Der Sommer war ideal fürs Wachstum:Giftige Doppelgänger

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Ein bitterer Gallenröhrling sieht einem edlen Steinpilz ziemlich ähnlich. Experten raten Schwammerlsuchern deshalb, ganz genau in ihren Korb zu schauen - zumal auch bei Speisepilzen Vorsicht geboten ist

Von Günther Knoll

Endlich - kurz vor Schluss der Beratungszeit steuert dann doch noch eine ältere Münchnerin mit einer großen Korbtasche den Tisch von Bernhard Mrosek in der Stadtinformation im Rathaus an. Pilze? Die Frau muss den Sachverständigen enttäuschen, sie war gerade beim Einkaufen in einem Feinkostgeschäft. "Und Steinpilze, die hol' ich mir am Viktualienmarkt", sagt sie, "ich gehe nicht mehr Pilze suchen, weil ich mich nicht mehr bücken kann".

Viele andere haben solche Probleme nicht, und so sind an den Wochenenden im Spätsommer und Herbst in den Wäldern rund um München oft mehr Schwammerlsucher zu finden als Schwammerl selbst. Nach einem warmen und regenreichen Sommer erwarten die Experten für heuer ein gutes Pilzjahr. Das letzte Augustwochenende aber war heiß und trocken - nicht das richtige Wetter für Schwammerl. So hatte Bernhard Mrosek einen relativ ruhigen Nachmittag. Er gehört zum Sachverständigenteam des Vereins für Pilzkunde München, der jeden Montag ehrenamtlich Beratung in den Rathäusern am Marienplatz und Pasing anbietet. Da kann es gut sein, dass der den Experten zugewiesene Tisch ganz hinten in der Stadtinformation umlagert ist von unsicheren Pilzsammlern.

An diesem Vormittag sei ein Mann mit vier vollen Tüten gekommen, sagt Mrosek. Bei solchen Mengen lässt er die Ratsuchenden dann erst einmal selbst sortieren, des Lerneffekts wegen. In dem Fall aber sei alles in den Abfall gewandert, "vertrocknet, schimmlig" musste Mrosek den Finder enttäuschen. Dass Sammler "vom Jagdfieber gepackt" ganze Berge von Pilzen anschleppen, ohne sie zu kennen, erleben die Berater oft. Die dann aber zu sortieren und zu bestimmen, dazu sei er eigentlich nicht da, sagt Mrosek. Den Experten geht es darum, bei Zweifelsfällen und Unsicherheiten zu helfen und so Vergiftungen zu verhindern. Da genügt manchmal schon ein Giftpilz im Korb und die ganze Ausbeute muss in den Müll.

Schön, aber giftig: der Fliegenpilz, der oft in ganzen Ringen wächst. Er gilt trotz seiner Giftigkeit als Glückssymbol. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Besucher seien dann meist enttäuscht, aber doch dankbar, lautet Mroseks Erfahrung. So wie der Mann, der zwei sauber in Papiertaschentücher eingewickelte Pilze auf den Tisch legt. "Sehen aus wie Steinpilze, sind aber wohl keine?" fragt er unsicher. Mrosek muss ihn bestätigen: Es sind zwei Gallenröhrlinge, im Volksmund Bitterlinge genannt, wegen ihrer Ähnlichkeit zum Steinpilz werden sie oft mit diesem verwechselt. Der Finder soll selbst ein winziges Stück probieren - "Ja, schon etwas bitter.". Ein solcher Pilz in der Suppe und das ganze Gericht ist ungenießbar.

Die Lust auf Speisepilze steht im Verein nicht im Vordergrund, da geht es um Besonderheiten und seltene Exemplare. Allein 8000 Pilze mit Hut und Stiel gibt es - und die Experten kennen fünf mal so viele Exemplare, die ein Laie nie als Pilz identifizieren würde. Mrosek war erst vor kurzem auf einer Tagung der bayerischer Pilzkundler im Bayerischen Wald, bei der er zum ersten Mal einen Königs-Fliegenpilz sah. Fortbildung gehört einfach dazu, auch um weiter als Sachverständiger tätig sein zu können. Im Münchner Pilzverein, der heuer sein hundertjähriges Bestehen feiert, treffen sich jeden Montag die Mitglieder, mikroskopieren, bestimmen, halten oder hören Vorträge.

