Der Alltag der Studierenden:Ohne Job, ohne Kunst, ohne Orgel

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Das Auslandssemester steht auf der Kippe, das Thema der Masterarbeit ist hinfällig, die Einkünfte aus dem Nebenjob fehlen: Sechs Studentinnen und Studenten berichten davon, wie die Pandemie ihr Leben durcheinanderwirbelt

Protokolle von Sabine Buchwald

Messe fällt aus

Maximilian Braun, 27, Masterstudiengang Responsibility in Science, Engineering and Technology (RESET) an der TU München, viertes Semester.

Maximilian Braun, 27. (Foto: oh)

"Eigentlich hätte alles gut gepasst: Von Oktober bis Dezember habe ich auf Mallorca ein Praktikum gemacht bei einer Firma, die nun auf die IFAT nach München gekommen wäre. Das ist die größte Fachmesse für Umwelttechnologie und findet nur alle zwei Jahre statt. Das Unternehmen arbeitet an Recycling-Lösungen für Plastik. Ich hätte die Firma auf der Messe vertreten sollen und dann meine Masterarbeit darüber geschrieben. Messen werden ja derzeit alle abgesagt und damit ist auch das Thema geplatzt. Ich hatte mich monatelang eingelesen und ein mehrseitiges Proposal abgegeben, das auch schon benotet wurde. Ich musste total umdenken, da ein praktischer Zugang derzeit allgemein schwierig ist. Aber jeder hat seine Herausforderungen in dieser Zeit. Ich will mich nicht beschweren, andere trifft es härter, zum Beispiel wenn man eine Fernbeziehung führt und seine Freundin nicht sehen kann. Für mich ist die Lage nicht existenzkritisch, obwohl mir gerade die Jobs wegbrechen. Ich spiele Schlagzeug in einer Coverband auf Hochzeiten oder Geburtstagsfesten. Das fällt jetzt alles aus. Aber ich habe noch meinen Hilfsjob an der TU und ein kleines Stipendium. Meine Masterarbeit schreibe ich nun über Künstliche Intelligenz und den ethischen Diskurs darüber in der Europäischen Union."

Kunst auf die Straße

Marija Margolina, 21, studiert in der Bildhauerklasse von Olaf Nicolai an der Akademie der Bildenden Künste, zweites Semester.

Marija Margolina, 21. (Foto: oh)

"Die Corona-Krise ist für mich ein Rauswurf aus dem Alltag. Man braucht ja immer ein wenig Zeit, bis man sich in einer neuen Umgebung zurechtfindet, und ich war gerade dabei zu verstehen, wie es an der Akademie läuft. Künstlerisch habe ich hauptsächlich mit Multimedia gearbeitet, überlege mir aber gerade, physischer zu werden. Ich war in den Glaswerkstätten. Und plötzlich war von einem Tag auf den anderen alles zu. Eine Ausstellung im Netz, das ist ja eigentlich nur Dokumentation, das genügt mir nicht. Ich denke jetzt viel nach, wie man Kunst wieder auf die Straße bringen kann. Über Performances hinter Glasscheiben zum Beispiel. Ob die Akademie der richtige Weg für mich ist, das ist mir natürlich durch den Kopf gegangen. Aber nur kurz. Man ist ja nicht allein in einer prekären Berufsgruppe. Kreativität hilft, wenn man in seiner Wohnung festsitzt. Die erste Zeit empfand ich sogar als befreiend, weil ich nicht mehr in einen Stundenplan gepresst war. Ich habe wieder mehr Musik gemacht und mit altem Filmmaterial experimentiert. Ich versuche, optimistisch zu sein und mir kleine Ziele zu setzen. Zum Glück habe ich den Job nicht verloren. Den kann ich gut von zu Hause aus am Computer machen. Für andere Künstler hoffe ich sehr, dass die versprochenen Maßnahmen bald greifen."

Master in Italien

Raphael Thesing, 23, Bachelor in BWL, zweites Bachelor-Studium Wirtschaftspädagogik an der LMU; er ist stellvertretender Fachschaftssprecher.

Raphael Thesing, 23. (Foto: oh)

"Für Herbst habe ich einen Masterstudienplatz in Mailand. Italien ist das Land meiner Sehnsucht. Ob es klappt, weiß ich nicht. Das kann mir auch niemand sagen. Ich hoffe sehr, dass sich die Situation entspannt und ich umziehen kann. Wenn allerdings die Veranstaltungen nur online sind, dann macht das wenig Sinn. Mir gehen gerade sehr viele Gedanken durch den Kopf. Ich habe in den vergangenen Monaten ein Praktikum bei einer Bank gemacht, die internationale Verbindungen hat. Dort konnte ich bleiben, allerdings von der dritten Märzwoche an nur noch im Home-Office. Dadurch habe ich sicher weniger mitbekommen, als es unter normalen Bedingungen möglich gewesen wäre. Dennoch habe ich viel gelernt. Ich merke, dass sich alle sehr viel Mühe geben. Auch an der LMU. Es ist viel online möglich, was für mich eine große Erleichterung ist, weil ich ja von zu Hause aus arbeite. Wir hatten schon im vergangenen Jahr eine Studienzufriedenheitsumfrage geplant. Die ersten Auswertungen ergeben, dass die Studierenden insgesamt zufrieden sind mit der Umsetzung des digitalen Lernangebots. Gewünscht wird aber ein besserer Informationsfluss von der Fakultät zu den Studierenden, besonders Updates zur Situation und ein Ausblick auf die Zukunft. Viele Kommilitonen sind verunsichert."

