Der grünste Wahlbezirk:Mitten ins Herz

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Die Grünen haben überall in München Stimmen gewonnen, im Glockenbachviertel besonders viele. Mit ihren Themen können sie dort voll punkten

Von Anna Hoben, München

Das Kichern aus der Bäckerei hört man bis auf die Müllerstraße. "Wir haben gerade über Söders Kreuze gelacht", sagt der Mann, der drinnen Brote und Rosinenschnecken verkauft, als man ihn fragend anschaut. Er erzählt dann gleich weiter: Dass er noch nie grün gewählt habe, sondern immer CSU, "weil ich fand, dass die für Bayern in Ordnung ist - aber jetzt nicht mehr". Eigentlich sei er, Ulf J., 59 Jahre, kein Freund großer Veränderungen, "ich bin für Kontinuität und Stabilität". Grüne Politik sei ihm immer zu sehr mit Kosten verbunden gewesen, energiesparendes Bauen und Modernisieren etwa, und hohe Preise für hochwertige Lebensmittel. "Ich verdiene nicht so viel, für mich dürfen die Lebenshaltungskosten nicht ständig steigen", sagt J. Aber so wie die CSU sich aufgeführt habe in den vergangenen Monaten, und hier ist er wieder bei Söders Kreuzerlass, sei sie eben nicht mehr seine Partei. Sogar seine Mutter hat er überzeugen können, die Grünen zu wählen - ebenfalls zum ersten Mal, mit 87 Jahren.

Wenn ein Stimmkreis ein Herz hat, dann ist das Glockenbachviertel wohl das Herz des Stimmkreises München-Mitte. Dort haben die Grünen mit 42,5 Prozent ihr bayernweit bestes Ergebnis erzielt, im zum Kreis gehörenden Stadtbezirk Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, in dem das Glockenbachviertel liegt, waren es noch einmal mehr: 44 Prozent. Direktkandidat Ludwig Hartmann hat sogar 45,3 Prozent der Erststimmen bekommen. Der Bezirk ist auch früher schon deutlich grüner gewesen als andere - bei der Landtagswahl 2013 sah das dann aber doch noch etwas anders aus, damals entfielen dort 21,8 Prozent der Gesamtstimmen auf die Grünen.

Im Café Götterspeise an der Kreuzung Westermühlstraße/Jahnstraße sitzt Franz Dirtheuer, 68, Architekt und Städteplaner, er hat gerade die Mittagspause hier verbracht. Sein Büro ist ganz in der Nähe, in einem Haus, das ihm gehört und in dem er auch eine Zweitwohnung hat, sein Erstwohnsitz liegt in Herrsching. Er wähle immer schon grün, sagt Dirtheuer, und habe eigentlich mit einem noch besseren Ergebnis im Viertel gerechnet. Nachhaltigkeit im Städtebau, qualitätsvolle Nachverdichtung, das sind seine Themen. Und er glaube, dass die Grünen "mehr Verständnis für diese Dinge haben". Gern hätte er sie in der Regierung gesehen, "es hätte sich grundsätzlich etwas verändern sollen, aber das ist ja nun wohl verhindert worden", durch die wahrscheinliche Koalition von CSU und Freien Wählern. Ob er auch in seinem Umfeld bemerkt habe, dass die politische Stimmung sich verändert hat? Ja, schon, sagt er, nur beim Thema Auto seien viele zwiegespalten - darauf wollten sie eben doch nicht verzichten. Seine Frau und er hätten ja selber zwei Autos, räumt er ein, "das ist der Widerspruch." Seine Tochter dagegen, die mit Mann und zwei kleinen Kindern in Berlin wohnt, sage, sie würde sich niemals ein Auto anschaffen. "Ich frage immer, wie macht ihr das nur?"

Wen man hier im Viertel auch anspricht an diesem sommerwarmen Nachmittag nach der Wahl, fast alle haben die Grünen gewählt. Sie wollen keine Massentierhaltung und bessere Radwege, eine Frau Mitte 50 beschreibt als Aha-Erlebnis die Lektüre eines Buchs über das Bienensterben, "das hat mich tief bewegt", sie habe daraufhin ihre Einstellung komplett überdacht. Markus Söder zu überheblich, die grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze "eine Superfrau", "erfrischend", "unheimlich positiv", das hört man, vor allem von Frauen. "Weil die Grünen mich auf Landesebene immer schon mehr überzeugt haben", sagt Julia Kubazki, 30, "beim Thema Umwelt, aber auch beim Sozialen." Die Partei wirke auf sie "am beständigsten, nicht wie ein Fähnchen im Wind". Klimawandel und Umweltschutz waren auch für ihre Kollegin Paula Flach, 34, ausschlaggebend. Obwohl sie sich ohnehin nicht erinnern kann, "je etwas anderes gewählt zu haben".

Auf einer Bank am Rand eines Spielplatzes sitzt Urd Furtwängler, Schwabingerin, Grünenwählerin seit den Anfängen der Partei, ihr fünfjähriger Enkel Leonard spielt nebenan im Sandkasten. Eine rot-grüne Regierung hätte sie Bayern gewünscht, "und alles Schwarze weg". Bildung und Chancengleichheit sind die Themen, die sie am meisten beschäftigen. Aber auch die steigenden Mieten machen ihr Sorgen, wenngleich sie das als Eigentümerin nicht persönlich betrifft. "Ich kann gar nicht richtig nachvollziehen, wie das ist, keine Wohnung zu finden."

© SZ vom 16.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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