Mit gewöhnlichem Schwammerlsuchen hat diese Wissenschaft wenig zu tun. Bernhard Mrosek hat aber noch eine zweite Leidenschaft, er ist begeisterter Hobbykoch, wie er gesteht. Und da kann er die Vorliebe mancher für ein feines Pilzgericht nur zu gut verstehen. "Steinpilze in Haselnussöl", schwärmt er, als es um das Kochen mit Pilzen geht. Er bietet sogar Kurse an, bei denen zuerst gemeinsam gesammelt und dann gekocht wird.

Doch was ihm an diesem Tag vorgesetzt wird, das taugt nicht für die Küche. Eine ältere Frau legt ein Häuflein Pilze auf den Tisch, eine jüngere Nachbarin habe sie gesammelt, "aber die kennt d'Schwammerl net". Neben ein paar Rotfußröhrlingen und Maronen - alle schon in schlechtem Zustand - liegen noch kleiner braune Pilze. "Täublinge", vermutet die Frau. Wie man die erkennt, erklärt ihr Mrosek geduldig: Die Lamellen sind brüchig, die Haut am Hut ist abziehbar und der Stiel lässt sich brechen. Wenn diese Kriterien zutreffen, "dann dürfen Sie probieren". Aber nur ein kleines Stück, wenn das mild schmeckt, ist der Täubling genießbar. In dem Fall aber nicht, " alles vergammelt", lautet das Urteil des Experten. Er rät dazu, unbekannte Pilze immer mit dem ganzen Fruchtkörper zu ernten und nicht abzuschneiden, "ohne die Knolle mach' ich keine Bestimmung".

Ob ein Pilz als genießbar gilt, das hat auch mit den Umständen zu tun. In Kriegszeiten zum Beispiel, als es wenig Nahrung gab, aßen die Leute Pilze, vor deren Genuss heute gewarnt wird. Galt der Hallimasch etwa früher als guter Speisepilz, so wird er heute vor allem roh als gefährlich eingestuft. Und die Wissenschaft findet ständig Neues: Selbst zu viele Steinpilze auf einmal können unter Umständen gefährlich werden. Das habe er erst bei einem Vortrag erfahren, sagt Mrozek. Sein Rat: Schwammerl nur einmal pro Woche etwa 200 Gramm, "ich esse Pilze ja nicht, um satt zu werden!" So gehe man auch der Gefahr aus dem Weg, zu viel Radioaktivität abzubekommen. Manche Pilze sind hoch belastet, obwohl die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 30 Jahre her ist.

Beratung und Hilfe

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(Foto: Florian Peljak)

Wer Pilze gesammelt hat, kann diese auch heuer bis zum 17. Oktober bei den Pilzberatungsstellen des Kreisverwaltungsreferats in München überprüfen lassen. Ehrenamtliche Berater des Münchner Vereins für Pilzkunde schauen sich die Fundstücke genau an und erklären, welche Pilze sich unbedenklich verzehren lassen und welche schmecken. Die Beratung findet jeden Montag (außer an Feiertagen) von 10 bis 13 Uhr und 16.30 bis 18 Uhr in der Stadtinformation im Rathaus (Marienplatz, Telefon: 089/22 23 24, telefonische Auskunft nur während der Beratungszeiten) beziehungsweise von 8.30 bis 11.30 Uhr im Pasinger Rathaus (Landsberger Str. 486, Altbau. Telefon: 089/233-372 37) statt. Ein sachkundiger Experte in Sachen Pilze ist Bernhard Mrosek vom Verein für Pilzkunde München (Foto). Bei Verdacht auf Pilzvergiftung wendet man sich am besten an die Giftnotrufzentrale in der Toxikologischen Abteilung der Medizinischen Klinik rechts der Isar Ismaninger Str. 22, Telefon 089/192 40. kg

Auch die Naturschutzbestimmungen stehen der Sammelwut entgegen: Denn viele Pilze sind selten und deshalb geschützt, darunter Pfifferlinge und Steinpilze, sie dürfen eigentlich nur in kleineren Mengen für den Eigengebrauch geerntet werden. Am schönsten aber sind sie sowieso draußen im Wald, das wissen Experten wie Bernhard Mrosek. Und sie wissen auch, dass man sie dort das ganze Jahr über finden kann. Will man möglichst viele Arten auf einmal sehen, dann gibt es die große Pilzausstellung des Vereins für Pilzkunde im Botanischen Garten. Vom 16. bis 18. September sind dort in der Winterhalle an die 500 verschiedene Pilze zu sehen, die vorher von den Vereinsmitgliedern gesammelt werden.

© SZ vom 02.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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