Der Frust der Asylhelfer:So schaffen wir das nicht

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Der ehemalige Pfarrer Michael Süßmann kümmert sich in Eurasburg mit großem Engagement um Flüchtlinge. Doch die Hilfe stoße an Grenzen, weil Behörden und Politik die Probleme verschärften, sagt er

Von Thekla Krausseneck, Eurasburg

Michael Süßmann könnte stundenlang erzählen. "Wenn man einmal angefangen hat, hört man nicht mehr auf. Aber das geht uns allen so." Der Flüchtlingshelfer telefoniert, ehe das Interview beginnt: Die Sonne fällt durch hohe Fenster ins Wohnzimmer auf einen Flügel und ausgedruckte Motivationssprüche. "Das geht auch vorbei", heißt es auf dem einen, auf dem anderen: "Es ist wie es ist." Der 68-Jährige, der früher evangelischer Pfarrer in Wolfratshausen war, legt auf und entschuldigt sich. "Es ging mal wieder", sagt er und deutet auf das Telefon, "um das Thema."

"Eine belastende Situation"

Jochen Jacob, Helferkreis Asyl in Petershausen im Landkreis Dachau: "Unsere 24 afghanischen Flüchtlinge können sich im Moment kaum auf den Unterricht konzentrieren. Sie haben Angst. Einer von ihnen soll abgeschoben werden. Es geht ihm extrem schlecht. Das ist auch für uns eine belastende Situation. Wir überlegen, was wir tun können, damit niemand allein ist, wenn er eine so schlimme Nachricht erhält. Einige Afghanen sind in der Berufsschule, andere arbeiten. Sie sind von 104 Flüchtlingen die größte und eine der am besten integrierten Gruppen. Einige haben in Afghanistan mit den USA und ihren Alliierten zusammengearbeitet und werden von den Taliban bedroht. Schwierig sind für uns auch die anerkannten Flüchtlinge. Anfangs waren wir so naiv, dass wir dachten, mit dem Bleiberecht ist unsere Aufgabe beendet. Doch wir müssen helfen, eine Wohnung zu finden - was kaum erfolgreich ist." vgr

Völlig unverständlich

Reinhold Henninger, Flüchtlingsunterstützerkreis Neufahrn: "Es gibt viele Fälle, bei denen die Helfer an ihre Grenzen stoßen, vor allem an Verständnisgrenzen. Ein Fall ist der eines jungen Pakistani. Adeel hat schon lange ein Praktikum beim Neufahrner Elektroinstallationsbetrieb Ammon absolviert, und dort schätzt man ihn sehr. Gerne würde der Inhaber ihm einen Ausbildungsvertrag geben, doch das ist wegen der nun fehlenden Arbeitserlaubnis nicht möglich. Der Firmeninhaber wäre sogar mit dem Mann nach Pakistan geflogen, um ihm dort ein reguläres Visum zu beschaffen, aber davon haben alle abgeraten. In der Firma ist man jetzt unheimlich sauer, dass ihnen einfach so ein guter und zuverlässiger Mitarbeiter entzogen wird. Außerdem hat man viel Zeit und Geld investiert, Adeels Geschichte könnte die einer wunderbaren Integration sein." av

Die Mühe läuft ins Leere

Gerlinde Reichart, 62, Helferkreis Kirchheim: "Seit dem Erlass des Innenministeriums, Asylbewerbern mit geringer Aussicht auf ein Bleiberecht den Zugang zu Arbeit zu erschweren, ist der Frust bei vielen Ehrenamtlichen gestiegen. Obgleich der Münchner Landrat Christoph Göbel (CSU) durch eine soziale Linie in der Umsetzung asylpolitischer Anweisungen auffällt, haben wir mehrere Fälle erlebt, in denen Asylbewerbern, die einen Job hatten, die Erlaubnis nicht verlängert wurde. Auch einer Frau aus Afghanistan wurde das Praktikum in einer Bäckerei verweigert. Von den Flüchtlingen in unserer Unterkunft hatten wir einen Großteil in Arbeit gebracht, das wird uns jetzt nach und nach wieder entzogen. Das macht mürbe. Ein Kollege meinte kürzlich, er habe beinahe Lust, sich nur noch für anerkannte Flüchtlinge zu engagieren. Bei den übrigen laufe so viel Mühe ins Leere." gna

"Uns fehlt ein lieb gewonnener Mensch"

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(Foto: privat)

