, im "Ederer" die verschwenderischen Dimensionen einer neubarocken Beletage so geschickt den Bedürfnissen eines gehobenen Restaurants angepasst, dass nichts mehr von den kulinarischen Ereignissen und den prominent platzierten Kunstwerken an den Wänden abblenkt.

Augustiner: Alt-Münchner Sehnsüchte

Wenn es ein Lokal in München gibt, das allein der Architektur wegen einen Besuch wert ist, dann sind es die Augustiner-Gaststätten in der Neuhauser Straße, das letzte beeindruckende Beispiel einer sonst weitgehend untergegangenen bürgerlichen Gestaltungskultur. Bräuhäuser mit einer ähnlich exquisiten historistischen Ausstattung hat es in München bis zum Krieg einige gegeben. Doch mit der herrlich geblähten jugendstiligen Glas-Eisen-Kuppel und dem stimmungsvollen "italienischen" Loggienhof hat Emanuel von Seidl ein Monument Münchner Sehnsüchte geschaffen, das auch in dem etwas abgewetzten heutigen Zustand noch begeistern kann. Wer seinen Gästen etwas vom berühmten Alt-Münchner "Leuchten" bieten will, kommt um einen Besuch im Augustiner nicht herum. Das dortige Essen ist allerdings Geschmackssache.

Blaues Haus

Schon seit einigen Jahrzehnten ist die hiesige Gastronomie damit beschäftigt, die unsäglichen Gestaltungs-Exzesse der Rustikal-Mode abzubauen. Das bislang markanteste Gegenbild zu Butzenscheiben und Dreschflegeln lieferte bislang das "Blaue Haus" im Erdgeschoss der Kammerspielverwaltung; es sieht, wie das "Stadtcafé" im Stadtmuseum, auf den ersten Blick so aus, als sei es erst mal mit Möbeln vollgestellt worden, bis man sich über die Gestaltung einig ist. Tatsächlich scheinen die bewusste Kantinen-Nüchternheit, die totale Transparenz der umlaufenden Glaswände und das gezielte Nicht-Design der nackten Lüftungsrohre das Publikum zunächst abgeschreckt zu haben, doch mit der Zeit haben sich das Ambiente, die regional orientierte originelle Küche und die guten Geister der Kammerspiele zu einer Art Gesamtkunstwerk verbündet, das allabendlich die Leute anzieht.

Die entschiedensten gestalterischen Neuentwicklungen der letzten Jahre lassen sich wohl an der Beleuchtung ablesen - oder genauer gesagt: an der Art, wie in Lokalen, die Erfolg haben wollen, das Licht mehr und mehr abgeschafft oder ins Schwüle verfremdet wird. Vor allem in der Isarvorstadt, dem so genannten "Gärtnerplatz-Viertel", wo in den letzten Jahren fast alle traditionellen Kneipen in die gleiche Richtung umgekippt sind und jugendliche Zeitgeist-Abhängige den Mittelpunkt der Welt vermuten, gelingt es immer mehr Wirten, durch schlichtes Herunterdimmen des Lichts von der Tatsache abzulenken, dass die derzeit "angesagte" Melange aus Mixgetränken und Mexgerichten nur die sinnlos überteuerte Fortsetzung der McVerköstigung ist. Wer dort abends spazieren geht und durch die aufgerissenen Schau-Fenster in die diversen Varianten von Finsternis blickt, der kommt sich vor wie im Nachttierhaus von Hellabrunn, wo auch scheinbar alles gezeigt wird, aber absolut nichts zu sehen ist.

Bleibt nur zu hoffen, dass - wie im Zoo - die künstliche Dunkelheit und die schwüle Kerzen-Hitze den Jagdinstinkt und die Paarungsbereitschaft der Insassen gewaltig steigern.

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