Deportation Münchner Juden:Für immer verschwunden

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Sie kamen ohne persönliche Gegenstände in das Barackenlager an der Knorrstraße - und eines Tages waren tausende jüdische Zwangsarbeiter verschwunden, abtransportiert in Konzentrationslager. Historiker Maximilian Strnad hat die Deportation Münchner Juden in einem Buch untersucht.

Nicole Graner

Sie spielen Karten. Eine Flasche Bier steht auf dem Tisch und ein Kaffeebecher. Im Hintergrund liegen Holzbretter. Jüdische Zwangsarbeiter, vor allem ältere Männer, machen Pause. Sie erholen sich, wie ein altes Foto zeigt, von einer Schwerstarbeit ohne Lohn, vom Bau des Barackenlagers Milbertshofen.

Monate später: Die gleichen Männer, wenn sie den schweren Arbeitseinsatz körperlich und seelisch unbeschadet überstanden haben, ziehen in das Barackenlager an der Knorrstraße ein, das sie selbst gebaut haben: Sie kommen mit Matratzen und Koffern, aber ohne persönliche Wertgegenstände. Die wurden konfisziert. Kurze Zeit danach sind die jüdischen Münchner aus den Lagern Milbertshofen und Berg am Laim verschwunden - abtransportiert in die Konzentrationslager Theresienstadt, Kaunas und Piaski.

"Ich sah heut tausend Menschen verstörten Angesichts. Ich sah heut tausend Juden, die wanderten ins Nichts. Im Grau des kalten Morgens zog die verfemte Schar. Und hinter ihr verblaßt, was einst ihr Leben war" - Zeilen aus dem Gedicht "Deportation" eines unbekannten Verfassers. Maximilian Strnad, Jahrgang 1976 und Historiker am NS-Dokumentationszentrum München, hat nicht nur die Verfolgung und Deportation der jüdischen Münchner von 1941 bis 1945 in seinem Buch "Zwischenstation Judensiedlung" akribisch untersucht, sondern auch das Leben in den Barackenlagern Milbertshofen und Berg am Laim.

Und er hat es mit neuem Quellenmaterial wie zum Beispiel Deportationslisten aus den Beständen der Finanzämter unterfüttert. Quellen, die einmal mehr unterstreichen, wie sehr die Ausbeutung und Verfolgung der Münchner Juden zur "Endlösung der Judenfrage" beitrug. "München war eine antisemitische Keimzelle", sagt Strnad. Das hatte, wie er erklärt, nicht nur damit zu tun, dass die Rathenau-Mörder in München Zuflucht fanden oder die Stadt sehr früh begonnen hat, jüdische Betriebe auszuschalten.

"Auch die Diskussion, wie man Juden ghettoisiert, wurde in München früh vorangetrieben. Die Vermutung liegt nahe, dass Gauleiter Adolf Wagner und der Oberbürgermeister Münchens, Karl Fiehler, eine zentrale Rolle dabei spielten." Noch eine These untermauert das Buch auf erschreckende Weise. Die Vertreibung von 13 000 Juden zwischen 1933 und 1945 konnte von der Gesellschaft nicht unbemerkt bleiben. So viele Behörden, Verwaltungs- oder Finanzbeamte waren in den Prozess der Deportation eingebunden, aber auch Nachbarn oder Bekannte wussten genau, wohin die Juden "abwanderten".

Auch war das Lager in Milbertshofen nicht zu übersehen und gut einsehbar. "Der menschliche Verdrängungsmechanismus", sagt Strnad, "funktioniert. Aber es war eine klare, aktive Entscheidung, nicht hinsehen zu wollen". Deutlich wird in Strnads Buch auch, mit welcher perfiden Brutalität ältere Menschen in München zur Schwerstarbeit herangezogen wurden. Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe "München gedenkt der deportierten Juden", die Strnad mitorganisiert hat, wird er an diesem Donnerstag, 3. November, sein Buch präsentieren und mit Herausgeber Andreas Heusler über die Entstehungsgeschichte sprechen. Schüler tragen Texte von deportierten Juden vor.

Zwischenstation Judensiedlung", Buchpräsentation, Donnerstag, 3. November, 19.30 Uhr, Kulturhaus Milbertshofen, Curt-Mezger-Platz 1, Infos: www.forschungsreise-wider-das-vergessen.de

© SZ vom 03.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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