Gisela Schindler, Helferkreis Aßling im Landkreis Ebersberg: "Mein Mann und ich haben Mahmoud K. seit einem halben Jahr betreut, jetzt ist er weg. Als er aus Syrien ankam, konnte Mahmoud kein Wort Deutsch, mittlerweile spricht er es nahezu fließend. Natürlich wächst einem so jemand ans Herz, wir haben uns sehr mit ihm gefreut, als er vor einigen Wochen einen Job vermittelt bekam. Im Februar hätte er in einem Handwerksbetrieb anfangen können, doch dann kam alles anders. Um sieben Uhr früh standen Polizisten und Mitarbeiter des Landratsamts in seinem Zimmer und nahmen ihn mit. Es ist schwer, seine Abschiebung in einen sicheren Drittstaat zu akzeptieren, so viel Zeit und Herzblut haben wir investiert. Mahmoud war strebsam, gehörte im Ort dazu, konnte die Sprache. Jetzt muss er in Zagreb unter schlechten humanitären Bedingungen von vorn anfangen. Und uns fehlt ein lieb gewonnener Mensch." koei

"Die Stimmung ist bedrückend"

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(Foto: privat)

Lilo Nitz vom Helferkreis Gröbenzell im Landkreis Fürstenfeldbruck: "Die Stimmung unter Flüchtlingen und Asylhelfern ist bedrückend. Es gibt viele Ablehnungsbescheide, es gibt Klagewünsche. Momentan suchen wir Anwälte. Sehr bedrückend ist die Situation für Flüchtlinge aus Pakistan, die aus der Grenzregion zu Afghanistan kommen und nun wieder dorthin zurückkehren sollen. In der Region haben nach den Aussagen der Geflüchteten die Taliban die Macht, pakistanische Sicherheitsbehörden sind nur ganz selten auf Kontrollfahrt. Einige Helfer sind frustriert. Sie denken daran, was sie in den vergangenen Jahren auf die Beine gestellt haben, und nun sollen die Flüchtlinge wieder zurückgehen. Ganz schwer ist aber auch die Wohnungssuche für die, die bleiben dürfen. Wir finden im Landkreis keine Wohnungen. Das ist zermürbend." ano

"Hoffnungslosigkeit erschwert die Arbeit"

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(Foto: Georgine Treybal)

Sonia Welski-Preisser, 64, vom Helferkreis in Krailling im Landkreis Starnberg: "Shoaibullah Formily, 26, und seine Frau Tamana, 22, leben seit Juni 2016 im Containerdorf. Beide flohen aus Afghanistan, weil Tamana eine arrangierte Ehe mit einem Taliban verweigerte und ihr Steinigung drohte. Vor ihrer Flucht heirateten sie vor einem Mullah. Im Oktober kam Töchterchen Yusra zur Welt und der Vater bekam einen negativen Bescheid seines Asylantrags: Seine Ehe mit Tamana wird in Deutschland nicht anerkannt, er gilt als allein reisend. Auch ist es gleichgültig, dass er bereits seine Familie ernähren kann und Steuern zahlt. Dies ist nur ein Beispiel von vielen Schicksalen, die wir begleiten und die unsere Integrationsbemühungen wie Arbeitsbeschaffung, Ausbildungsvermittlung und Deutschkurse ad absurdum führen. Hoffnungslosigkeit erschwert unsere Arbeit." frie

Dieser Mittwoch der Familie Süßmann liest sich wie der Dienstplan eines hauptamtlichen Flüchtlingsbetreuers. Am Vormittag klingelt es an der Tür, Deutschunterricht neben dem Flügel. Danach: Telefonat mit dem Jobcenter - eine Afghanin wurde für die Suche nach einem Sprachkurs angemeldet, taucht aber im System der Arbeitsagentur nicht mehr auf. Warum? Es habe Probleme mit der Schreibweise ihres Namens gegeben, sagt Süßmann: "Keine Sau blickt mehr durch." Der Nachmittag verspricht ein wenig Erholung. Da geht es mit Flüchtlingen ins Schwimmbad. Doch wieder zu Hause, macht Süßmann weiter, schreibt empörte Briefe an die evangelische Landessynode, an den Landtag und an den Landrat von Bad Tölz-Wolfratshausen, Josef Niedermaier - ohne Antworten zu erhoffen. Seinen wachsenden Frust hat er in einen vierseitigen Essay gegossen, der mit dem Titel "So schaffen wir das nicht" überschrieben ist.