Nebenjob fehlt

Benjamin Stahl, 26, studiert Lebensmitteltechnologie an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf in Freising, viertes Semester.

Benjamin Stahl, 26. (Foto: oh)

"Meine Rücklagen schmelzen, wenn ich nicht bald etwas dazuverdienen kann, dann wird es echt schwierig für mich. Dabei hatte das Jahr ziemlich gut angefangen. Über eine Zeitarbeitsfirma hatte ich einen Job bei einer Spirituosenfirma gefunden. Das war ein Glücksgriff. Man hatte mir sogar in Aussicht gestellt, meinen Vertrag zu verlängern. Dann kam eines Tages im März der Chef ins Büro und erzählte von einem Corona-Verdachtsfall. Alle Mitarbeiter wurden nach Hause geschickt und arbeiten seitdem im Home-Office. In meinem Bereich war das nicht möglich, deshalb stand ich plötzlich ohne Job da. Man sagte mir, dass man mich wieder einstellen würde, sobald sich die Situation normalisiere. Leider bin ich auf das Geld angewiesen. Meine Eltern zahlen mir zwar die Miete, aber für das Leben muss ich selbst aufkommen. Fürs Handy, den Internetanschluss und Verpflegung brauche ich etwa 400 Euro im Monat. Leider muss ich auch den Vertrag mit dem Fitnessstudio weiterzahlen, obwohl es seit Wochen geschlossen hat. Ich würde ja auch Regale im Supermarkt auffüllen, aber rund um meine Uni gibt es nicht so viele Möglichkeiten. Ich überlege jetzt, einen Kredit zu beantragen. Aber aus dem Studium mit einem Haufen Schulden rausgehen, das möchte ich nur sehr ungern."

Umsonst beworben

Natascha Grundner, 23, Bachelorstudium Technische Redaktion und Kommunikation an der Hochschule München, siebtes Semester.

Natascha Grundner, 23. (Foto: oh)

"Dieses Semester sollte eigentlich ganz anders werden. Ich hatte es extra drangehängt, um als Werkstudentin arbeiten zu können. Ich will unbedingt noch mehr praktische Erfahrung sammeln, bevor ich im Herbst meine Bachelorarbeit schreibe und dann meinen Abschluss mache. Das Coronavirus hat mir nun meine Pläne durchkreuzt. Ich habe mindestens ein Dutzend Bewerbungen geschrieben und war auch zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. Doch bevor es richtig losging, wurden die dann im März auf unbestimmte Zeit verschoben. Ein großer Verlag hatte jemand in der Redaktion gesucht, aber für diesen Job hatte ich letztlich leider noch zu wenig Erfahrung. Genau deshalb suche ich ja eine Stelle als Werkstudentin. Ums Geldverdienen geht es mir gar nicht so sehr dabei. Obwohl ein kleiner Zuverdienst natürlich nicht schlecht wäre. Früher habe ich als Barista in einem Café gearbeitet. Das ist jetzt auch geschlossen. Im Moment halte ich mich mit Nachhilfe über Wasser. Das allerdings läuft ganz gut. Ich gebe Deutsch, Englisch und Mathematik. Weil viele Schüler immer noch keinen regelmäßigen Unterricht haben, ist der Bedarf recht groß. Hoffentlich wird das Leben bald wieder ein bisschen lockerer. Dann hole ich tief Luft und fange wieder an, mich zu bewerben."

Orgel zum Üben

Johannes Friederich, 20, Bachelor-Studium an der Hochschule für Musik, Hauptfach: Kirchenmusik, Instrument: Orgel, viertes Semester.

Johannes Friederich, 20. (Foto: oh)

"Ich bin so froh, dass wir endlich wieder in die Hochschule zum Üben dürfen. Nur mit Mund-Nase-Schutz, klar, aber das ist beim Orgelspielen nicht so hinderlich. Viele meiner Kommilitonen haben privat kaum Möglichkeiten, ihr Instrument zu üben. Glücklicherweise ist das bei mir nicht so. Ich spiele schon länger als Aushilfsorganist in einer Pfarrei in Laim. Ich hätte auch an Ostern im Gottesdienst spielen sollen, was leider dieses Jahr ausgefallen ist. Man kennt mich in der Pfarrei, deshalb habe ich den Schlüssel zur Orgelempore bekommen. Das ist ein Geschenk, aber zugeflogen kommt einem so was nicht. Insgesamt konnte ich die Zeit ohne Unterricht gut nutzen. Ich habe mir Wochenpläne geschrieben mit Lernzielen. Es gab aber auch Tage, da war die Motivation nicht besonders groß. Im Moment beiße ich mir die Zähne an einem Reger-Stück aus: "Oh wie schön ist die Morgenröte". Immer mehr merke ich, wie sehr ich den Studienbetrieb vermisse, den Austausch mit den anderen. Eigentlich wären jetzt dann Zwischenprüfungen gekommen, aber die wurden um ein Semester verschoben. Die Dozenten bemühen sich, aber manche Fächer fallen im Moment total aus. Eine Chorprobe zu machen, ist derzeit unmöglich."

© SZ vom 22.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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