Deserteur ohne Asyl:Die Odyssee des Alexander Iwanow

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Als Deserteur flüchtete der Russe nach München - bis heute hat er kein Bleiberecht.

Bernd Kastner

Sie finden ungewöhnlich deutliche Worte, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Von "erheblichen Unklarheiten" sprechen sie, oder von einer "nicht hinnehmbaren Verzögerung". Immer wieder "beanstanden" die Abgeordneten das Vorgehen der Behörden, des Bundesinnenministeriums und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.

Leben hinter hohen Zäunen: Die Asylunterterkunft Schwankhartweg. (Foto: Foto: ddp)

Das sind deutliche Worte in der sonst so diplomatischen Welt der Berliner Politik. Es geht um das Schicksal einer russischen Arzt-Familie, es geht um Flucht aus der Sowjet-Armee, um den Bundesnachrichtendienst, verweigerte Spitzeltätigkeit, gewährtes und dann abgelehntes Asyl, und um jahrelanges Warten auf eine Zukunft.

Der Petitionsausschuss des Bundestages hat allen Grund, die Behörden zu rüffeln. In ihren Händen lag und liegt die Zukunft der russischen Familie Iwanow (Name geändert), Vater, Mutter, zwei erwachsene Söhne. Deutsche Beamte haben sich, um es vorsichtig zu formulieren, nicht gerade fürsorglich um die Iwanows gekümmert.

Man wollte sie benutzen, als dies aber nicht funktionierte, überließ man sie ihrem Schicksal, und dieses besteht bis heute aus Warten. Warten in Deutschland, warten im russischen Gefängnis, warten in München. Warten auf die Zukunft, seit mehr als 16 Jahren nun.

Druck vom BND

Im November 1990, da ist der Ostblock schon weitgehend zusammengebrochen, desertiert Alexander Iwanow, der Vater, aus der russischen Armee und flüchtet nach München. Er war im ostdeutschen Grimma als Militärarzt stationiert und ist einer von Hunderten, die sich in den Westen absetzen. Wenige Stunden nach seiner Ankunft an der Isar melden sich, wie sich später herausstellen sollte, Mitarbeiter des BND bei Iwanow.

Das ist üblich zu jener Zeit, von russischen Deserteuren versprechen sich deutsche Agenten wertvolle Informationen. Iwanow soll weitere Kameraden zur Flucht veranlassen und zum Reden bewegen. Doch er weigert sich. Er stellt Asylantrag.

1992 kommen seine Frau, auch Ärztin von Beruf, und die beiden Söhne nach München, kehren 1993 aber wieder in die Heimat zurück. Der Vater wird derweil weiter vom BND "betreut", man gibt ihm zu verstehen, dass er nur dann Asyl bekomme, wenn er kooperiere.

Jahr um Jahr vergeht, über den Asylantrag wird nicht entschieden, 1995 verliert Iwanow die Geduld, reist zurück nach Russland. Dort sperrt man ihn ins Gefängnis, drei Jahre wegen Fahnenflucht. Ehefrau und Söhne sind nun die Familie des "Verräters".

Wenige Monate nach der Ausreise aus Deutschland verschickt das Bundesamt einen Asylbescheid, fünf Jahre nach der Antragstellung: Alexander Iwanow erhält Asyl. "Der Antragsteller hält sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung außerhalb seines Herkunftslandes auf und ist daher als Asylberechtigter anzuerkennen."

Dieser Alexander Iwanow aber sitzt längst in einem sibirischen Gefängnis, der Brief ist unzustellbar, das Bundesamt hebt den Bescheid wieder auf. 1997 verkündet die Bundesregierung ein dauerhaftes Bleiberecht für russische Deserteure.

Der Vater sitzt die vollen drei Jahre ab, Mitgefangene beschimpfen ihn als "Nazi-Schwein", die Frau und die Söhne sind ständigen Schikanen ausgesetzt. 2003 entschließen sie sich erneut zur Flucht, kommen via Berlin nach München. Das Bundesamt lehnt das neue Asylgesuch ab, ohne die Familie überhaupt angehört zu haben.

Leben in der Containerbaracke

Nur mit einer Klage können die Iwanows eine Anhörung erzwingen, doch sie bringt nichts: Der Asylantrag wird abgelehnt, eine weitere Klage bleibt erfolglos, das Gericht erklärt sinngemäß: Der Mann hat doch seine Strafe abgesessen in Russland, jetzt ist doch alles in Ordnung.

Die Iwanows aber fürchten inzwischen ihre Heimat, fürchten das Gerede und die Schikanen, der jüngste Sohn ist sich sicher, dass sie ihn mit der Armee nach Tschetschenien schicken würden.

Die Iwanows geben nicht auf, kämpfen um ihre Zukunft. Iwanows Rechtsanwalt Michael Sack reichte Petitionen im Bayerischen Landtag und beim Bundestag ein. Mitschüler des Sohnes Juriy, er besucht das Max-Planck-Gymnasium, und Organisationen wie Caritas oder Kinderschutzbund unterstützen ihr Anliegen.

Die Abgeordneten im Maximilianeum zeigten sich betroffen vom Schicksal, ein CSU-Mann sagte: "Das ist nicht ordnungsgemäß gelaufen." Doch zuständig sei man nicht in Bayern, BND und Bundesamt seien Bundesangelegenheiten, weshalb sich doch bitte Berlin um den Fall kümmern möge.

Dort machte der Fall ebenso betroffen, doch wirklich helfen könne man auch nicht, wie es im Bericht des Petitionsausschusses heißt. Man habe nur "äußerst geringe Einwirkungsmöglichkeiten" auf das Bundesamt, und als Asylberechtigte könne die Familie nicht anerkannt werden, das sei "schon wegen der Einreise auf dem Landweg ausgeschlossen".

Zwar stellen die Abgeordneten den Behörden, wie geschildert, ein miserables Zeugnis aus, doch ein Bleiberecht aus humanitären Gründen könne man nicht gewähren. Also überweisen die Abgeordneten den Fall ans Bundesinnen-ministerium zur Kenntnisnahme. Und schicken ihn zurück nach München an die "Landesvolksvertretung von Bayern".

Die möge das Schicksal der Iwanows der im August 2006 neu gegründeten Härtefallkommission vorlegen, um ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zu erwirken.

Da liegt die Akte Iwanow nun. Die Familie selbst lebt weiter in einer Asylunterkunft in München, vier Personen, zwei Zimmer, Container-Baracke. Der jüngere Sohn ist mittlerweile im Richard-Strauss-Konservatorium aufgenommen worden, er spielt Klavier. Die Mutter und der ältere Sohn suchen Arbeit, aber erst wenn sie eine Stelle haben, entscheiden die Behörden, ob sie eine Arbeitserlaubnis bekommen. Der Vater sammelt derweil leere Flaschen.

© SZ vom 22.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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