Mit Willkommensplakaten wurden die Flüchtlinge im Herbst 2015 in München begrüßt. Doch die Helfer, die dafür sorgen, dass es den Geflüchteten hier gut geht, fühlen sich zunehmend alleine gelassen. (Foto: Stephan Rumpf)

Süßmann sieht nicht aus wie jemand, der wirklich wütend werden kann - zu viele Lachfalten um die Augen. Doch da ist auch eine Furche zwischen den Brauen, die beim Reden immer tiefer wird. Ohne die Flüchtlingshelfer, sagt er, würde alles zusammenbrechen. Tausende Stunden "für Gotteslohn". Süßmann erinnert sich an die ersten Flüchtlinge, die nach Eurasburg kamen: An der Hauptstraße hielt ein Bus, aus dem stiegen neun Afghanen aus, die dann durch die Birkenallee irrten. Die Ehrenamtlichen hätten von Anfang an alles in die Hand genommen, sagt Süßmann. Wie bringt man etwa einem Menschen Deutsch bei, der in seiner eigenen Sprache Analphabet ist? "Das war eine Knochenarbeit, die unsere Deutschlehrer da geleistet haben." Dann die Briefe vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: alle auf Deutsch geschrieben. Für die Flüchtlingshelfer bedeutete dies nicht nur, dass sie Übersetzer finden mussten. Sie konnten den Asylbewerbern auch nur dann helfen, wenn sie sich auskannten - mit der rechtlichen Seite, mit der Verwaltung, mit "dem Dschungel der amtlichen Briefe", sagt Süßmann.

Ausflug ins Schwimmbad: Michael Süßmann (re.) mit Helfern und Flüchtlingen unterwegs. (Foto: Hartmut Pöstges)

Ernst genommen fühlen sich die Helfer indes nicht - obwohl sie zahlreiche Ideen hätten für die Lösung akuter Probleme, etwa bei der drohenden Obdachlosigkeit mancher anerkannter Asylbewerber. Die Kooperation mit dem Landratsamt sei aber praktisch nicht vorhanden. Zu viele Details will Süßmann darüber nicht gedruckt sehen. Aus Angst, wie er sagt: "Dann sagen sie uns gar nichts mehr. Die lassen uns am ausgestreckten Arm verhungern." Nur die Geschichte vom sogenannten Kümmerer müsse er erzählen. Der Kümmerer sei ein Mitarbeiter des Landratsamts, der zu den Flüchtlingsunterkünften fahre, "wenn's brennt". Eine Flüchtlingshelferin sei bei einem seiner Besuche in der Unterkunft gewesen und habe beobachtet, wie er Türen aufgerissen habe und in Zimmer gestürmt sei. Als sie ihn darauf angesprochen habe, soll er ihr geantwortet haben, dass sie das nichts angehe: "Wenn Sie sich nicht raushalten, sorge ich dafür, dass Sie abgezogen werden." Auf eine Beschwerde hin habe das Landratsamt ein Schreiben geschickt. Süßmann legt es auf den Tisch: Es ist eine Rechtfertigung. Die Mitarbeiter seien berechtigt, "jederzeit" die Unterkünfte zu betreten.

In Eurasburg gibt es einen harten Kern von etwa 40 aktiven Helfern für 82 Asylbewerber; zum Teil seien sie 40 Stunden in der Woche im Einsatz, sagt Süßmann. Im Landkreis leben mehr als 1800 Flüchtlinge, die alle auf Hilfe angewiesen sind. "Wie wäre es, wenn wir die Arbeit niederlegten?", fragt Süßmann in seinem Essay und gibt sogleich eine Antwort: Es würde zum Chaos kommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verlasse sich geradezu darauf, dass die Flüchtlingshelfer funktionierten. Von der CSU-Spitze und den Freien Wählern seien "fast täglich verbale Ausfälle und angsterzeugende Phrasen" zu hören. Der Satz "Wir schaffen das" sei zu wenig gewesen, um die Länder, Kreise und Kommunen dazu befähigen, "Hunderte traumatisierte, von Schleppern ausgenommene Menschen mit Unterkunft und einem Minimum an Hilfe zu versorgen". Das hätte seiner Meinung nach verhindert werden können - durch ein "vernünftiges Einwanderungsgesetz", gegen das sich konservative Parteien aber jahrelang gesperrt hätten. Der Kampf gegen die Konsequenzen dauert an. Gegen das Arbeitsverbot für bestimmte Flüchtlinge setzen sich die oberbayerischen Helferkreise mit der Tutzinger Resolution zur Wehr.

Einmal am Tag zwinge er sich für eine Stunde an den Flügel, sagt Süßmann: Nach dem Umzug vor fünf Jahren in eine Wohnung mit entsprechend großem Wohnzimmer holte er den Flügel aus dem Keller seines Sohnes zu sich. Dass er ihn einmal brauchen würde, um abzuschalten, hat er damals wohl nicht geahnt. "Man braucht ja mal eine Pause von dem Ärger."

© SZ vom 16.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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